Halloween ist Scheiße

"Halloween ist Scheiße.", sagt Andre. "Halloween ist so richtig Scheiße." Und dann nimmt er nochmal einen Schluck.

"Biste damit nicht etwas spät dran, Andre?", gebe ich ihm nur zurück, da mich sein Kommentar ein paar Wochen nach der Festivität doch eher wundert. Unser Wirt hat hier zwar auch immer noch seine Spinnweben-Deko an der Decke hängen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das nicht Ganzjahresdeko ist.

"Nee, bin ich nicht. Ich komme damit genau richtig", sagt Andre und ich bin verwundert über seine Inbrunst. Mit dem Wegwerfen der letzten angeschimmelten Kürbisse im Supermarkt, die jetzt irgendwelche Mülltaucher noch in eine Mahlzeit umwandeln, die nicht schon schlecht ist sondern "ein ganz besonderes Aroma" hat, war für mich Halloween erledigt und einfach wieder nur Herbst oder Winter.
"Na, wenn du das sagst", entgegne ich und hoffe darauf, damit diesem Thekengespräch zu entgehen.
"Ja, ich werde dir sagen warum." Es ist nicht so, als wäre gerade jemand anderes da, der "Warum?" hätte fragen können. Andre ist ein rhetorischer Güterzug. Immer nur eine Richtung und nur schwer zu bremsen.

"Weil es kein deutsches Brauchtum ist! Was rennen die Kinder denn da von Haus zu Haus und betteln um Süßkram? Das hat es hier doch vor vielen Jahren nicht gegeben! Da war Karneval noch fürs Verkleiden und wir hatten unsere Kultur nicht aus dem Fernsehen!"

Während ich einem kleinen Brocken Frikadelle beim Versinken in meinem Bier zuschaue, nachdem ich ihn stilecht hinein gehustet habe, bin ich mir nicht so ganz im Klaren, ob ausgerechnet wir gerade über Kultur sprechen sollten. Ich lege meine geballte Kritik aber woanders hin:
"Deutsches Brauchtum? Unsere Kultur? Das ist doch alles schon längst überholt!"

"Nee Jan", macht Andre klar, "darum geht es mir doch auch gar nicht. Ich meine doch nicht, dass wir jetzt nur noch Schützenfeste haben sollen. Zuckerfest und das alles ist doch inzwischen genau so deutsch, wie..." Andre ist ein rhetorischer Güterzug. Immer nur eine Richtung und wenn er entgleist, "...Tag der deutschen Einheit", gibt es ein schlimmes Unglück.

"Worum geht es dir dann?" fragt Markus, der sich unbemerkt hinter der Theke materialisiert hat.
"Na, was für ein erbärmliches Zeugnis ist das denn für uns, wenn wir anfangen Feste und Bräuche aus dem Fernsehen zu übernehmen? Wir haben doch eigene, wir haben befreundete Kulturen in unserem Land, warum können wir davon denn nichts lernen? Oder wenigstens pflegen. St. Martin zum Beispiel."

Markus hebt direkt den Zeigefinger: "Wenn du jetzt damit kommst, dass uns das geklaut wird, weil es Lichterfest heißen soll, dann fliegst du direkt raus."
"Markus. Ich bin vielleicht betrunken, aber kein Idiot. Jeder weiß doch, dass das eine Zeitungsente war.
Aber was keine Zeitungsente war, dass unsere Kinder doch immer mehr den Bezug zu solchen Feiertagen verlieren. Und auch zur Kultur von Feiertagen. Unsere Kinder!"
Dabei zeigt Andre mit dem Finger auf sich und mich, was mich sehr irritiert nach unseren Kindern überlegen lässt.

"Weißte was mir an Halloween passiert ist? Ein Nachbarsjunge ist bei mir aufgetaucht und wollte Süßigkeiten."
Wenn jetzt niemand "Ja, und?" fragt, dann hört Andre vielleicht einfach auf zu reden, denke ich. "Ja, und?" fragt unser Wirt.
"Ich hatte natürlich keine da, weil ich nichts von Halloween halte. Große Enttäuschung für den Jungen. Aber, was haut er raus?"
Wenn jetzt niemand "Was denn?" fragt, aber was mache ich mir vor? "Was denn?" frage ich.

"Wenn man keine Süßigkeiten hat, kann man auch Geld geben."
Und da habt ihr es. An Feiertagen und Festivitäten geht es nur noch ums Abräumen und Geschenke bekommen. Zu meiner Zeit gab es zum Beispiel Ostern keine Geschenke. Süßigkeiten, Eier suchen, in die Kirche gehen, die ganze Familie sieht sich. Aber doch keine iPhones, Videospiele und was weiß ich nicht was.

Die Kinder an St. Martin machen beim Zug mit, aber nur weil es Süßigkeiten und Stutenkerle gibt, die Lieder singt aber kein Kind mehr mit. Da können die selber nichts für, die Lieder werden denen halt auch nicht mehr beigebracht. Aber das kann es doch nicht sein - damit können wir uns doch nicht zufrieden geben!"

