Eine Preisverleihung als "entwürdigendes Spektakel"
Wir schreiben das Jahr 2008 und stehen kurz vor der Verleihung des Deutschen Buchpreises. Ein Preis, der 2005 eingeführt wurde und internationalen Vorbildern wie dem Booker Prize nachempfunden ist. Der Preis ist zum wichtigsten im deutschen Literaturbetrieb avanciert und wird medial groß aufbereitet. Um den Preis verleihen zu können, müssen Listen erstellt werden, auf denen potenzielle Gewinner zu finden sind. Diese werden durch eine Jury erstellt, die zunächst eine Longlist bekannt gibt, um diese später noch auf eine Shortlist zu verkleinern, aus deren Auswahl dann der Sieger gekürt wird. Gerade als die Shortlist des Jahres 2008 bekannt gegeben wurde, traten die Kritiker auf den Plan. Mit lauterer Stimme als zuvor.
Einer dieser Kritiker war - oder ist, man weiß es nicht so genau - Daniel Kehlmann, der in der F.A.S. seinen Kommentar "Entwürdigendes Spektakel" veröffentlichte und sich insbesondere über die Art der Verleihung ärgerte, weil zum einen der Preis medial breitgetreten wird und zum anderen die Schriftsteller der nominierten Werke beim Preis gerade durch die Präsenz in der Öffentlichkeit zur Anwesenheit verpflichtet sind, was für sie "eine Quelle der Sorge und der Depression"[1] darstelle.
Ebenso störte ihn, dass der Preis durch seine Longlist und Shortlist die Aufmerksamkeit des Feuilletons nur auf die sich auf diesen Listen befindlichen Bücher lenke, und somit "Bücher, die nicht auf der sogenannten Longlist stehen, kaum noch rezensiert werden, ganz gleich, wie gut sie sind und ganz gleich von wem."[2] Und eine Schelte der Jury durfte natürlich ebenso wenig fehlen, ist schließlich sie es, die solche Listen erstellt. Denn nach Kehlmann werden "die Wertungen der Jury trotz unterschiedlicher Teilnehmer immer wieder nach den außerliterarischen Mechanismen eines zwar nicht korrupten, aber doch sehr verfilzten Milieus erfolgen [...]"[3], womit der Jury gleich die gesamte Objektivität, mit der ein solcher Preis eigentlich verliehen werden soll, abgesprochen wird.
Eine Antwort darauf ließ nicht lange auf sich warten und wurde vom Börsenvereins-Vorsteher Gottfried Honnefelder verfasst. In seinem Brief ist ihm die von Kehlmann erwähnte "Anwesenheitspflicht" nur eine Randnotiz wert, wenn er Post Skriptum erwähnt, dass er durch Kehlmann das erste Mal überhaupt von einer Anwesenheitspflicht hört.[4] Schließlich seien "[d]ie Modalitäten des Deutschen Buchpreises [...] allemal bei Goncourt und Booker Prize abgeguckt."[5] Und bei diesen Preisen ist eine Anwesenheitspflicht der Nominierten ebenso wenig vorgeschrieben. Vielmehr kommt es Honnefelder darauf an klarzustellen, dass, wenn man eine Auswahl treffen muss, nie alle Werke berücksichtigen kann. Um es in eigenen Worten trivial auszudrücken: Man kann es nicht allen recht machen.
Honnefelder rückt vor allem die Kanonisierung in den Mittelpunkt. Egal in welcher Form, z.B. einer Fernsehsendung, mit Bestsellerlisten oder eben einem Preis, "alle bringen Bewertungen in das literarische Leben, ohne deren Transparenz und Maßstab wir heute wohl nicht mehr auskommen. Der Inhalt muss den Weg zum Leser erst einmal finden."[6] Damit hat er Recht, doch wird nicht klar, mit welchen Kriterien die ausgewählten Werke letztlich bewertet werden und wie man zu der Aussage, es handle sich beim Gewinner um die beste deutschsprachige Literatur des Jahres gelangen kann. Damit wäre man aber auch bei der Frage: Wie kann man Literatur überhaupt bewerten? Darauf soll an dieser Stelle aber gar nicht weiter eingegangen werden, liegt darin auch nicht der Kern des hier dargestellten Problems.
Der Anfang der Auswahl
Was man sehen muss, ist die Tatsache, dass weder Kehlmann noch Honnefelder erwähnen, dass die Auswahl schon beim Verlag beginnt. Die Longlisten werden nämlich aus von den Verlagen eingereichten Werken erstellt. Somit muss bereits beim Verlag eine Art Jury darüber entscheiden, wer "durchgeschleust" wird. Somit beginnt eine Bewertung von Literatur schon "im eigenen Haus". Zunächst sind es die Verlage, die sich um den Buchpreis bewerben. Würden sie nichts einsenden, hätte die jeweilige Jury letztendlich keine Auswahl, anhand derer die Longlist, die Shortlist und der Gewinner gekürt werden könnte.
