Ideendämmerung: Die Gerechtigkeit muss warten

Autor: Jay
Verfasst: September 2009

"Du hörst mich wirklich."

Ich wurde hin und her geschlagen, nachdem ich bei vollkommener Gleichgültigkeit die Steuerung des Gleiters an den Zufall übergeben hatte. Da ich seine Seele schon nicht greifen konnte, wollte ich wenigstens Ignis Körper retten und zog und zerrte an ihm, um ihn wieder in den Gleiter zu bekommen.
Da war kein Schmerz in seinem Blick. Da war keine Wut in seinen Augen. Andächtige Stille und Ruhe strahlten sie aus. Ich griff nach seinem Arm, suchte nach Puls. Da war noch Leben in ihm. Er sah mich an und ächzte: "Gib das Karola." Dann umarmte er mich ganz fest.
Aus irgendeinem Grund war da Wärme. Und es war nicht sein Blut auf meinem Hemd. Irgendwas durchfuhr mich, von den Füssen bis in die Bibliothek. Ich konnte das Gefühl nicht genau verorten. Obwohl es sich gut anfühlte, lähmte es mich auch ganz deutlich. So sehr, dass der Gleiter endgültig außer Kontrolle geriet.

"LOS! IN DEN SENKFLUG!", schrie Ziegler den Uhrwerkjungen an. Unberührt tat er seine Handgriffe. Plaine packte Ziegler am Ärmel und zerrte ihn zu sich: "Wir haben Ignis verloren, Ziegler! IGNIS!" Im Kapitän ging all die Wut hoch. Er riss Plaine am Kragen hoch und knirschte ihm entgegen: "Er ist noch nicht tot. Wir retten ihn jetzt." Dann rammte er Plaine von sich und verschwand von der Brücke in den Schiffsbauch.
Plaine sammelte sich selbst vom Boden auf und sah den Uhrwerkjungen verzweifelt an. "Was hat Ziegler vor?" Der Junge zuckte mit den Schultern und verfiel sofort wieder in geschäftige Routine. Er brachte die Beau de Rochas immer näher an den Boden, so dass sie knapp über der Oberfläche flog. So knapp, dass sich ein überschlagender Gleiter gegen den Unterboden des Schiffes schraubte, aber eiskalt abprallte.

Ich schlug mit dem Kopf gegen die Armaturen. Mein Körper war nur noch Spielball in diesem wilden Gefährt, dass sich scheinbar in alle Richtungen gleichzeitig bewegen wollte. Eiskalt prallten wir an irgendetwas ab und ich sah einen kurzen traurigen Moment lang, wie Ignis leblose Hülle den Gleiter verlies. Wenn du im Tod keine Würde mehr bekommst, dann muss du im Krieg sein. Meine Seele und mein Körper gaben sich ihrer größten Sehnsucht hin und wurden ohnmächtig.

Eine flackerndes Licht stand über mir, als die erste Frage nach meiner Ohnmacht die war, wie lange ich wohl ohnmächtig gewesen bin. Ich habe sie mir aber nur leise in meinen Kopf hinein gestellt. Bei meinem Erinnerungsvermögen war es aber kein Wunder, dass dort nur ein unangenehmes Rauschen auf mich wartete.
Alles hier war kalt und aus irgendeinem Metall. Hier und da fuhr ein Lichtimpuls in feingearbeiteten Spalten und Kanten. Meine Umgebung arbeitete.
Beim Griff an mir runter, spürte ich als letzte Erinnerung an Ignis das eingetrocknete Blut in meinem Hemd. Verärgert drückte ich meine beiden Fäuste gegen den Boden. Seitdem ich hier war, wo auch immer das sein mochte, ergab wirklich gar nichts einen Sinn für mich. Es war in meiner Situation mit Sicherheit kein Kriterium, aber ich hatte einfach keine Lust mehr. Ich wollte die Augen schließen, einschlafen und wenn ich wach werden sollte, dann bitte in einer normalen Welt, an die ich mich dann bitte schön auch erinnern möchte.
Ich schloß meine Augen, merkte aber sehr schnell, dass es nicht so kommen würde, wie ich es mir gewünscht hatte. Also stand ich auf und bemühte mich, meine Umgebung zu verstehen.
Meine Umgebung arbeitete und bestand komplett aus Metall. Es war kalt und hart hier. Neben einer Liege und einer Kombination aus einem Gitter und einer Scheibe konnte ich hier nichts wirklich ausmachen. Sicher war also nur, dass ich gefangen war. Meine Schlussfolgerung war, dass ich in diesem Klotz war, der am Himmel aufgetaucht war.
"Das ist richtig." Sanft und warm umspielte mir eine Stimme im Ohr. Ja, nicht ums Ohr, sie war im Ohr. Oder viel eher noch in meinem Kopf. Eine Stimme, die definitiv nicht mir gehörte, aber mir doch irgendwie vertraut war. Spinnerei. Ich kam auf meine Ratlosigkeit scheinbar nur nicht besonders gut zu Recht und fantasierte. Oder es waren die Schläge auf meinen Kopf, während des Überschlages.
"Nein. Du hörst mich wirklich." Warum sollten die Dinge auch anfangen Sinn zu ergeben? "Ich sitze in der Zelle neben dir." Zelle? Hier wusste jemand was los war, also wurde ich neugierig. Ich wunderte mich immer noch wo wir hier waren. "Auf der Beau de Rochas. Das Schiff von Kapitän Jan Ziegler."  Ignis hatte gesagt der würde uns retten. Jetzt sitze ich hier in einer Zelle. Irgendwie fühlte sich das nicht nach Rettung an. "Hey Stimme im Kopf, weiß du was die vorhaben?" Ein "mit uns" dachte ich mir nur. Moment mal. "Was die mit "uns" vorhaben weiß ich nicht, aber ich werde in die Halle der Charaktere gebracht und dort zu Rede gestellt." - "Was hast du denn gemacht?" - "Ignis erschossen."
Sofort versuchten meine Fäuste sich einen Tunnel in die Zellenwand zu schlagen, aber diese zeigte sich davon vollkommen unbeeindruckt. Genau wie die Stimme in meinem Kopf, die ich dann auch ziemlich schnell der Frau aus dem Funkgerät zu ordnen konnte. "Du verstehst nicht was hier geschieht.", sagte sie nur. Ich war mir sicher, hätte ich nach einer Erklärung gefragt, dann hätte ich keine bekommen. Und da sie scheinbar alles hörte, woran ich dachte, war ich ihr ausgeliefert.
"Pass auf, Junge. Du willst wissen wer du bist und wir haben deinen Rucksack." Sie hatte Recht. "Ich weiß. Also, wenn du ihn haben willst, wirst du mir wohl beim Ausbruch helfen müssen. Und nur weil ich einen deiner Freunde erschossen habe, heißt es ja nicht, dass wir keine sein können.", säuselte sie mit beschwingter Stimme in meinen Kopf.  In mir brannten der Hass und die Hilflosigkeit infernal auf.

Plaine deckte Ignis Leiche ab und sah ratlos Ziegler an. Der stand mit dem Gesicht zur Wand mit geballten Fäusten. Genau wie einer seiner Gefangenen, aber das wusste er nicht. "Was nun?", schwirrte durch den Raum. Zieglers Kopf arbeitete auf Hochtouren und warf einen Plan aus. "Uhrwerkjunge, kontaktiere die Halle und frag nach, ob möglicherweise noch eine Grenzüberschreitung registriert wurde. Da Robert ja scheinbar entkommen ist, muss er irgendwo wieder auftauchen." Ziegler atmete ganz tief durch. "Und sag ihnen, sie sollen eine Grabstätte für Ignis vorbereiten."

Es fiel mir wirklich schwer meine Wut wieder runter zu regulieren und ich wusste, dass Sede es spüren konnte. Ihr Name war mir wieder eingefallen, ich hatte ihn ja im Funk gehört. "Konzentrier dich auf dein Ziel.", hauchte sie mir in meinen Kopf. "WAS?", dachte ich sie schreiend an.

"Schließe deine Augen.
Suche dir ein Ziel.
Einen Punkt, den du erreichen willst.
Eine Aufgabe, die du abschließen musst.
Atme tief und bestimmt.
Verlasse deinen Körper und beginne den Weg zu diesem Ziel zu gehen.
Gehe den Weg mit deiner Seele.
Wenn du den Weg einmal gegangen bist, dann erkennst du ihn, wenn er dir begegnet."

Ich musste an meinen Rucksack kommen. Ich musste erfahren was darin war. Der einzige Weg zum Rucksack wäre also eine Flucht mit Sede. So sehr mein Gefühl gegen sie rebellierte, genauso sehr war mein Verstand auf ihrer Seite. Die Gerechtigkeit, oder wer auch immer sich berufen fühlte sie für Ignis Tod zu bestrafen, musste warten. "Okay Sede, wie kommen wir hier raus?"

Kommentare

  1. Wie jetzt, gemeinsame Sache mit dem "Feind"? Das wird ja immer besser.

    Schade das Ingis doch tod ist. Trotzdem wieder sehr schön zu lesen.

    Was ist den nun in dem verdammten Rucksack? Los, schreib weiter! ;D

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