Warum ich keine Angst habe(n will) – Eine persönliche Einordnung der Terroranschläge von Paris

Ich habe kurz darüber nachgedacht, ob ich mich jetzt auch noch zu den Terroranschlägen in Paris äußern soll. Eigentlich war die Zeit überreif für die zweite Folge von „Nazikram analysieren mit Christofer“. Das scheint mir aber angesichts der aktuellen Nachrichten nicht relevant genug, wenn ich nicht gleichzeitig auf ebendiese eingehe. Gleichzeitig komme ich mir ein bisschen blöd vor, wenn ich mich zu einem Thema äußere, zu dem sowieso schon Alle etwas zu sagen haben - das auch noch ohne ausgewiesene Terrorismus-Expertise und vermutlich sogar zeitverzögert… Da nehme ich für mich insgeheim schon den Vorwurf vorweg, dass ich auch einer von diesen Unqualifizierten bin, die ungefragt zu Allem ihren Senf dazugeben müssen.

Nun gut. Ich stelle fest, dass ich mich äußern möchte- so wie ich es kann.

Am Freitagabend, als wir mit unserem Film fertig waren, es war schon spät, hab ich kurz vorm Schlafengehen Facebook gecheckt (schlechte Angewohnheit) und von den Anschlägen in Paris erfahren. Am nächsten Tag waren das Programm der ARD, das Radioprogramm, die Newsfeeds in den sozialen Medien, die Zeitungen, schlicht und ergreifend ALLES voll davon. Wie immer geht mir das zu schnell. Ich will über solche Sachen nachdenken können. Journalisten sind zur Aktualität verurteilt. Das macht der Markt. Ich bin dann immer hinten dran. Ich brauche mehr Informationen. Inzwischen habe ich das Warten gelernt. Viele Dinge müssen ohnehin revidiert werden. Wie viele Opfer gibt es? Wie viele Täter waren es? Ach was soll’s? In die Zeitung von heute wickelt man morgen Fisch ein…

Das Schlimmste ist, dass es eine große Gruppe von Menschen gibt, denen zu viele und genauere, differenziertere Informationen geradezu unangenehm sind. Das liegt daran, dass ihr Geschäft die Angst ist- und der Hass. Man hat weniger Angst vor Dingen, über die man mehr weiß, die man besser verstehen kann. Man kann dann auch schlechter hassen. Also lieber nicht so viel wissen, lieber nicht warten! Erst schießen, dann fragen, weil man ja auch von zuhause aus so ungeheuer viel ausrichten kann, wenn man nur Panik verbreiten will!

Es ist dieses Mal wirklich nicht weit hergeholt mit der Angst. Wie kann man vor dem, was passiert ist, keine Angst haben! Wie kann man keine Angst haben vor Menschen mit Kalaschnikows und Sprengstoffgürteln, die hunderte Menschen töten und verletzen! Viele haben Angst, sogar meine Frau hat Angst - und ich, ich mache mir Sorgen (Besonders ätzend an den Rechten ist ja, dass sie einem die Wörter wegnehmen). Ich sorge mich vor allem um das, was die Terroranschläge in Paris in uns allen auslösen.

Wir haben also Angst. Und während wir Angst haben, gehen wir einkaufen, spazieren, arbeiten, treffen Freunde, trinken Kaffee miteinander, nehmen am Straßenverkehr teil, leben unser Leben. Die meisten Menschen, denen wir begegnen, sei es bei Aldi an der Kasse oder bei der Post, sind freundlich zu uns, behandeln uns mit Respekt. Das ist so, weil die überwältigende Mehrheit von uns in Sicherheit und Freiheit leben will.

Vor ein paar Wochen habe ich in Nürnberg mit Freunden einen südafrikanischen Thekenmann in einem Irish Pub getroffen. Er war seiner deutschen Freundin nachgezogen. Mein Sitznachbar fragte ihn, wie es ihm hier in Deutschland gefalle. Seine Antwort bestand im Wesentlichen aus zwei Worten: Amazingly safe! – Wahnsinnig sicher!

Das ist bis heute die Realität, in der wir leben. Das war auch bis zum Abend des 13. November 2015 die Realität in Paris. Wenn das nicht so gewesen wäre, hätten die Terroristen wohl Niemanden im Konzertsaal Bataclan oder im Restaurant Le Petit Cambodge aufgefunden, den sie hätten erschießen können. Diese Freiheit und diese Sicherheit in Europa, die in der Geschichte der Menschheit und auf dem Rest des Erdballs ihresgleichen suchen, sind die Realität, in der wir schon seit vielen Jahrzehnten leben. Es ist die Realität, an die wir uns gewöhnt haben. Wir vergessen leicht, wie außergewöhnlich dieser Zustand ist und welche herausragende zivilisatorische Leistung er darstellt. Diese Realität ist nicht vom Himmel gefallen. Wir erschaffen diese Realität gemeinsam mit vielen Millionen Menschen, die mit uns auf diesem Kontinent leben und die europäische Freizügigkeit genießen. Zumindest hier können wir uns fast ausnahmslos auf diesen Konsens einigen, dass wir alle in Freiheit und Sicherheit miteinander leben wollen. Abgesehen von weltanschaulichen und moralischen Defiziten trifft das in gewissem Maße sogar auf Verschwörungstheoretiker, Pegida, ja sogar auf Kriminelle zu.

