Wer ich heute bin

Autor: Jay
Verfasst: 29.03.2009


Wer ich heute bin

In dunkelblauer Jeans und schwarzer Jacke stehe ich auf der Autobahnbrücke und beobachte den Sonnenuntergang über dem Einkaufszentrum in Mülheim. Wenige Leute fahren in die Sonne, viele kommen aus ihr zurück. Es ist bestimmt Flohmarkt.
Die Sonne taucht die grauen Häuser entlang der Autobahn in Orange und Violett. Wir haben unzählige Maler und Anstreicherbetriebe hier in Essen und trotzdem sind alle Häuser grau. Okay, manche sind andersfarbend, aber haben dann einen Rahmen aus Häusern die in Signalgrau strahlen. Aber ich mag es. Wir leben in der Industrie, darauf, darum herum und mitten dazwischen. Es ist eine Großstadt, kein Wald. Diese ganzen Fabriken und Betonklötze waren immer mein Spielplatz. Ein sehr harter, aber toller Spielplatz. An aufgeschürfte Knie kann man sich gewöhnen.
Der Wind eines Lkws der unter mir lang rauscht umspielt die Kapuze meines Lieblingspullovers. Ich fahre mir mit der linken Hand durch meine Haare und schiebe sie zu recht. Nicht das sie vorher durcheinander gewesen wären. Die Zeiten wo ich Locken hatte sind vorbei. Meine Ringe klickern dabei. Ein Geräusch das mir nur noch auffällt, wenn ich mich darauf konzentriere. Ich sehe mich von Außen und muss etwas Lächeln. Ein 23jähriger der auf eine Autobahn schaut und zufrieden guckt, als würde das alles ihm gehören. Als wäre alles in bester Ordnung.
Es ist alles in Ordnung. Ich habe Freunde, ich bin an und für sich nicht unbeliebt.
Meine Stadt ist keine Schönheit, aber sie hat Charakter. Und wir haben zusammen schon so einiges erlebt. Sie hat ihre Momente. Eben so welche wie der Sonnenuntergang über der A40.
Ich will noch nicht zurück in meine Wohnung. Auf Tee hätte ich zwar schon Lust aber sonst warten da nur piepsende Geräte, ungelesene Bücher und unfertige Texte auf mich. Vermutlich auch Abwasch. Mein Mitbewohner würde gerade wieder Musik hören und irgendwas im Internet konsumieren oder er würde kochen. Was ich sehr begrüßen würde. Sonst gibt es wieder nur Butterbrote.
Das Farbenspektrum das sich über meinen Stadtteil legt wird immer wilder. Ich stehe hier alleine, wissend das niemand auf mich wartet. Ich könnte das schade finden, aber so bin ich auch keinem eine Last oder Sorge. Der zugige aufkommende Wind schickt mich nach Hause. Und mit einem breiten zufriedenen Lächeln trete ich den Weg an.
Jede Straßenecke hier ist mit meiner Biografie verknüpft. Ich habe viel zu viele wichtige Gespräche in meinem Leben geführt. Ich habe nie woanders gelebt als hier und ich will auch nirgendwo anders hin. Wenn über Flexibilität und Mobilität bei der Arbeitsplatzsuche gesprochen wird, dann verdrehe ich die Augen. Ich will das nicht.
Ich spiele mit meinem Schlüsselbund rum als ich so in meine Straße einbiege. Mitten in der Großstadt und trotzdem vollkommen leise und friedlich. Feine Sache. Ein paar Bäume, nur geparkte Autos. Vom Bolzplatz hör ich ein paar Kinder und bekomme auch kurz Lust einen Ball treten zu gehen.
Kurz frage ich mich, wie ich wohl hier hin gekommen bin. Was waren die wichtigen Stationen in meinem Leben? Aber dann lächle ich wieder und denke mir: Du bist hier und zufrieden, alle anderen Informationen sind überflüssig. Ich schlender in die Küche, mach mir einen Tee und verzieh mich in mein Zimmer.

Kommentare

  1. Echt super geschrieben. Man hat einfach direkt die Bilder vor seinen Augen und genießt die Atmosphäre mit dir.

    Jetzt habe ich auch endlich mal ein positives Bild von der A40 und werde wohl immer an dieses Bild denken, wenn ich mal wieder dort im Stau stehe.

    Besonders gut finde ich auch den Kontrast zu der "Medienwohnung", die einen nicht mal die Ruhe lässt, um in sich zu gehen.

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  2. Aha. Also doch keine Locken mehr. ;)
    Mir gefällt es sehr gut, wie du die Lebensmöglichkeiten beschrieben hast und wie du dich im Jetzt beschrieben hast.

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  3. Wie schon gesagt - wenn es darum geht, dich von außen zu beschreiben und dadurch 'nen kleinen Einblick in dein Inneres zu gewähren, dann gelingt dir das schlichtweg zu 100%.
    Sehr großartig geschrieben.

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  4. Wir "kennen" uns nun ja schon knapp über ein Jahr (am 06.03.2008 hast du an die Türe der "Gebrechlichen" geklopft) und ohne Dich jemals leibhaftig gesehen zu haben (ich hoffe das ändert sich im August), würde ich diese Selbstdarstellung ohne mit der Wimper zu zucken bestätigen.

    Wo muss ich unterschreiben? :D

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