Buchrezensionen: Wagner, Ritter, Zymny und das Problem mit Slammer-Büchern
Über Poetry Slammer erzähle ich hier ja immer mal wieder was. Es soll aber nicht um das "auf der Bühne" gehen, sondern um das, was für viele Bühnenliteraten Ziel der Reise ist: Ein eigenes Buch veröffentlichen. Die Bücher die ich heute vorstelle, sind alle von Poetry Slammern und sind sehr verschieden. Zusammen rezensiere ich sie trotzdem aus gutem Grund, denn ich möchte über etwas reden, was ich als ein Problem bei den Büchern von Bühnenliteraten empfinde.
Daniel Wagner – Vollassimuse
Hier haben wir es mit einer Anthologie
zu tun, also einer Ansammlung von verschiedenen Texten, die zu ganz
verschiedenen Anlässen und Themen zum Einsatz gekommen sind.
Normalerweise sind diese Sammelwerke eine Art "Best of" im
recht sterilen Gewand, da meist jeder Text für sich steht und selten
eine Verknüpfung zwischen ihnen besteht. Es ist also eher ein
episodisches Werk und da kommt wieder mein persönlicher Fachterminus
zum Einsatz: Klobücher.
Auch bei Daniel Wagner lässt sich
perfekt eine Geschichte in einer Sitzung lesen, denn durch die Kürze
der Werke und verschiedenen Themen bricht der Lesefluss mit dem Ende
einer Geschichte immer ab.
Das liegt aber nicht an Daniel Wagners
Schreibstil oder besser Wortstil, sondern in der Natur der Sache,
dass jede Geschichte in sich beendet ist. Wagners Wortstil ist
nämlich ein ganz besonderes Plus dieses Buches. Mit großem Wortwitz
und cleveren Sprachspielereien wendet Daniel Wagner seine Geschichten
in unerwartete Richtungen, so dass mensch selten sicher sein kann, ob
er am Ende der Reise da ankommt, wo der Anfang der Geschichte
hinzeigt. Das macht immer neugierig und gieriger nach mehr, denn die
geschlagenen Brücken beinhalten zusätzlich auch noch oft eine
zweite subtilere Ebene, die viel Platz für Interpretationen lässt.
Auch wenn seine Wortwahl sehr
unterhaltsam ist, ist nicht alles humoristisch, was ich persönlich
als Stärke sehe. Die Ausgewogenheit ist groß.
Was allerdings immer bestehen bleibt,
ist der biografische Geschmack dieses gemischten Salats, denn weit
vom studentischen Lebensalltag eines jungen Erwachsenen kommt er nie
wirklich weg.
Um seine Anthologie von anderen
Sammlungen noch weiter zu unterscheiden, hat Wagner sich eine
Zeichnerin mit ins Boot geholt, um diverse Texte mit Bildern zum, im
und auch statt Schrift aufzulockern. Das klingt unfassbar modern, ist
auch modern umgesetzt, hat mich aber sofort an alte Heinz Erhardt
Werke erinnert, die auch mit vielen Illustrationen gerabeitet haben.
Mit einer Schwäche, die ich auch schon
anderen Anthologien bescheinigt habe, hat aber auch dieses Buch zu
kämpfen: Es ist spürbar, dass diese Texte meist auf der Bühne
aufleben. Ohne die Intonation und das Timing des Vortrags gehen viele
extrem clevere Wortwitze einfach unter und entfalten nicht die selbe
Wirkung, wie sie es auf der Bühne tun würden.
Wenn das aber nicht sonderlich stört
und subtile Wortspielereien mag, sollte dringend zugreifen und mit
Daniel Wagners Buch sehr glücklich werden.
Christian Ritter – Die sanfte
Entführung des Potsdamer Strumpfträgers
Den Herren Ritter hatten wir ja schon
mal hier in einer Rezension, damals mit seiner Anthologie
"Geschlechtsverkehr: Eine Einführung" und ich hoffe und
flehe immer noch, dass er meine Beurteilung nie lesen wird. Die oben
genannten Symptome haben damals für mich den Lesespaß gemindert.