Wenn man also den Buchpreis abschaffen will, so müsste man nicht nur die Preisverleiher, in diesem Fall also den Börsenverein des Deutschen Buchhandels, sondern gleich alle Verlage zu diesem Schritt bewegen. Man kann sich denken, dass sie einen Teufel tun würden. Schließlich bringt auch ihnen der Preis Prestige, wenn man behaupten kann, man hätte den Deutschen Buchpreis-Gewinner des Jahres XY im Hause. Steigende Absätze sind dabei auch nicht zu verachten.
Vielleicht ist auch einfach der Untertitel des Deutschen Buchpreises fehlleitend, wenn behauptet wird, man küre "den besten Roman der deutschen Sprache"[7]. Von einer solchen Anmaßung gehen die Verleiher - hoffentlich - nicht tatsächlich aus. Vielmehr ist diese Aussage als eine weitere clevere Marketingstrategie zu sehen. Irgendwie muss sich ein Preis vom anderen abheben. Wenn die Betreiber den eigenen Preis als "einfachen" Literaturpreis hinstellen würden, hätte dies sicherlich nicht den gewünschten Effekt und sowohl die Betreiber als auch der gesamte Literaturbetrieb würden wohl schnell das Interesse daran verlieren.
Monika Maron bringt es auf den Punkt, was der Deutsche Buchpreis eigentlich ist. Wenn man ehrlich ist, geht es nicht um Literatur, sondern zunächst einfach um den Markt und Profit, letztlich: Marketing. Maron dazu:
"Es ist vollkommen gleichgültig, ob die Shortlist akzeptabel ist oder nicht, ob das prämierte Buch den Preis verdient haben wird oder nicht, weil dieser Preis kein Buchpreis, sondern ein Marketingpreis ist. Es geht nicht um Literatur, sondern um die Verkäuflichkeit von Literatur ohne großen Aufwand, vom Stapel weg wie die neueste Single vom neuesten Superstar. Diese krawallige Castingshow dient weder den Verlagen noch weniger den Autoren, sondern vor allem den bestsellersüchtigen Buchhandelsketten, deren vielgeschmähtes Geschäft wir mit diesem Preis nun aber selbst auf die Spitze treiben. [...] Es spielen alle mit, weil sie fürchten, sonst nicht mehr auf den Listen von Hugendubel und Thalia zu landen oder nie wieder, nicht einmal schlecht, rezensiert zu werden, denn die Literaturkritik ist der andere Gewinner des Spektakels. Plötzlich hat sie wieder Macht, nachdem ihre Hymnen oder Verrisse für den Verkauf nahezu wirkungslos geworden waren."[8]
Der Autor: Das Marketinginstrument
Maron ist selbst für die Abschaffung des Deutschen Buchpreises, weil sie Herrn Kehlmann zustimmt, dass der Preis eine reine Show sei und eben mehr wie eine "krawallige Castingshow" daherkommt. Sie fühle sich als "Spielmaterial für Marketingstrategien"[9], allerdings nur, wenn es um den Deutschen Buchpreis geht.
Schließlich gibt es "genügend Preise, die der ernsten und wenig glamourösen Arbeit des Bücherschreibens angemessen sind."[10]
Es scheint den Schriftstellern also hauptsächlich darum zu gehen, dass der Deutsche Buchpreis zu viel körperlichen Einsatz des Autors erfordert und man sich so vorkommt, als sei man nur dazu gut, sein Buch vorzustellen und schön brav immer wieder den Sponsoren zu danken. Der Glamourfaktor ist anscheinend zu hoch, insbesondere aber wichtiger als das eigene Werk, in diesem Fall also das nominierte Buch. Dieses spielt eigentlich gar keine Rolle. Man stelle sich nur vor, wie die Autoren sich auf Lesungen fühlen müssen.
Es geht anscheinend vielmehr darum, wie sehr der Deutsche Buchpreis aufgebauscht wird und man nicht mehr von einem Literaturpreis sprechen kann, sondern davon, dass der Deutsche Buchpreis "zu einer Marke geworden"[11] ist. Er ist wie ein Stempel, den man nicht mehr loswird. Beim Neudruck des Gewinners wird kurz zuvor die Korrektur des Covers, Buchrückens etc. vorgenommen, um den Käufer und potenziellen Leser auch darauf hinzuweisen, dass man nun den Gewinner des Deutschen Buchpreises in Händen hält.
Kann man nicht aber auch sagen, dass die Autoren für die durch den Buchpreis verursachten Strapazen entschädigt werden? Man wird bekannt, erhält Geld, man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass das eigene Buch kurz darauf für eine gewisse Zeit im Verkaufsrang steigt - ein Graus für manche: man könnte letztlich auch noch auf einer dieser ominösen Bestsellerlisten landen - und selbst die früheren oder gar späteren Werke werden vermehrt gekauft und hoffentlich sogar gelesen. Aber darauf kommt es den Buchhändlern ja nicht an.
