Fist of Twate

Autor: Jay
Verfasst: April 2009

Fist of Twate

Abgesehen von seinem ungewöhnlichen Vornamen ist Twate kein besonderer Mensch. Twate fährt jeden Morgen zur Arbeit und jeden Nachmittag wieder zurück. Auf der Arbeit programmiert er den ganzen Tag die selben Programme. Er ist ziemlich gut darin. Sowohl im programmieren, als auch darin immer das selbe zu tun. Er bringt nie mehr Energie auf als nötig und erfüllt seinen Vertrag zu hundert Prozent.
Die restliche Zeit verbringt Twate mit seiner Freundin. Mal sind die beiden glücklich, mal nicht. Aber so ist es wohl bei allen, denkt sich Twate. Zu hause spult er den ganzen Tag das selbe Programm ab. Geborgen legt er sich aufs Sofa zu seiner Freundin, lässt sich ein wenig den Kopf kraulen und sieht mit ihr fern. Mal Talkshows, mal Fußball, gelegentlich mal Nachrichten. Immer nur Dinge, die ihn nicht betreffen. Persönliche Krisen, Leistungskampf, Finanzkrise, Krieg. Er nimmt die Dinge auf wie ein Schwamm und wenn es ihm zu viel wird, dann wringt er sich über seiner Umwelt aus. Er wird zu dem sprichwörtlichen überlaufenden Fass. Lösen sich seine Sicherheiten nur im Ansatz auf, dann vergräbt er sich.
Twate ist kein schlechter Mensch, er ist einfach nur gerne mal wütend. Er sagt seinem Chef so gerne, wieviel Spaß es ihm bereitet für ihn zu arbeiten und seiner Freundin so gerne all diese unwahrscheinlich wahren Komplimente die sie so gerne hört. Er sagt seinen Eltern so gerne das alles gut läuft und er doch schon einen guten Job hat. Er bräuchte doch nicht mehr Energie investieren als nötig, dass würde doch nur in Stress ausarten. Und wenn er diese Dinge so freudig oft sagt, dann wird er manchmal wütend. Viele glauben, er wüsste nicht wie gut er es hat.
Er war einmal anders. Freudig fuhr er mit seinem Skateboard durch die Siedlung. Er war hilfsbereit und kreativ. Er malte kleine Cartoons und dachte sich Witze aus. Er wollte Gärtner werden, der beste der Welt. Deshalb half er den alten Damen der Nachbarschaft bei der Gartenpflege. In der Schule lachte man ihn aus. Er schluckte es runter.
Unbemerkt wurde er regelmäßig beim spazieren langsamer, wenn er schöne Pflanzen in den Fenstern sah. Bei ihm zu hause stand keine einzige Pflanze. Wenn er über schöne Brautsträuße sprach, dann lachte man ihn aus. Ein dicker ekliger Klumpen ging ihm dann den Hals runter.

Eines Tages sitzt also eben dieser Twate im Bus zur Arbeit. Es ist ein ganz normaler Mon-, Diens-, Was auch immer-, Arbeits-tag. Twate ist froh von dem kalten Platz neben seiner Freundin entkommen zu sein und zur Arbeit zu dürfen. Dort wartet ein anderer kalter Platz auf ihn.
Ein Raunen geht durch den Bus. Eine Mutter kommt mit ihrem Kind an der Hand hinein. Der kleine Junge trägt eine Art Rüstung und einen Banner am Rücken. Auf dem Banner ist ein Tannenbaum. Die Mutter lächelt überlegen. Für Twate ergibt das wenig Sinn. Sie setzt sich mit ihrem Sohn gegenüber von Twate. Er überlegt und ruft aus seinem Gedächtnis ab, dass man Fremde anlächeln und dann ignorieren sollte. Er schafft es einfach nicht.
Der Junge strahlt aus den Augen, als wäre es der beste Tag seines Lebens. Er ist unwahrscheinlich stolz und Überzeugt. Breit grinst er Twate an: "Ich bin ein Ritter, was bist du?" Twate ist irritiert. "Ich bin ein Programmierer." Der Junge runzelt die Stirn, klart aber sofort wieder auf: "Ich bin ein Ritter vom Tannenbaum. Wir beschützen die Nachbarschaft und helfen jedem der unverschuldet in Not kommt. Das ist unsere Berufung. Was ist deine?"

Das kleine Glas in dem Twate im Kopf seine Sicherheiten aufbewahrt ist einfach runter gefallen.

Twate steht einfach auf und will den Bus verlassen, da packt ihn ein kleiner Panzerhandschuh. "Du bist kein Programmierer. Du bist Gärtner."
Er strauchelt aus dem Bus heraus. Es ist als hätte man seinen Programmcode gelöscht und ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Als er zweifelnd nochmal hineinschaut, da ist der Junge nicht da.

Taumelnd schiebt sich Twate zur Arbeit. Er blickt nur zum Boden und denkt ununterbrochen ans Gärtnern. In seinem Büro sackt er einfach in den Stuhl und beginnt langsam seine regulären Routinen abzurufen. Alles dauert etwas länger, aber es geht.
Nach und nach überspielt Twate die Situation einfach. Er versucht nicht mehr Energie in die Gedanken daran zu verschwenden als nötig. Er programmiert und versucht seinen Kopf nicht von den Fragen einnehmen zu lassen. Eigentlich mag er Programmieren. Es ist doch gut, also wo ist sein Problem. Ritter vom Tannenbaum. So ein Unsinn.
Twates Telefon klingelt und der Chef ruft ihn in sein Büro. Es geht bestimmt um die selbe übliche Besprechung wie jedes mal. Wie ist der Stand? Werden alle Projekte fertig? Könnten sie mir nochmal eben sagen wie gerne sie für mich arbeiten?

Den Bus kann Twate nicht nehmen. Er hat Angst und er ist zu wütend. Alles lief in geordneten Bahnen, bis dieser Junge auftauchte. Twate hat immer einen ordentlichen Job gemacht, jetzt ist er arbeitslos. Zu hause müsste er dann seiner Freundin erklären was los war, er müsste seine Eltern anrufen. Er müsste ihnen erklären wieso er immer nur genausoviel Energie wie nötig investiert hatte. Er müsste erklären wie sein Chef ihn beleidigt und entlassen hat, wie sein Chef ihm einfach gesagt hat, er ist nutzlos. Sein Chef lacht ihn aus, er schluckt es runter.

"Ich werde gehen, Twate!" schreit sie ihm entgegen. Er hat sie angeschrien, sie gestoßen. Sie will ihm helfen, er sieht nur Wut. Sicherheiten die ihm genommen werden und jetzt will das Schicksal ihm noch mehr nehmen. Das Schicksal. Er hat seinen Job gemacht. Er hat genau so viel Energie wie nötig investiert. Jetzt will sie gehen. "Du hast eine Schicksalswendung erfahren, Twate! Und wer ist jetzt schuld? Ich etwa?" Twate antwortet nicht. Er bremst sich. Bei all der Wut will er nicht zerstören. Nicht sie.
"Ich komme morgen nochmal wieder, vielleicht bist du bis dahin wieder bei Sinnen!" Er schwieg, als die Tür zu knallte.
Dieser verfluchte Junge. Twates Ruhe brach und genau so tat es der Putz von den Wänden. Twate bohrt und bohrt seine Fäuste hinein. Er zerschlägt Lampen und Tassen, Sorgen und Zweifel. Sein eigenes heißes Blut spritzt an den Wänden entlang bis er bei Erschöpfung und Blutverlust in Ohnmacht fällt.
Eine wohlige Ohnmacht. Eine in der er den Jungen wiedertraf. Nur diesmal war er selbst ein Kind. Er hatte selbst Glanz in den Augen. Er sagt: "Ich werde Gärtner!" Der Ritter lacht nicht. Er nickt überzeugt. Dann zeigt der junge Ritter vom Tannenbaum mit einem Schwert in die Zukunft. Twate sieht seinen Chef und seine Freundin.


Auf Gardinenstoff schlägt Twate ein letztes mal mit seiner blutigen Faust. Er bindet den Stoff um einen alten Besen, entfernt den Kopf. Mit einem breiten Lächeln schaut er es an, sein Banner. "Fist of Twate" Seine Hände wäscht er aus. Die Wunden verbindet er. Aus Bandagen baut er sich seine Panzerhandschuhe.
Verwundert schaut seine Freundin ihn an als sie die Wohnung betritt. Da steht Twate unter seinem wehenden Banner in einer Rüstung aus alten Eisenplatten und Pfannen, verbunden durch Vorhänge und Tischdecken. Ein Panzer aus Stahl und Baumwolle. Stolz, überzeugt und zu allem Entschlossen.
"Was hast du vor?", fragt sie nur zögerlich und aus einem erschöpften Gesicht sagt Twate:
"Ich ziehe aus, um meine Ehre zu retten. Ich werde zu meinem ehemaligen Herren gehen und ihn auffordern seine Beleidigungen zurückzunehmen. Darüber hinaus werde ich von ihm verlangen mich wieder in seine Dienste zu stellen. Er hat noch lange nicht gesehen, wozu ich im Stande bin."
"Und das hast du in diesem Outfit vor? Geht es dir gut?", lacht sie etwas.
"Mir geht es besser denn je. Und ich werde mit eben dieser Rüstung zu ihm gehen. Die "Fist of Twate" ist mein Banner, es nicht zu tragen wäre Verrat vor mir selbst. Zu dem soll sie mich an Fehler erinnern."
Die Freundin runzelte lediglich die Stirn als Twate auf sie zu geht. Er hebt die Hand und sie zuckt zusammen, doch so zärtlich hatte er sie schon lange nicht mehr berührt.
"Du hattest recht. Ich habe eine Wendung des Schicksals erfahren. Jetzt obliegt es mir, es erneut so zu drehen, dass es gut wird. Vorallem es so zu drehen, dass ich dich nicht verliere."
"Das.....Was ist hier passiert, Twate?"
"Du musst es nicht verstehen, dass tue ich auch nicht, aber ein Ritter hat mir gesagt, dass ich Gärtner werde. Das wollte ich mein Leben lang. Ich habe aber keinen Grund und Boden, also muss ich dafür sorgen, dass mein Leben mein Garten wird. Und dann, werde ich ihn bis zur vollsten Blüte pflegen."
Er ritt hinaus in die für ihn neue Welt und sollte mit Mut und Entschlossenheit seine Ziele erreichen. Unter seinem Banner:
"Fist of Twate"

Kommentare

  1. So ein Banner sollte ich mir auch zu legen.

    Erinnert mich ein wenig an Neophyta:

    "Und nun steh auf, geh raus, geh spielen und lauf
    Deinem Traum entgegen"
    Ich glaube wir sollten für das Einstehen was wir uns erträumen und nicht immer alles herunter schlucken.

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  2. Ich find's ja schön, wenn sich erwachsene Menschen auch noch wie Kinder benehmen können (nich mit kindisch zu verwechseln), aber wenn mir jemand mit Rüstung, einem blutverschmierten Gardienenbanner und leicht altertümlicher Sprache gegenüberstehen würde, würd' ich ihm seinen Job nicht zurückgeben ^^

    So. Hirn und Logik gehen jetz mal schlafen, hier kommt der richtige Kommentar:

    Es is wieder großartig geschrieben. Eigentlich ist es, so wie fast immer, eher wie ein gemaltes Bild, das sich immer etwas verändert, am Schluss auf den Kopf gedreht wird und somit endlich richtig herum ist. Man kann sich einfach alles so schön vorstellen.

    Der Inhalt is auch toll. Ich finde vor allem das Ende spannend: Dass er seinen Traum erfüllt, aber auf eine andere Weise, als er es sich als Kind ausgemalt hat. Er wird der Gärtner seines Lebens, nicht eines Gartens. Das gibt einem Mut, seine Träume nie aus den Augen zu verlieren, selbst wenn man denkt/weiß, dass man ihn nie so erfüllen kann. Es gibt immer einen Weg, seinen Traum zu erfüllen, man muss sich eben anstrengen und die Dinge in die Hand nehmen.


    Sollte ich mir persönlich vielleicht auch mal zu Herzen nehmen...

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  3. Du schreibst mal wieder in begnadeten Bildern. Dieses Bild von Twate, in der Rüstung und mit dem Banner ist so deutlich und irgendwie Mut machend, ganz stark.

    Du beschreibst sehr schön zu Beginn den Arbeitstag des Mannes. Auch das er gut in seiner Arbeit ist aber nicht mehr tut als notwendig. Das steht für mich Sinnbildlich für viele Menschen. Das Notwendige um die Anforderungen zu erfüllen aber nicht mehr. Schön finde ich auch deine Beschreibungen zu den Hänseleien in der Schule und sein "schlucken" der Sprüche, denn auch das steht in einem Zusammenhang. Viel zu wenig Menschen wehren sich, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Unsere Gesellschaft ignoriert, genau so wie twate, die eigenen Probleme, denn damit müsste man sich ja beschäftigen und auseinandersetzen und das ist schließlich einfach zu anstrengend. Dann lieber schlucken.

    Damit muss man nicht unbedingt glücklich und gut werden. Treffend dafür sind auch deine Worte "ist froh von dem kalten Platz neben seiner Freundin entkommen zu sein und zur Arbeit gehen zu dürfen. Dort wartet ein anderer kalter Platz auf ihn" Das "kalt" trifft es echt gut.

    Ich finde diesen Blick in die Vergangenheit auch sehr spannend. Wie sich Twate wegen des Auslachens und der verschiedenen Faktoren wegens verändert hat und deswegen nun so kalt ist.

    Ich bin ein Fan von Kindern und deswegen finde ich es sehr schön und treffend, dass du ein Kind als Wink des Schicksals gewählt hast. Grade die Fantasie eines Kindes ist noch so rein und unbeschwert, dass das echt eine sehr gute Wahl war.

    Natürlich muss auf das Kind die Kündigung und der fast Verlust seiner Freundin folgen um ihm die Augen zu öffnen und besonders schön finde ich es, dass ihm das gelingt.

    Auf einmal sprüht so eine Energie aus ihm und all diese Energie wartet darauf umgesetzt zu werden.

    Und hier muss ich auch Meadow zustimmen.
    Ich hätte das Ende nicht so erwartet und das er Gärtner seines Lebens sein wird, finde ich eine geniale Weise um darzustellen das seine Träume erreichbar sind. Sehr genial!

    Ganz große Leistung. Sehr schön geschrieben.

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  4. Was kann man da noch ergänzen außer

    Sweet! ;-)

    Aber wie du am Wochenende sagtest, dass du selbst eine höhere Qualität in deinen Text erkennst, weiß ich hier schon gar nicht mehr, ob das noch besser geht.

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  5. Anonym15.4.09

    Sehr geiler Dreh, den Garten auf das Leben zu übertragen!!!

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