"Doch!" denke ich. "Können wir. Und werden wir auch erstmal müssen. Denn nicht nur unsere Kinder, sondern auch wir haben den Bezug zu Traditionen verloren. Es sind ja nicht nur die Feiertage, wir tun uns grundsätzlich schwer. Kein Wunder, kaum einer dieser Begriffe ist noch positiv gefärbt. Tradition klingt immer nach Spießertum und gerade in unserem städtischen Umfeld ist das nicht besonders positiv belegt.

Die innere Sehnsucht nach Ritualen ist aber durchaus vorhanden, daher greifen wir uns also Feiertage und Festivitäten, die uns im Fernsehen und anderen Medien präsentiert werden. Das ist halt auch eine der Folgen der Globalisierung: Kulturelle Mobilität. Wenn von mir erwartet wird, für einen Job die Region zu wechseln, muss ich auch Bereitschaft zeigen, meine Kultur anzupassen. Und das wird leichter, wenn ich mich nicht so an altes hänge.

Und für die Kinder ist es doch auf jede Art schön. Egal ob ganz traditionell oder in einer anderen Auslegung, Hauptsache, es passiert etwas mit der Familie. Für mich war früher sogar Fronleichnam toll, weil da die Familie zusammenkam. Das es ein Trauertag sein sollte, war mir doch egal. Wichtig ist doch nur, dass wir, wenn wir dann Eltern sind, unseren Umgang mit Tradition reflektieren.
Ein zu engstirniges Folgen nach örtlichen Traditionen kann nämlich durchaus auch seine Nachteile haben. Manches ist nämlich auch einfach gesellschaftlich überholt und sollte nicht unter dem Deckmantel der nationalen kulturellen Pflege geschützt werden.

Vielleicht wird es auch Zeit, dass wir uns wieder bewusst machen, dass nicht nur der Gesetzgeber oder irgendeine Kirche entscheiden können wann wir was feiern, sondern auch unsere eigenen kleinen Traditionen, Feiertage und Rituale entwickeln, mit denen wir im kleinen glücklich sind.

"Doch", sage ich, zahle meinen Deckel und gehe. Dann klopfe ich auf die Theke um mich bei allen zu verabschieden, immerhin ist das so Tradition.

Kommentare

  1. ein Glück, dass ich als halber-Engländer Halloween ohne Gewissensbisse genießen kann. Ich habe allerdings von einer Kanadierin mit 12 oder so gelernt wie man es richtig feiert und tue dies nun auch schon seit Jahren!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wie feiert man Halloween denn richtig? Ich habe mich da noch nie eingehender mit beschäftigt.

      Löschen
    2. auch da ist es sicherlich interpretationswürdig und je nach Tradition etwas anders. Aber wir haben ein schönes Halloween. Eine Kostüm-Party für die Erwachsenen und (damals) halt auch für die Kids mit Unterhaltung. Gruselige Partysnacks oder Getränke, das ganze Haus geschmückt (ich kann meine Tapeten bluten lassen!), aber auch häufig Basteleien als Beschäftigung (Kürbis, Monster kneten, sowas halt). Das Trick-or-Treat funktioniert in Deutschland imho nicht, da es zu wenig verbreitet ist.
      So empfinde ich Halloween als schönes Fest.

      Löschen
  2. Schöner Bogen zum Schluss, was die Tradition angeht. Gottohgott, was haben wir das Thema auch schon rauf und runter diskutiert ... Am Ende hast du ja schon gut zusammengefasst, worum's letztlich geht. Schöne Geschichte! Hat Spaß gemacht zu lesen.
    Eine Anmerkung meinerseits, weil mir mal jemand den Tipp gab und es mir gerade hier auffiel: Diese Schlussfolgerung des Erzählers hättest du auch gut in die Handlung einbauen können. Ich weiß schon, dass der Erzähler das ja gerade nicht sagen SOLL (eben nur "Doch" sagt). Dennoch wird dem Leser quasi die "Moral", um es mal so zu nennen, brühwarm in kleinen handlichen Häppchen serviert. Da wäre etwas weniger vielleicht mehr gewesen, weil's den Leser dazu animiert, zu interpretieren und sich dadurch selbst eingehender mit dem Thema zu befassen, sich Gedanken zu machen. Wäre dann auch für den Deutschunterricht geeignet sozusagen. :-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke, freut mich, dass es gefällt.

      Ich könnte mich jetzt ganz dolle rechtfertigen, den Text verteidigen, um zu begründen, dass er genau so bleibt wie er ist. Das wäre mir jetzt zu kindisch, wobei er hier erstmal so bleibt, wie er ist.
      Meine eigentliche Aussage soll jetzt aber sein: Danke für die Anmerkungen, ich nehme mir das für die nächsten Geschichten stärker in den Fokus.

      Löschen
  3. Nee, nix ändern bitte. :-) Hab ich auch nie gemacht. Autorenstolz und so. Ich fand den Rat für Folgetexte für mich persönlich damals sehr nützlich und dachte, ich klugscheiße mal ein wenig, bzw. geb weiter, was mir mitgegeben wurde und so.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.

Vielleicht auch spannend: