Kompensation


Als erstes gehe ich ins Internet. Ich habe extra für diesen Fall eine Schattenemailadresse. Ich bin nicht stolz auf das was ich schreiben werde, aber ich muss es tun. Es geht nicht anders. Wenn ich mit meinen Worten im Netz nicht andere verletze, müsste ich mich selbst verletzen. Mit der Faust beständig, immer und immer und nochmal und mit voller Kraft. Das habe ich auch schon probiert, aber als die Zahnreihen anfingen zu wackeln, da habe ich ganz schnell die Lust daran verloren. Die Selbstverletzung hat mich zwar befreit, aber das ist für mich einfach keine Option. Also muss meine Wut woanders hin. Das Internet ist dafür der perfekte Ort. Immerhin kommt daher ja auch ein Großteil meiner Frustration.

Zu erst suche ich mir ein paar Kommentare auf Facebook oder Twitter. Ich beantworte sie aber nicht. Das wäre mir zu einfach. Andere machen das ja so. "Fick dich doch! Am Ende hatte ich doch recht!", sowas schreiben die dann dazu, aber das macht mich nicht glücklich. Ich brauch da eine subtilere Befriedigung. Ich notiere mir die Namen meiner "Kritiker".
Das ich nicht lache. Wenn in den Nachrichten oder sonst wo gesagt wird, dass es "viel Kritik aus dem Netz gab", dann meint das doch nur Schmähungen und Beleidigungen.
Ich picke mir dann ein paar Exemplare raus - Ich kann mich nicht an allen vergehen - und fange an sie im Netz zu suchen. Das ist heute ja so einfach. Die Leute verraten vielleicht nicht ihren privaten Namen, benutzen aber überall die selben Namen.


Nebenher nasche ich ein paar Pflaumen. Das ist sehr wichtig für mich. Pflaumen sind zum einen sehr gesund und schmecken sehr gut. Da meine Gesundheit für mich sehr wichtig ist, achte ich da natürlich drauf. Außerdem helfend die natürlich super meine Linie zu halten, wegen der abführenden Wirkung. Lecker und Gesund: Für mich eine Win-Win-Situation.

Wenn ich genug über mein Ziel herausgefunden habe, fange ich an, Kritiken zu schreiben. Beleidigen ist eine Möglichkeit und würde mein impulsives Verlangen nach Gewalt stillen, aber es ist nicht so nachhaltig wie das, was ich tue. Ich erstelle ganze Steckbriefe. Versagens-Steckbriefe. Collagen. Ich mag ja kreative Arbeit sehr, komme aber in meiner Aufgabe kaum dazu. Aber wenn ich Statusmeldungen von Trennungen, Absturzfotos von Parties und andere Zeichen der Unsicherheit zusammenfüge, dann bin ich schon ganz zufrieden.

Aber nicht zufrieden genug. Dieses letzte Quäntchen zur Befriedigung, zur vollständigen Kompensation fehlt dann noch. Ich merke schon, wie ich schon bei Fertigstellung der Collagen schwerer atme und mich kurz vor diesem orgasmischen Moment befinde, aber es fehlt noch dieses letzte Kitzeln, dass mir die gesamte Last abnimmt und den Druck aus meinem Körper schießen lässt. Ich muss auch zugeben, ich habe ein Weilchen gebraucht, bis ich auf diese Idee gekommen bin.

Pflaumen sind gesund und lecker, aber inzwischen nasche ich sie auch nicht mehr. Ich verschlinge sie. Ich fange mit einer Handvoll an, wenn ich die ersten Klicks im Netz mache und dann nehme ich mir nochmal ein paar, stecke sie mir alle auf einmal in den Mund. Es muss schon so ein Klumpen sein, wie ein sehr großes altes Kaugummi aus dem ich immer mal wieder ein Stückchen mit der Zunge heraus tänzel, dass ich dann herunterschlucke. Schon die Vorfreude die ich empfinde, wenn es sich durch meine Körpermitte bewegt ist unfassbar. Besser als jeder Erfolg.
Und wenn ich dann so zwei - drei Packungen Pflaumen gegessen habe, braut sich, mit dem restlichen Essen, in meinem Magen ein Geschoss zusammen.