Episodisch, nicht zusammenhängend (genug) und der Faktor Bühne
fehlte einfach.
Ich kenne Christian Ritter nicht
persönlich, aber wenn mich jemand jetzt fragen würde, würde ich
sagen: "Der hat damals nur geübt!" Denn dieser Roman ist
absolut großartig und uneingeschränkt empfehlenswert.
Da ich nicht zu viel vorweg nehmen
möchte, die Geschichte in kürzester Kurzform:
Der vielleicht größte und
menschlich-durchschnittlichste Wer-Wird-Millionär-Fan bekommt die
Chance endlich auch in der Sendung auf dem Ratestuhl zu landen. Doch
während in der heimischen Bauernhof-WG vom Sofa aus alle Fragen so
einfach zu beantworten waren, versagt der Protagonist im Studio
komplett. Er fühlt sich um seine Million
betrogen und kommt so mit seinem Mitbewohner zur einzigen – für
die Akteute – folgerichtigen Plan: Günther Jauch muss entführt
werden.
Wie das alles von statten geht und das
natürlich Dinge anders kommen als geplant, soll euch lieber dieses
Buch erzählen, das ich wirklich uneingeschränkt empfehlen kann. Es
ist witzig, sympathisch, unterhaltsam und obwohl es mit einer
Entführung als Grundlage nach großer Action klingt, ist es ein
angenehm ruhiges Buch. Spannend genug ist es aber trotzdem, da es
genug clevere Wendungen gibt, die einen das Buch nicht aus der Hand
legen lassen. So war es zumindest bei mir.
Wie gesagt: Mit seiner Anthologie hat
Christian Ritter scheinbar nur geübt oder bei einem Verlag einen
Fuss in die Tür bekommen wollen oder es einfach nicht besser
gewusst, ich weiß es nicht. Ich weiß aber sicher, dass dieser Roman
mit großem Abstand besser ist als seine Anthologie. Und die
Kenntnisse die Ritter mit Slamtexten und auf der Bühne sammeln
konnte, nutzen ihm in der Erzählung seiner Geschichte, die jedes
Timing und jeden Wortwitz lieber ihren Akteuren spendiert, ehe sie
zwischen den Zeilen versickern.
Jan-Philipp Zymny – Henry
Frotteys schwerster Fall Teil Zwei, das Ende der Trilogie
Meine lieben Leser, der – zu diesem Zeitpunkt – amtierende
Meister im deutschsprachigen Poetry Slam hat diese Rezension
betreten. Auch wenn ihr in der Bahn sitzt, zu hause vor dem Rechner
oder auf dem Klo in eurem Smartphone das hier lest: Spendet ruhig
etwas Applaus, er wird sich bestimmt freuen.
Wer das Konzept "These-Antithese-Synthese" kennt, ahnt in
dieser dreifach Rezension jetzt schon zu recht, dass Jan-Phillipp
Zymny mit seinem Buch etwas verbunden hat, was die anderen nur
einzeln getan haben. Stimmt, aber dazu kommen wir später, jetzt
reden wir über sein Buch.
Zymny setzt seinen Detektiv Henry Frottey, der sich regelmäßig
ärgert, dass sein Name schwer nach Textilien klingt, auf einen sehr
seltsamen Fall an. In einer Jugendherberge wird einem jungen Mädchen
mit einem Nagelknipser das Rückrad durchtrennt und der
zufälligerweise anwesende Frottey, der eigentlich mit Schokoriegeln
die Schlachten aus 300 nachstellen wollte, übernimmt sofort und
selbstverständlich diese knifflige Kiste. Kein Wunder, die Polizei
ist sogar so überfordert, dass sie nichtmal den Elefant in der einen
Toilettenkabine entdeckt hat.
Ja, ohne Scherz, das passiert alles in diesem Buch und da fängt das
erste Kapitel erst an. Eine Skurilität jagt die nächste und immer
wenn der Leser denken könnte, dass es keine Steigerung der
Verrücktheiten mehr gäbe, beweist der Detektiv im Namen seines
Autors das Gegenteil. Das steigert sich in so unglaublich Höhen, das
irgendwann die größte mögliche Abwägigkeit nur noch die Realität
und das Normale sein kann.
Sowas ist wirklich nicht jedermenschs Geschmack und auch ich war
anfänglich sehr skeptisch. Aber, es hat sich nicht gehalten, denn
neben dem durchgängigen Klamauk und Kuriositätenkabinet versteckt
sich in dem Buch auch noch ein gut konstruierter Plot, der
ausreichend Spannung mit sich trägt, um weiter zu lesen. Es hilft
auch sehr, dass fast alle Figuren sympathisch sind und vollkommen
überzeichnet. Und unsympathische Figuren sterben eh recht schnell,
so dass der Leser sich nicht groß an sie gewöhnen brauch. Da
verrate ich nicht zu viel, wenn ich sage, dass viel viel gestorben
wird in diesem Buch.
Was das Buch für mich besonders unterhaltsam gemacht hat, ist das
konsequente ignorieren von "Regeln". Wenn der Detektiv
plötzlich einfach einen Western träumt oder die Werbung mitten im
Fall kommt, dann frischt es die Lektüre deutlich auf und macht
neugierig, wie es weiter gehen könnte, denn mit Henry Frottey ist es
wie in dem alten Werbeslogan von Axe: Mit ihm kann dir alles
passieren.
Wer es nicht wirsch mag, wird hier auch nicht glücklich, aber wer
sich auf Verrücktheiten und Spielereien in einem sehr gut
geschriebenen Buch einlassen kann, wird eine gute Zeit mit dem Buch
haben. Und das wird viel Zeit sein, das Buch ist mit XXX Seiten auch
ausdauernd.
Wo nimmt der Junge den ganzen Quatsch nur her?
Das Problem
Die Anfrage oder Zusage eines Verlages zu bekommen, dass die dein
Buch veröffentlich wollen, kommt für einen Bühnenliteraten am
Anfang seiner "Karriere" vermutlich nur dem Gefühl einer
erfolgreichen Mondlandung nahe. Es ist ein großes Ziel auf dem Weg
der AutorInnen. Danach kommt eigentlich nur noch "Erfolg haben"
als Ziel, was alle dann irgendwie anders definieren.
Ich gönne jedem und jeder, die hart dafür gearbeitet haben ihre
Bücher, aber möchte denjenigen, die eine Anthologie als erstes
machen wollen, davon abraten oder zumindest empfehlen, diese gut zu
durchdenken.
Die Sache mit den Anthlogien ist nämlich die: Der Poetry Slammer ist
ja per Definition Bühnenkünstler, das Buch passiert aber still im
Kopf des Lesers. Was auf der Bühne ein absolutes Show-Feuerwerk sein
kann, entfaltet in der Lesekomfortzone daheim aber nicht unbedingt
die selbe Wirkung. Was es also braucht, ist ein angepasstes Erlebnis
für die jenigen, die das Buch des Bühnenliteraten mitnehmen.
Ist ja auch irgendwie klar. Eine Band bringt ja auch nicht als erste
Scheibe ihr Best-Of-Live-Album raus. Natürlich versuchen sie mit
ihrem Debüt zu überzeugen und vielleicht sogar ihren Stil und ihre
Geschichte überzeugend vor zu tragen, aber selbst die gehen ins
Studio, um da ihr Material in eine Heimversion zu gießen.
