Gewalt hat keine Farbe


Peter stand in mitten der wilden Horde. Unsagbarer Lärm umgab ihn und er war nicht in der Lage irgendetwas heraus zu hören. Wellenartig schoben sich Körper gegen ihn und die vordersten Reihen schlugen gegen den Bauzaun.

Es war ein schlechter Tag für Peter. Als er heute morgen wach wurde, da war es Zehn nach Zehn. Er wusste, dass er nur zu seinem Ausbildungsplatz fuhr, um sich die Kündigung abzuholen. Wenn sein Vater das erfahren sollte, würde er ihn umbringen. Auf dem Weg zur Ausbildung trank er sein erstes Bier, denn jetzt war es eh egal. Betäubung war das Stichwort.

Alle waren in den Farben der Mannschaft uniformiert. Inzwischen war aus Lärm und Gebrüll ein feindseliger Gesang auf den Feind geworden. Der Feind. Man hasste sich. Egal, wie das Spiel ausgegangen war, es gab Ärger. Peter kannte das Ergebnis auch gar nicht. Er war schon lange nicht mehr wegen Fußball hier.

An der Haltestelle dachte er beim zweiten Bier an seine Freundin. Wenn sie hören würde, was passiert war, würde sie bleiben? Sie kam aus dem selben dämlichen dreckigen Stadtteil wie er. Sie wollte raus. Weg von ihren Eltern. Weg von dem Vater mit dem Peter sich geschlagen hatte, als er sie aus dem Haus der Eltern geholt hat. Weg von der Mutter, die sich nicht um sie kümmerte. Peter kannte diese Biografie nur zu gut. Sie war eine Schablone für seine eigene.

Die Polizei versucht "beruhigend" ein zu greifen. Sie stehen da mit Schilden und Schlagstöcken, auf Pferden und mit Wasserwerfern. Peter war nicht sonderlich beruhigt. Ganz im Gegenteil. Sie sollten zu ihm runter kommen und ihre Rüstungen ablegen. Er würde ihnen zeigen, was echte Stärke ist. Wer sich hinter einem Schild versteckt, der war ein Verlierer.

Er wollte einfach nur raus aus diesem Loch. Im Fernsehen hatte man ihm die schöne Welt gezeigt, aber sie war soweit weg. Sie war so falsch. Peter dachte, dass sie irgendwo da draußen sein muss. Und Vanessa würde er mitnehmen. Weg, irgendwo anders hin. Und dann Kinder groß ziehen. Bei ihnen nicht all das falsch machen, was bei ihm falsch gelaufen war. Er würde ihnen zu hören, mit ihnen spielen, für sie da sein, sich am Wochenende frei nehmen, sich nicht betrinken und seine Frau und Kinder nicht schlagen. Er war besser. Und sobald er bereit war für die Flucht, so würde er seinem Erzeuger ins Gesicht spucken und gehen.

Langsam rollten die Feinde aus dem Stadion. Adrenalin schoss Peter bis unter die Schädeldecke, so dass es kurz weh tat. Der Schmerz kam nicht davon, dass er gegen den Bauzaun gerammt wurde. Auch der Sturz mit dem Bauzaun war es nicht. Es war das Adrenalin. Es bildete Druck in seinem Körper und der musste jetzt raus.

Sein Chef, oder besser gesagt ehemaliger Chef schrie ihn richtig an. Er hätte an ihn geglaubt, warum er denn davon nichts zurück geben würde. Peter wusste, es würde nicht reichen. Warum er denn mit ihm nicht gesprochen hätte und wieso er nicht in der Berufsschule war. Peter wusste, es brachte ihn nicht raus. Er wäre doch einer seiner besten Auszubildenen, mit ein wenig Mühe hätte er sogar selbst Aufträge annehmen dürfen. Peter wollte nicht Maler und Lackierer werden. Jetzt hätte er ja seine Chance weggeworfen und es würde ganz schwer für ihn. Peter wusste, für ihn war der Weg nach oben schon vorher verbaut. Seine Biografie war nicht die eines Aufsteigers und dass machte ihn wütend. Er zerriss den Kündigungschrieb noch im Büro und warf beim rausgehen sein drittes Bier gegen die Wand.