Jetzt zum Beispiel bin ich an den Strand gegangen. Es ist wichtig beim Filmen auf das richtige Licht zu achten. Erst zeige ich meine Collage in die Kamera, dabei spreche ich aber nicht. Könnte ich auch nicht. Meist bin ich dann so aufgeregt, dass ich nur noch tief, aber friedlich atmen kann. Wenn ich die Collage - Auf der ich auch immer ein paar Kommentare vermerkt habe, damit das Versagen auch ganz sicher klar wird - dann durch habe, lege ich sie auf den Boden und lasse den Saft meiner Glückseligkeit auf der Collage nieder. Die Pflaumen, die wundervolle Arbeit geleistet haben, feuern einen semigen ekelhaften Brei aus meinem Darm.

Meist reicht es mir so weit, was das Video an geht. Später wird das dann mein armer "Kritiker" in seinem Email-Eingang finden. Ich habe mit meinem Schattenkonto natürlich auch eine Lesebestätigung angefordert. Eine gewisse Sicherheit brauch ich dann doch.

Das reicht mir dann für die Kritiker im Internet, aber es gibt ja auch noch die Menschen von der Presse. Die kann ich leider nicht auf diese Art behandeln. Außerdem bin ich meist nach Sieben bis Zehn Collagen mit Topping ganz schön erschöpft. Daher mache ich es mir mit den Zeitungen leicht. Ich werfe sie alle mit den Collagen auf einen Haufen und dann zünde ich sie an. Irgendwie ist es anfangs seltsam, sein eigenes Gesicht in einem giftigen Fäkal-Papier-Feuer vergehen zu sehen, aber der Zweck heiligt hier die Mittel.

Sie können sich einfach nicht da rein versetzen, wie groß der Druck ist, wenn die ganze Welt glaubt, denn eigenen Job besser machen zu können. Da wird man in der Kompensation dann sehr kreativ und vermutlich auch etwas verrückt, aber für mich funktioniert es. Das ist ja auch ganz ähnlich, wie mit meiner Arbeit: So ganz versteht mich in meinen Vorhaben keiner, aber am Ende sind doch alle wieder glücklich.

"Herr Löw?"
Die Pressekonferenz nach dem 7:1 Sieg gegen Brasilien war ein wenig ins Stocken geraten, den der Trainer der Fussball-Mannschaft aus Deutschland war mit seinem Blick ein wenig abgedriftet. In seinem Schweigen von allen Journalisten angestarrt, schüttelte er kurz seinen Kopf.

"Entschuldigung, was war ihre Frage?", wollte Jogi Löw nochmal wissen.
"Wie sie mit dem hohen Druck der Kritik an ihrer Arbeit als Trainer umgehen, vorallem, wenn die Jungs dann so eine Leistung auf den Platz bringen?"
Bundestrainer Löw entsprang ein unverfälschtes und tiefenentspanntes Lächeln.
 "Das muss man natürlich irgendwie kompensieren. Ich setze mich dann gerne nochmal an ein schönes kleines Lagerfeuer."
Und dann nahm er sich noch eine kleine Pflaume aus dem Schälchen neben seinem Mikrofon. 

Kommentare

  1. Da nimmt wer des Ausdruck - "Drauf geschissen!" - ja sehr wörtlich! :D

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    1. Na dann halt Redewendung! ;P

      Obwohl ... das würde ja die ganze Doppeldeutigkeit zunichte machen. ^^

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  2. Anonym15.7.14

    diesen sinnlosen Artikel kapiere ich leider nicht

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    1. Es ist eine etwas absurdere Vorstellung, wie Jogi Löw wohl mit der Kritik und dem Widerstand der Medien und im Netz umgeht. Bis zu jetzt erfolgten Meistertitel wurde der Gute nämlich nicht sonderlich ernst genommen und warum sollte jemand in so einer Größenordnung nicht etwas seltsame Neigungen haben, seine Frustration aus zu leben?

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