Das vegan vegetarische Problem


Als die Küchenfrau mich fragt, bin ich der Einzige, der etwas irritiert ist. "Normal oder vegetarisch?" Vegetarisches Essen ist doch auch normal. So viele, die inzwischen vegetarisch essen, dass kann doch nichts besonderes mehr sein. Ja, jeder der sich stark darum bemüht nicht mehr dem Mainstream zu entsprechen, muss sich doch schon was neues einfallen lassen, denn fleischlose Ernährung ist doch im Mainstream angekommen.
Zugegeben, garantiert nicht in der Mitte der Gesellschaft, aber Vegetarismus steht auch nicht mehr alleine auf der Party in eine dunklen Ecke und nuckelt an seinem Selerie, sondern darf bei Tofuburgern und Seitanbuffet voll zu langen. Aber so wirklich richtig richtig möchte immer noch niemand Vegetarismus finden. Warum eigentlich?
Vegetarismus und auch sein strengeres Geschwister Veganismus haben ja eine Sache ganz auffällig gemeinsam: Das Suffix "-ismus". Ein Anzeiger für Ideologien und geistige Überzeugungsströmungen, so wie wir es von Religionen oder auch politischen Überzeugungen kennen. Von Islamismus über Kommunismus zu Faschismus, was hinten -ismus dranhängen hat, steht für strenge Linie und vollständige Überzeugung.

Und so kennen wir aus den 90igern ja auch noch die fleischfreie Bewegung: Als hippieeske Ökoterroristen, die anderen Menschen den Spaß am Leben nicht gönnen, deren Pelze mit Farbbeuteln beworfen haben und jeden Carnivore zum brutalen Massenmörder abgestempelt haben. Das Bild war und ist einfach: Wer unbedingt überzeugt ist und da nicht mehr mit sich reden lässt, der ist radikal und Radikalität passt halt auch nicht gut in die Mitte der Gesellschaft.
Der gewünschte Effekt der damaligen - auch oft durch die Popkultur überzogen dargestellten Bewegungen - wurde aber teilweise erreicht. Menschen interessierten sich für die Alternative, wenn auch mit unterschiedlichen Ambitionen. Manche hatten sich selber ein Haustier zu gelegt und es erschien ihnen plötzlich absurd Tiere zu essen, andere begegneten irgendwann beeindruckenden Dokumentationen wie "We feed the World" und haben sich von den Bildern und Daten beeindrucken lassen. Wiederum andere haben einfach kein Fleisch vertragen und hörten deshalb damit auf es zu essen. Die Beweggründe sind so vielfältig wie die Geschmäcker der Menschen.
Was sich daraus aber heraus bildete waren "Schläfer". Verdeckte Vegetarier, denen es keiner mehr ansehen konnte, weil sie sich eben nicht ihre Kleidung selber aus Jute und Hanf zusammen strickten und mit Batikshirts auf die nächste Demo stolperten, sondern Menschen, die einfach unauffällig waren. Und sie ruhten im Untergrund, ohne ihre Natur zu offenbaren und ließen die Bombe immer erst dann platzen, wenn sie mal zum Essen eingeladen wurden.

Das war früher. Die Wirtschaft hat aber inzwischen auf etwas reagiert, was für mich die Konsequenz aus meiner mangelnden Disziplin und den fehlenden Einfluss auf das Einkaufsverhalten meiner Eltern war: Ich habe damals zusätzlich zu unserem "normalen" Essen auch vegetarische Produkte aus dem autonomen Zentrum in Mülheim gekauft aus einem ganz banalen Marktwirtschaflichem Grund: Angebot und Nachfrage.
Mir war klar, dass wenn ich mich daran beteilige, das vegetarische Produkte mehr nachgefragt werden, diese auch breiter, häufiger und günstiger angeboten werden. Ob günstiger jetzt besser ist, darf jeder mit sich ausmachen, Realität ist aber inzwischen:
Vegetarier und Veganer sind marktrelevante Kundengruppen. Wie der Markt darauf aber reagiert, gibt mir ein Rätsel auf. Zu dem Rätsel kommen wir aber später noch, vorher machen wir eine kleine Reise.