Ein wenig musst Peter lachen, als er die Feinde durch die Straßen jagte. Um ihn herum hunderte in seinen Farben, die mit ihm stürmten. Blutig und fleischig lachten ihn Wunden an. Peter spürte wie der Druck von ihm ab fiel. Alles wurde leichter. Und das nur, weil er nicht mehr lenken brauchte. Er konnte sich mitreißen lassen, war nicht alleine und durfte tun was er wollte. Er schmunzelte während er auf einen Feind einschlug und ihm das Blut rot entgegen schoß. Er dachte an seinen Chef, an seinen Erzeuger, an die Feiglinge mit Schild, an seinen Stadtteil, an seine Biografie, an sein Versagen. In diesem ganz kurzen Moment der Erkenntnis sah er sich um. Alles war bunt, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Die Trikots, die Uniformen, das Blut und die Augen seiner Freundin.
Zwischen all diesen Leuten dachte er sie gesehen zu haben, die magischen hoffnungsschwangeren grünen Augen seiner Freundin. Dann ging er einfach zu Boden.

Im Krankenhaus sagte man ihm, es wäre eine Bierflasche gewesen, die ihn im Gesicht getroffen hatte. Das Grün im Augenwinkel war diese Flasche. Die Flasche die ihm beide Augen zersplitterte. Zwei Wochen hatte er hier gelegen, nur um zu erfahren dass er jetzt farbenblind war.
Er hatte nach seiner Augenoperation viel ferngesehen. Er sah Nachrichten von Krieg und Zerstörung. Graue Männer, die gegen graue Männer in grauen Uniformen kämpften. Er sah Berichte über Hooligans. Männer in grau die gegen graue Männer kämpften. Gewalt an Schulen. Graue Kinder, die gegen graue Kinder kämpften.
Als seine Freundin ihn besuchte, da sagte sie folgendes: "Wir schaffen das, Peter. Das alles." und fuhr sich mit der Hand über den Bauch. Peter verstand nicht sofort, dass er Vater würde. Er verstand nur, dass durch seine Blindheit, ihre Augen nie wieder Grün wären. Sie waren blutrot. Seine Welt war durcheinander.
Er lag noch lange im Krankenhaus. Man vernähte und versorgte die Splitterwunden am Kopf. Und als er nicht mehr im Krankenhaus lag, tat es seine Freundin mit dem kleinen Peter im Bauch.

Zum Fußball ging er nicht mehr. Sobald er an die Kämpfe und das Adrenalin dachte, pochten alle seine Narben am Kopf. Er hatte einfach unendliche Schmerzen. Es zwang ihn in die Knie. Er ging auch nicht mehr zum Vater seiner Freundin und auch nicht zu seinem eigenen. Alles was an Gewalt erinnerte, schmerzte einfach nur. Irgendwann vergaß Peter sogar welche Farbe seine Trikots damals hatten und welche der Feind. Seine Augen hatten nur noch folgende Information
für ihn: "Die Welt ist grau und die Augen deiner Liebe blutfarbend. Alles andere ist grau und gleich."

Als er das erste mal seinen Sohn auf dem Arm hatte, brannte sein Kopf. Die Narben wollten aufplatzen. Und während die blutigen Augen seiner Freundin ihn ansahen, blickte er in hoffnungsschwangere grüne Augen.
Warum all diese grauen Männer nur für Schmerzen kämpften, würde er seinem Sohn nie erklären können. Es gab keine Parteien oder Gruppierungen mehr. Grau waren sie alle. Er würde ihm nur eins beibringen können: "Gewalt hat keine Farbe."


