Runde 12 - Epilog
Mit hochgezogenem Kragen spaziere ich durch meine herrlich verregnete Stadt. Durch meine Kopfhörer schlagen irgendwelche Gittarenriffs auf mich ein, aber diese ewigen Träume vom Boxen lassen mich nicht los.
Ich weiß nicht was für mich schlimmer war, meinen Vater kämpfen zu sehen oder selbst im Ring zu stehen. Aber es war alles sehr sinnbildlich. Er kämpfte mit seinen Verletzungen und ich mit meiner Angst.
Von Geisterhand gelenkt wähle ich meine Wege durch die Stadt. Ich meide Orte an denen viele Menschen sind und schlender durch, für meine Stadt so typische, Industrie- und Gewerbetempelbezirke. Riesige Stahlrohre, der Geruch von Druckerschwärze und diese zauberhafte Ruhrgebietsarchitektur umgeben mich.
Nur allzu oft war ich schon hier, so viele Erinnerungen und jetzt brüllt mir die Stadt "Aufbruch!" ins Gesicht, damit auch ich endlich merke, dass sich hier was tut. Alles neu.
Ich stelle die Musik lauter, damit ich den Gesang schlechter verstehe und stelle meinen Kopf leiser, damit ich meine Zweifel nicht höre.
Alle waren näher zusammen gerückt, Alle waren für uns da und alle hatten Anteilnahme für uns.
Während es auf der einen Seite eine gutes Gefühl ist, so will sich auf der anderen nicht ein Gefühl des "aufgefangen werden" einstellen. Das ist aber kein Fehler der Anderen, es liegt an mir.
Mein Herz rast nicht mal, als ich an diese alte Lagerhalle komm, die jetzt ein Parkhaus ist. Hier war es passiert. "Die Ankündigung der Kämpfe" wenn man so will. Es riecht für mich immernoch nach Blut.
Ich glaube, es hat noch nie so schlimm geregnet. Zumindest in keiner Nacht in der ich alleine spazieren ging. Vielleicht bin ich aber auch noch nie zuvor alleine spazieren gewesen. Da bin ich mir nicht so sicher.
In Großstädten gibt es Nachtleuchten. Das ist dieses trockene Licht welches sie trotz finsterster Nacht übers Umland streuen. Ich mag das sehr. Es ist diese gefühlt-postapokalyptische Alternative zum Sonnenuntergang oder Sternenhimmel. Ein stumpfes Orange aus Strassenleuchten, das Helligkeit vortäuscht und nicht spendet.
Es ist immer so dass ich Andere auffange. Ich bin stets bemüht zu helfen. Egal ob Freund oder Unbekannter. Ich bin ein Söldner, der jedem bei seinen Problemen und Sorgen hilft und bezahlt werde ich mit dankbarem Lächeln. Aber, was macht ein Söldner, wenn er selbst Sorgen hat?
Und dann auch noch so undefinierte. Undefinierte unstabile Sorgen. Mal ging es mir gut, wenn meine Mutter mir von den Fortschritten meines Vaters erzählte, dann wieder schlecht, wenn ich ihn selber sah.
Während ich von der Fußgängerbrücke auf die Straße sehe, fühle ich gar nichts. Was mich besorgt. Ich sollte hassen, schreien, fürchten, verzweifeln. Nichts passiert. Ich sehe nur den ganzen Unfall vor mir ablaufen. Emotionsfrei.
Das besorgt mich. Soll ich nicht etwas fühlen? Muss ich nicht etwas fühlen? Ist es nicht eine allgemeine menschliche Verhaltenskonvention am Ort eines Unglücks extrem zu fühlen?
Meine Eltern und meine Erfahrungen haben mich zu einem Menschen gemacht, dem immer wieder hohe Objektivität zu geschrieben wird. Seh ich meine Situation auch objektiv? Kann man das Leben auch zu objektiv sehen?
Eine Stunde im Regen. Die Tropfen laufen schon mein Kinn runter bis unter meine Klamotten. Langsam mache ich mich wieder auf den Heimweg. Ich entschließe, dass ich im Moment mir selbst die falschen Fragen stelle und es wichtig ist nicht zu zweifeln. Nicht an mir, nicht an dem Willen unserer Familie und schon gar nicht erkennbar für Andere.
Als ich langsam wieder in meinen Stadtteil komme, verlasse ich meinen Körper, sehe mich von Aussen. Einen jungen Mann, mit hohem Kragen, der durch orange-graue Straßen zwischen Stahl und Ziegeln im strömenden Regen sich selbst vorwärts schiebt. Ein wenig Dunst steigt aus einem Kanaldeckel; im Hintergrund winken einige wenige beleuchtete Fenster aus einem Hochhaus. "Wie depri-kitsch-romantisch.", denke ich und beginne laut zu lachen.
Gut zu wissen, das selbst die härtesten Kämpfe gewonnen werden können.
AntwortenLöschenIch weiß nicht, ob das gewinnen ist.
AntwortenLöschenEs ist jedenfalls nicht verloren.
AntwortenLöschenIch wünschte trotzdem, ich hätte den Text schon früher gelesen...