Es ist gerade deswegen bemerkenswert, wie sehr die Überzeugungen und Taten von ein paar Dutzend Menschen, oder gar einzelner, dazu geeignet sind, diese Realität zu verändern. Dazu gehört nicht viel. Die Attentäter von Paris haben viel Aufwand betrieben. Sie haben geplant, ihre Aktionen aufeinander abgestimmt. Es gab vermutlich Hintermänner. Sie haben verheerendes Leid verursacht. Ähnliches hat auch ein Einzelner geschafft. Anders Behring Breivik hat seinen Anschlag auf die Menschheit ganz allein geplant und durchgeführt. Er hat die Existenz von 77 Menschen beendet und die Realität in den Köpfen eines ganzen Landes verändert. Auch er hat viel Aufwand betrieben. Aber es ginge, wenn man es wollte, mit viel weniger.

In jeder Stadt in Europa gibt es alle paar hundert Meter Brennstoff für ca. 1.50 Euro den Liter zu kaufen. Wie man einen Molotow-Cocktail herstellt, kann man im Internet nachlesen. Es dauert wahrscheinlich nur Minuten, bis man die nötigen Informationen zusammen hat. Zuhause in der Küchenschublade hat jeder von uns gleich eine ganze Reihe von potentiellen Tötungswerkzeugen liegen. In Deutschland sind über 44 Millionen Personenkraftwagen gemeldet. Jeder einzelne davon ist geeignet einen Menschen tödlich zu verletzen oder als Geisterfahrer auf einer Autobahn noch viel Schlimmeres zu verursachen. Dazu fehlt nicht viel. Alles, was man dafür braucht, ist eine faschistoide Überzeugung und die Bereitschaft das eigene Leben im Namen dieser Überzeugung zu opfern. Mit welchen Mitteln wollte man einen solchen Menschen aufhalten? Ein Terrorist tötet verhältnismäßig wenige Menschen, aber verändert die Realität in den Köpfen aller. Das ist Terrorismus. Das ist das Geschäft mit der Angst. Es ist ein Geschäft, das im Übrigen deswegen so einträglich ist, weil es so viele dankbare Zwischenhändler gibt.

Angesichts der Leichtigkeit, mit der unser Leben bedroht werden kann, grenzt es doch schon an Wahnsinn, mit welcher Selbstverständlichkeit wir eben dieses Leben tagtäglich wildfremden Menschen anvertrauen. Wir machen das, weil wir von uns auf andere schließen. Wir wollen in Freiheit und Sicherheit leben und wir gehen selbstverständlich davon aus, dass es unseren Mitmenschen genauso geht. Alles andere wäre noch viel verrückter!

Ich habe hier leicht reden von der Couch aus und mit einer Apfelschorle bewaffnet. Aber es wäre einfach verrückt sich verrückt zu machen!

Angst vor Terrorismus ist völlig unvernünftig. Das war bisher mein Standpunkt. Im Wesentlichen bleibe ich dabei. Wenn man schon Angst haben muss, dann vor einem Autounfall, vor einem Herzinfarkt, vor einem Schlaganfall, vor Krebs, vor Altersarmut. Manchmal hab ich Angst in der Dusche auszurutschen und mir den Hals zu brechen. Es gibt so viele Dinge, die von Jahr zu Jahr das Leben von zehntausenden Menschen bedrohen und vernichten, die viel realer und näher für uns seien müssten, vor denen wir aber völlig zurecht nicht unser Leben lang Angst haben. Wer dauernd Angst vor dem Tod hat, macht sich das Leben zur Hölle. Das Leben ist zu kurz und zu kostbar dafür. Es ist das Einzige, das wir sicher haben. Es gibt keinen vernünftigen Grund für dauerhafte Angst. Keinen!

Es stimmt natürlich, dass Terrorismus seit Freitag eine sehr viel realere Bedrohung geworden ist. Es ist nur zu verständlich, dass viele Menschen betroffen sind, trauern und ihrer Anteilnahme Ausdruck verleihen wollen. Es stimmt auch, dass die Anschläge gewissermaßen unser aller Sicherheit und Freiheit galten. Wir dürfen nur nicht aufhören von uns auf andere zu schließen. Wir erschaffen in erster Linie durch unser eigenes Verhalten diese Sicherheit und Freiheit füreinander. Wir dürfen sie uns von Niemandem wegnehmen lassen- schon gar nicht von der eigenen Angst.

Eine Sache noch: Heute Morgen habe ich in der Springer-Presse mehrere Schlagzeilen dieser Tonart aufgeschnappt: „Es geht hier um uns, um die Art, wie wir leben!“

Das stimmt mich nachdenklich. Ein ähnlich formulierter Gedanke geistert schon seit Anfang September in meinem Kopf herum. Er steht im Zusammenhang mit der Ankunft der Flüchtlingszüge in Dortmund: Die Flüchtlinge nötigen uns, bewusst oder unbewusst, eine Entscheidung ab. Wir müssen darüber entscheiden, was für Menschen, was für eine Gesellschaft wir sein wollen! Wenn wir schon von uns auf andere schließen, sollten wir bei Flüchtlingen auch weiterhin keine Ausnahme machen.

Kommentare

  1. .

    (Im alten Web 2.0, zu Zeiten der Netiquette, war ein einzelner Punkt die Art zu sagen, dass mensch den Artikel gelesen hat, nichts inhaltliches anfügen möchte, aber aus Respekt vor dem Autoren trotzdem einen Kommentar hinterlegen will, als Anerkennung seiner Arbeit, Mühe, nachvollziehbaren Gedanken)

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