Ich esse sehr gerne. Und ich esse alles. Es gibt nichts, was ich nicht esse, nur einige wenige Sachen, die ich nicht bevorzuge. Das ist erstmal nichts besonderes. Im Rahmen von "Ich ziehe bei meinen Eltern aus" habe ich mich natürlich auch intensiv damit beschäftigen dürfen/müssen, für mich selbst kochen zu dürfen/müssen. Mein Beschluss, mein persönlicher "-ismus", war ganz einfach:
Lecker-is-mus(s).

Und das bedeutete in meinem Fall asiatische Küche. Von der ich keinen Schimmer hatte. Also recherchierte ich und stellte dabei spannenderweise fest, dass im asiatischen Raum Vegetarismus und Veganismus überhaupt gar nichts besonderes sind. Meine Freunde mit Zuwanderungsgeschichte aus diesen Regionen waren zum Teil selbst Vegetarier, die es aber nie gemerkt hatten, weil sie nie darüber nachdachten.
Denn in vielen asiatischen Küchen gibt es eine ganz markante Unterscheidung nicht, die ich aber aus meiner Kindheit und Jugend sehr gut kannte:
Hauptspeisen und Beilagen.
Schnitzel? Hauptspeise. Salat? Beilage. Fisch? Hauptspeise. Kartoffeln mit Sauce? Beilage.
Klar, dass mensch sich damit schwer tut auf Fleisch zu verzichten, wenn seiner kulturellen Überzeugung nach damit der Mittelpunkt aus dem Essen gerissen wird. Wer aber nicht nach Haupt- und Neben-Essen trennt, hat am Ende nur Hauptspeisen auf dem Teller oder besser gesagt Komponenten einer geschlossenen Hauptspeise. So kannte ich es auch von meinen oben erwähnten Freunden, wenn sie mich zum Essen eingeladen hatten. Und so kennen wir es inzwischen ja auch aus den Restaurants: Alle Einzelteile können nach freien persönlichen Vorlieben zusammen gestellt werden.

Moment mal! Bedeutet das etwa, der Verzicht auf Fleisch könnte auch einfach als eine Abneigung/Vorliebe beim Essen gesehen werden? Vielleicht. Kommen wir zurück zu dem Rätsel, welches der Markt mir aufgibt:
In der Breite der Produktpalette für Vegetarier und Veganer fällt mir immer wieder auf, dass die Begeisterung sehr hoch zu sein scheint, Produkte aus der Fleischproduktion als fleischlose Versionen nach zu stellen. König der Skurilität sind für mich die veganen Chicken Wings mit künstlichem Knochen. Das habe ich nicht verstanden. Sowieso: Wenn alle Sachen ohne Tier darin automatisch vegan sind und auch vegetarisch, wieso muss ich dann mit Tofu einen Ersatzstoff generieren, der mir die Konsistenz von Fleisch vortäuscht?

Warum mir das skurril erscheint? Ich verdeutliche an einem Beispiel.
Viele Vegetarier und Veganer dürften folgendes Gespräch gut kennen.

A: "Du ist gar kein Fleisch?"

B: "Nein."
A: "Auch kein Huhn?"
B: "Auch kein Huhn."
A: "Und was ist mit Fisch?"
B: "Auch nicht."
A: "Ach komm. Probier doch mal den Fisch hier. Der ist echt toll." 

Stellen wir mal die Beweggründe des Vegetarismus hinten an und stellen uns vor, dass hier keiner dieser aggresiven Kampf-Vegetarier sitzt, wie es sie ja nun wirklich gibt. Stellen wir uns aber auch mal vor, dass es sich hier halt wirklich nur um eine Essgewohnheit handelt. Eine Essgewohnheit wie jede andere.

A: "Du ist gar keine Pilze?"

B: "Nein."
A: "Auch keine Pfifferlinge?"
B: "Auch keine Pfifferlinge."
usw.