Daniel Wagner versucht mit Illustrationen seine Anthologie von
anderen trüben Textsammlungen ab zu heben, Christian Ritter hat sich
von der Sammlung getrennt um lieber eine große Geschichte zu
erzählen und dann kommt Jan-Phillipp Zymny, dieser Fuchs, und macht
einen besonders cleveren Trick:
Wer ihn nämlich schon auf der Bühne gesehen hat, wird merken, dass er um seine Bühnentexte sehr geschickt seinem Roman drumherum gebaut hat. In einem persönlichen Gespräch hat er mir zwar versichert, dass das so nicht der Prozess beim Schreiben war, das ändert aber nichts daran, dass wer Jan-Phillips Buch kauft, nicht nur einen guten Roman kauft, sondern dabei auch ein Best-Of seiner Texte bekommt. Das diese dabei nicht als einzelne Bühnentexte und Episoden zu erkennen sind, bekommt diesen Stücken aber sehr gut.
Wer ihn nämlich schon auf der Bühne gesehen hat, wird merken, dass er um seine Bühnentexte sehr geschickt seinem Roman drumherum gebaut hat. In einem persönlichen Gespräch hat er mir zwar versichert, dass das so nicht der Prozess beim Schreiben war, das ändert aber nichts daran, dass wer Jan-Phillips Buch kauft, nicht nur einen guten Roman kauft, sondern dabei auch ein Best-Of seiner Texte bekommt. Das diese dabei nicht als einzelne Bühnentexte und Episoden zu erkennen sind, bekommt diesen Stücken aber sehr gut.
Jetzt können wir an dieser Stelle natürlich wieder alles
wegpauschalisieren und sagen, dass natürlich nicht alle ihre Texte
in einen Roman einbinden können, oder einfach mal auf die Schnelle
eine gute Geschichte aus dem Ärmel zaubern. Wir können auch sagen,
dass es natürlich auch Menschen gibt, die gerne Anthologien lesen
und keine zusammenhängende Erzählung brauchen.
Machen wir aber nicht.
Mir gefallen die meisten Anthologien nicht. Vorallem, wenn es sich um
Texte handelt, die für die Bühne geschrieben sind. Und das sage ich
aus der Perspektive von einem, der selbst seine Texte auf der Bühne
liest. Wer sein Erstlingswerk auf den Weg bringt tut sich meiner
Meinung nach keinen Gefallen damit, wenn er nur seine Texte in eine
Reihenfolge bringt und an den Verlag schickt. Egal ob mit
Illustrationen, als Roman oder als Mischform: Mensch sollte sich was
einfallen lassen.
Ich lasse mich auch lieber live von sowas "berieseln". Es mag hart klingen aber oftmals sind die Texte nicht fürs Papier gemacht und entwickeln erst in der Präsentation ihr volles Potential.
AntwortenLöschenDer dritte Buchtitel ist aber zugegebenermaßen ziemlich witzig. ^^
Oh ja...
AntwortenLöschen"Hätte ich irgendwann doch entschieden das Geld zu investieren, dann wohl vermutlich eher in das Hörbuch, welches noch erscheinen und – sofern ich weiß (finde die Quelle gerade aber nicht mehr) von Julia selbst eingesprochen werden soll. Denn das ist das Problem mit den Slam-Texten. Das Problem bei Salmen. Bei Sydow, bei DaVina und eben auch bei Engelmann. Diese Texte sind dafür geschrieben um auf der Bühne präsentiert zu werden. Sie leben (auch) vom Vortrag. Durch die Stimme des Autors. Ich habe wunderbare Slammer auf der Bühne gesehen, die verschriftlicht all ihren Reiz verlieren würden. So ist es auch hier. Die für mich besten Texte sind die, die ich schon live bzw. bei Youtube gesehen habe."
Ein Teil von meinem Fazit nachdem ich "Eines Tages, Baby" von Julia Engelmann gelesen habe.... Wobei mich Wagner trotzdem reizen würde. Und Sydow hat ja zum Glück einen Teil der Texte als CD dabei.
Sag ich ja. :)
LöschenGut zu wissen, dass ich das nicht alleine so sehe.
Ich hab mir so über Nacht überlegt, dass ich den Wagner vielleicht einfach demnächst mal verlose.
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