Und man vergisst dabei auch noch etwas anderes: Dies alles gilt eigentlich nur für den Gewinner des Deutschen Buchpreises. Alle anderen werden relativ bald vergessen, weil sich alle nur auf den Gewinner stürzen. Die Verlierer sind zunächst die, die nicht vom Verlag selbst berücksichtigt werden und nicht auf der Longlist landen; schließlich die, die es nicht von der Longlist auf die Shortlist schaffen; und zu guter Letzt fallen diejenigen weg, die nicht gewinnen, außer noch einen kleinen Geldbetrag, den man vielleicht wirklich als Entschädigung für die Strapazen sehen kann. Man kann die Aussage, der Deutsche Buchpreis bedeute großen Stress, dadurch wohl eher verstehen, vor allem wenn man sieht, dass die Prozedur der Auswahl mehr einem sportlichen Wettkampf gleicht.
Verfall der Literaturförderung
Doch auch wenn die Autoren dem Deutschen Buchpreis nicht allzu viel abgewinnen können und man verstehen kann, dass allein die Nominierung schon psychischen Stress auslösen kann, sollte man sich einmal die Frage stellen, ob man mit der Abschaffung eines solchen Preises nicht auch ein wenig die Literaturförderung zerstört. Schließlich ist ein solcher Preis zweifellos auch immer als Förderung anzusehen, weil das Preisgeld dem Autor ein unabhängiges, dem Schreiben gewidmetes Leben ermöglicht, sich gleichzeitig die Verkaufszahlen erhöhen und man erwarten kann, dass sich, zumindest das auf den Gewinn folgende Buch, auch relativ gut verkaufen wird oder zumindest kann.
Aber genau das ist es, was die kritisierenden Autoren im Fall des Deutschen Buchpreises nicht wollen, weil diese Maschinerie hier auf die Spitze getrieben wird und nichts mehr mit der eigentlichen Förderung des Autors, sondern nur mit der des vertreibenden Buchhandels zu tun hat. Nicht mehr der Autor und sein Werk stehen im Mittelpunkt und werden gewürdigt, sondern allein die mediale Inszenierung, mit der sich der Literaturbetrieb selbst feiert.
Wie sagt Kehlmann am Ende so schön: "Den Preis abschaffen? Schön wär's, aber das wird nicht gelingen. [...] [Aber] warum kann man nicht in einer feierlichen Veranstaltung den Gewinner bekanntgeben, ohne aber die Autoren zum Anreisen zu zwingen und nebeneinander vor die Kamera zu setzen wie Schlagersänger in einer Castingshow?"[12] Vielleicht sollte man einfach nur solche Autoren wie Frank Schätzing nominieren. Dieser Schlag von Autor würde die Inszenierung des Buchpreises gleich selbst in die Hand nehmen. Aber damit hätten die Autoren wieder zu viel Einfluss. Man würde sie wahrnehmen, ihnen Respekt zukommen lassen, sie möglicherweise letztlich sogar noch als menschliche Wesen sehen. Man würde sie nicht mehr in einen sportlichen Wettkampf zwingen, bei dem immer nur einer gewinnen kann. Und damit ist der Buchhandel gemeint, nicht der Autor. Allerdings profitiert auch der Autor wieder von einem lebendigen Vertrieb. Nur wollen Autoren nicht unbedingt in die Öffentlichkeit gezerrt werden. Zumindest nicht auf die Weise, wie es beim Deutschen Buchpreis geschieht.
Vielleicht sollte man einen Autor wieder mehr als Menschen sehen anstatt als eine bücherproduzierende Maschine, auf die man ein paar Sticker der Art "Gewinner des Preises So-und-so" kleben kann. Aber das kann man im Literaturbetrieb schließlich nicht zulassen. Oder?
Literaturangaben
Deutschlandradio Kultur: Deutscher Buchpreis ist zu einer Marke geworden http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/678105/
Homepage Deutscher Buchpreis: Über den Buchpreis 2010
Honnefelder, Gottfried: Wir werden den Deutschen Buchpreis nicht abschaffen
Kehlmann, Daniel: Entwürdigendes Spektakel
Maron, Monika: Wir Autoren sollten den Preis boykottieren
[1] Kehlmann, Daniel: Entwürdigendes Spektakel
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Vgl. Honnefelder, Gottfried: Wir werden den Deutschen Buchpreis nicht abschaffen
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Homepage Deutscher Buchpreis: Über den Buchpreis
[8] Maron, Monika: Wir Autoren sollten den Preis boykottieren
[9] Maron, Monika: Wir Autoren sollten den Preis boykottieren
[10] Ebd.
[11] Deutschlandradio Kultur: Deutscher Buchpreis ist zu einer Marke geworden
[12] Kehlmann, Daniel: Entwürdigendes Spektakel
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