Nie im Leben würden wir doch auf die Idee kommen, jemandem der keine Pilze mag, dahin zu diskutieren, welche zu essen!
Noch wahnsinniger wird es dann, wenn ein Mensch es nicht verträgt. Und ja, es gibt Menschen die kein Fleisch vertragen können. Und wer keine Pilze isst, gilt ja auch nicht als Antifungiist, sondern einfach nur als jemand der keine Pilze mag. Noch viel weniger würden wir dann noch auf die Idee kommen, ein Produkt zu entwerfen, welches wie Pilze aussieht und schmeckt aber nicht aus Pilz sondern einer anderen Zutat ist. 

Also ich meine, bösen Zungen zufolge, gibt es schon solche Produkte, die nicht beinhalten, was sie vorgeben zu sein, aber die hat sich doch keiner so gewünscht!

Das vegan vegetarische Problem ist eines, was auf der falschen Annahme basiert, Essgewohnheiten wären eine fanatische religiöse Überzeugung, was leider von beiden Seiten in diesem sinnlosen Konflikt irgendwie beschworen wurde. Ergebnis sind dann so halbgare (haha) Beiträge in Blogs, die den Verzicht auf Fleisch direkt als Eingriff in die persönliche Freiheit sehen. Das Problem ist eine alte Mauer in unseren Köpfen, die Fleischesser und Vegetarier/Veganer von einander trennt, so wie es auf unseren Tellern Hauptspeisen und Beilagen sind, nur weil wir die fanatischen Überzeugungen und Vertreter ätzend finden.
Ein entspannteres Verhältnis zu dem Thema kann vorallem dann entstehen, wenn wir jede Art sich zu ernähren als "normal" ansehen.

Kommentare

  1. *schmunzel*
    Netter Beitrag. Als Verfechter der ausgewogenen Ermährung bleibe ich trotzdem dabei ... "Normal" ist das was unsere Anatomie uns bescheinigt. Da reicht ein Blick auf unsere Beißerchen, der uns eindeutig als Allesfresser ausweist. Allerdings vertrete ich auch die Meinung das man Vegitarier und Veganer ihren Willen lassen sollte. Jedem das seine. Alles andere verursacht nur Stress! ;)
    Im Grunde trifft es folgender Satz recht treffend ... "Ich hab nix gegen Essgewohnheiten! Ich hab nur was gegen Missionare!" ;)

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    1. Die Ausweisung als Allesfresser macht es ja aber nicht zu einer Verpflichtung. Wir sind ja nicht mehr an die biologischen Verpflichtungen unserer früheren Evolutionsstufen gebunden. Die Überprüfung unserer Geschlechtsmerkmale würde uns ja auch zur Heterosexualität verpflichten, was aber gesellschaftlich vollkommen überholt ist und auch nicht mehr zwingend notwendig zum Fortbestand der Menschen ist.

      Die Missionare empfinde ich auch als extrem störend, daher will ich ja Grenzen aufweichen.

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    2. Naja ein normaler Vegitarier erfüllt ja zwangsläufig auch die Allesfresserkriterien somit ist die biologische Verpflichtung" da eigentlich auch gegeben. Es geht halt in erster Linie darum was der Mensch als Organismus zum gesunden Leben braucht und da gehören tierische Eiweiße nunmal dazu.

      Was gleichgeschlechtliche Relationen angeht sind das zweipaar Schuhe. Ein klassischer Apfel-Birnen-Vergleich. Das ist nämlich im Tierreich durchaus normal.

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    3. Auch wieder wahr und Essen kann man es auch! ^^
      Ich meinte damit auch nur das ich noch nie eine veganischen Löwen gesehen habe oder ein Wildschwein, dass sich nur noch die Eicheln aus dem Morast pickt und die leckeren Würmer verschmäht. ;)

      Das hat was mit Selbsterhaltung zu tun. Das andere nur was mit Triebbefriedigung! ;)

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  2. Anonym9.12.14

    Nur, dass der Löwe vor einem Lkw voller Salat verhungern würde, während der Mensch zum Glück die Möglichkeit hat, zu wählen. Und wo fängt die Natur des Menschen an, wo hört sie auf?

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