Kommentare

  1. Super Text und total interessanter Ansatz. Das schonmal vorweg.
    Ich finde es sehr gut gemacht, wie du das "Abschaum der Gesellschaft sein" mit dem "Gewaltbereit sein um auch irgendwie dazu gehören zu können" verbindest. Ich gebe dir vollkommen Recht, dass mit Sicherheit ganz viele der Gewaltbereiten Menschen eine oder mehrere Enttäuschungen erlebt haben. Vielleicht war auch ihr ganzes Leben eine Enttäuschung und jeglicher Versuch da auszubrechen scheitert, weil diese Menschen keine Chancen bekommen. Wer jetzt mit Chancengleichheit argumentiert, denn muss ich leider bitter enttäuschen, wir haben in Deutschland und auch nirgendwo anders Chancengleichheit, wie denn auch, wenn schon so ein einfaches Recht, wie Bildung für alle, nicht praxistauglich ist. Ein ganz simples Beispiel dafür sind die Studiengebühren. Bildung für den ders sich leisten kann. Wer es nicht kann hat Pech gehabt, muss sich mit weniger begnügen und in seiner Schicht bleiben. Ich denke auch, dass die Tatsache, "es besser machen zu wollen aber keine Möglichkeit dazu hat" echt frustrierend sein muss und ich schon verstehe, dass sich da ein Ventil öffnen muss, um den Frust abzulassen. Genau deswegen finde ich deine Beschreibung, wie sich der Druck in Peter aufbaut echt gut gelungen, dass das Adrenalin dann raus muss, ist, denke ich mal für jeden nachvollziehbar, der schon mal Adrenalin geladen war.
    Sehr schön finde ich auch den Übergang, wie er meint die Augen seiner Freundin gesehen zu haben, wo es am Ende "nur" die Flasche war, die ihn zwar verletzte aber dennoch heilte.
    Ich finde die Aussage deines Textes einfach super wichtig. Durch die Beispiele zeigst du auf, das Gewalt immer das gleiche Schlechte ist, egal von wem sie kommt. Keine Seite ist besser als die andere oder hat mehr Recht zu kämpfen. Egal aus welchen Motiven oder Anreizen Gewalt entsteht, sie ist nie gut und sie ist zu verurteilen, das stellst du schön heraus, indem du schreibst, dass Peter das seinem Sohn beibringen möchte. Ich möchte deinen Text gerne ein wenig weiter übertragen. Auch Ansichten, die sich nicht in Gewalt wiederspiegeln, könne durchaus aus Enttäuschungen und "sich nicht angenommen in der Gesellschaft" entstehen. Deswegen müsste es eigentlich unsere Motivation sein, den Menschen, denen so etwas wiederfahren ist, zu helfen, egal woher sie kommen, wer sie sind und welche Ansichten sie haben, wirklich ganz egal. Denn Gewalt ist eben immer fatal und man müsste diesen Menschen vorher helfen, halt Präventivmaßnahmen vornehmen. Aber dennoch, wenn es bei manchen schon soweit ist, ihnen zur Seite stehen und eben nicht alleine lassen und wieder enttäuschen. Ich denke, auch Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit kommt nicht von ungefähr, zu mindest bei vielen. Leider setzt unser Land viel zu wenig auf diese Dinge und ich sehe es immer noch als ein Unding an, dass "Exit" weniger Geld vom Bund bekommt.
    Abschließend kann ich sagen, dass ich mich total gerne mit solchen Themen beschäftige und ich finde, dass du die Problematik sehr gut dargestellt hast.

    AntwortenLöschen
  2. Ich kann mich Charly nur anschließen, das is wirklich ein großartiger Text mit einer wichtigen Aussage, die du auch sehr gelungen vermittelst.

    Bemerkenswert finde ich auch, dass die Freundin von Peter bei ihm bleibt und zu ihm hält, obwohl all das passiert ist. Vom ersten Teil des Textes her könnte man vermuten, dass sie keine Perspektiven mehr mit Peter sieht und ihn tatsächlich verlassen würde, um sich ihr erträumtes Leben in einer besseren Gegend zu verwirklichen.
    Ich denke, dass Peter ohne ihren Glauben an ihn nicht die selbe Sinneswandlung bekommen hätte.

    AntwortenLöschen
  3. Ich werde hier nun nichts interpretieren, oder analysieren. Ich möchte einfach nur sagen, dass mich dieser Text ergriffen und mitgerissen hat. Da war ein deutlicher Kloß in meinem Hals, als ich am Ende angelangt war.

    AntwortenLöschen
  4. Anonym19.1.09

    Klasse!

    Mehr fällt mir dazu nicht ein.
    Leider geht den Beschriebenen das Verständnis eines solchen Textes ab.

    AntwortenLöschen
  5. Du triffst wie immer den Nagel genau auf den Kopf. Leider kommt für viele diese Erkenntnis meist erst zu spät.
    Gewalt bleibt Gewalt, egal wer sie anwendet und ob es körperliche oder seelische Gewalt ist. In den meisten Fällen führt sie nicht zur Lösung eines Problems. Das Problem in unserer heutigen Welt ist nur, dass man ohne Ellenbogen meist auf verloren Posten steht.

    AntwortenLöschen
  6. Danke sehr. Ich freue mich sehr, dass ihr aus diesem Text etwas mitnehmen könnt. Ich fühlte mich durch einige aktuelle Themen, Anmerkungen und Diskussionen dazu inspiriert.

    AntwortenLöschen
  7. Immernoch ein großartiger Text.

    AntwortenLöschen
  8. Aber woran das liegt, haben wir ja schon festgestellt *räusper*Peter*hust*

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.

Vielleicht auch spannend: