Nichts als die Wahrheit - Jay im Interview

Der Nachtwind wird seit kurzem von zwei Autoren gestaltet. Grund genug, beide einmal in den Fokus zu rücken und ein wenig mehr über beide zu erfahren. Wir haben uns deshalb dazu entschlossen, uns gegenseitig zu interviewen. Den Anfang macht Jay, der neben detaillierten Einblicken in seine Arbeit als Literat auch etwas darüber verrät, wie es zur WestStadtStory kam, wieso er empfiehlt Oliver Kahn zu lesen, warum er Shirts mit Street Fighter Motiven darauf trägt, ob er sich selbst als Nerd bezeichnen würde und warum er Prinzipientreue "ganz, ganz schrecklich" findet.

Stephan: Was findet sich alles in deinem Bücherregal?
Jay: Da stehen zum einen Graphiknovellen von amerikanischen und japanischen Autoren und Zeichnern. Dann ein großes Kauderwelsch an verschiedenen Büchern: Ein, zwei Romane, meistens humorige Sachen und ein paar theoretische Fachbücher und dann im Moment hauptsächlich philosophische Bücher – also Laotse beispielsweise. 

Stephan: Was liegt derzeit auf deinem Nachttisch?
Jay: Oliver Kahn – Ich! Erfolg kommt von innen. Und die Biographie von Nelson Mandela. 

Stephan: Warum das Buch von Oliver Kahn?
Jay: Das Buch wird von Psychologieprofessoren empfohlen für Erstsemester. Ist auch sehr, sehr gut. Kann ich nur empfehlen. Ist sehr spannend. Es geht tatsächlich darum, wie man mit sich selbst umgeht und wie man erfolgreich ist. Wobei das nicht wirtschaftlichen Erfolg meint, sondern menschlichen. 

Stephan: Und die Nelson Mandela Biographie aufgrund des Interesses an der Politik oder mehr an der Person?
Jay: Beides. Die eigentliche Reihenfolge ist: Ich habe Invictus gesehen, dann habe ich Henley gelesen, der das Gedicht, auf dem der Film Invictus ein bisschen basiert, geschrieben hat, und dann habe ich gesagt: Jetzt schaue ich auch mal in die Biographie von Nelson Mandela rein. Er ist ein spannender Mensch. Und es ist eine unendlich lange Biographie. 

Stephan: Hast du ein immer wiederkehrendes Werk, das du liest oder gar mit dir führst?
Jay: Es ist tatsächlich Invictus von Henley. Ich habe es an verschiedenen Stellen ausgedruckt, es immer irgendwo vorliegen und ich habe es sogar vorne in mein Notizbuch hineingeschrieben. Aber das Buch, das ich mal als meine persönliche Bibel bezeichnet habe, ist das große Heinz Erhardt Buch.

Stephan: Kannst du Texte überhaupt noch „urteilsfrei“ lesen?
Jay: Ich glaube schon – ich kann einen Text immer noch im blanken Unterhaltungsmodus wahrnehmen. Das mache ich auch automatisch – dass ich den Text erst im Unterhaltungsmodus wahrnehme und mich auf der zweiten Ebene frage: Was hat der Autor da gerade gemacht? 

Stephan: Stellst du dich vor dem Lesen darauf ein? 
Jay: Mir fällt das eher auf, wenn ich mit einem Werk unzufrieden bin. Dann fange ich an mich zu fragen: Warum? Ist es der Inhalt, der mich gestört hat? Oder ist es jetzt was anderes? Stört mich, wie das erzählt wird, obwohl der Inhalt eigentlich gut ist? Also sobald irgendwelche Diskrepanzen auftreten, fange ich an, das sehr stark zu analysieren. Aber solange, wie ich zufrieden bin, stelle ich auch keine Fragen.
Das ist ein Abbild des aktuellen Staatsbürgers, würde ich sagen. (lacht)

Stephan: Hast du Richtlinien, nach denen du deine eigenen Texte schreibst?
Jay: Das ist unterschiedlich. Ein Text hat eine Intention, eine Zielabsicht. Und es kommt darauf an, was die ist. Je nachdem, wie die formuliert ist, ändern sich die Richtlinien.
Ein Beispiel: Ich stelle mir die Aufgabe etwas zu schreiben, was ich so noch nicht geschrieben habe. Dann stelle ich den Vergleich an: Was habe ich bisher geschrieben und nehme das als Grundlage. Wenn ich bestimmte Dinge erreichen will, muss ich also ganz klare Richtlinien haben. Oft ist es aber mein größter Spaß Richtlinien von anderen Leuten aufs Korn zu nehmen. Oder auf jeden Fall bewusst zu ignorieren.
Ich habe beispielsweise mal ein Gedicht geschrieben, das komplett gereimt war, in einem sehr sauberen Schema. Und das handelte davon, wie „panne“ es ist, Gedichte stets zu reimen – in einem komplett sauberen Schema. Ich habe das gemacht, weil es mich genervt hat, dass alle gesagt haben: „Nein, ein tolles Gedicht muss sich reimen!“ Da musste ich dann Kontra setzen. 

Stephan: Es heißt: Schreiben sei eine Art Therapie. Trifft das auch auf dich zu?
Jay: Ja, hundertprozentig. Ich habe schon einige Sachen, die ich erlebt habe, damit verarbeitet. Es gibt einem die Chance, das abzulegen, einen Schritt davon wegzumachen und nochmal zu betrachten. Wenn man im Fluss ist beim Schreiben und es betrifft einen persönlich, dann kontrolliert man das nicht mehr so intensiv, was da steht. Schaut man später darauf, kann man aber auch herausfinden: Warum habe ich das so geschrieben? Also jede Analyse, die man bei einem fremden Text ansetzen kann, wie man es beispielsweise aus dem Deutschunterricht kennt, kann man dann bei sich selbst ansetzen. Nur mit dem Clou, dass man den Autoren diesmal auch wirklich kennt und nicht nur raten muss, was er uns mit dem Text sagen will, was er damit meint, warum er das geschrieben hat. Sondern dann sagen zu können: Oh, die Worte habe ich benutzt, weil es mir damit vielleicht gar nicht so dreckig ging, wie ich damals dachte. 

Stephan: Nimmst du bewusst alte Texte zur Hand?
Jay: Ich habe das oft gemacht im Rahmen von Qualitätsmanagement meiner Internetseite. Also immer, wenn mir peinliche Rechtschreibfehler in neueren Sachen aufgefallen sind, habe ich oft angefangen, mir die alten Sachen nochmal anzugucken. Oder um in das Schreiben wieder reinzukommen. Wenn ich gerade keine Idee hatte, habe ich oft auf die alten Sachen geguckt, um entscheiden zu können: Habe ich da vielleicht schon genug drüber geschrieben? Habe ich zu dem Thema vielleicht nichts mehr zu sagen? Oder habe ich einen Aspekt übersehen? Und kann ich dann etwas Neues dazu schreiben? Dabei gucke ich dann auf die alten Sachen. Und kann daran auch abrufen, wie ich mich weiterentwickelt habe. Sowohl im Schreiberischen als auch im Menschlichen. 

Stephan: Welche Ziele verfolgst du als Literat?
Jay: Ich glaube einer der häufigsten Fehler, die wir als Menschen machen, ist, davon auszugehen, dass wir abgeschlossen sind. Dadurch ergibt sich schnell, dass wir auch gegen uns selbst ganz intensive Vorurteile entwickeln. Und ich versuche diese Vorurteile nicht unbedingt aufzulösen, aber den Leuten das Werkzeug an die Hand zu geben, zu sagen: Sind meine Vorurteile überhaupt richtig und sind sie begründet? Das also nochmal zu überprüfen.

Stephan: Du bist mit deinen Texten auf die Bühne und somit an die Öffentlichkeit getreten. Wovon bedarf es mehr, um einen solchen Schritt zu wagen: Mut oder Egozentrik?
Jay: (lacht) Ich glaube, das ist für jeden was anderes. Es gibt Leute, die verfolgen schon das Ziel mit dem auf der Bühne stehen sich selbst zu pushen. Ich glaube aber auch, dass es Leute gibt, die weder besonders mutig noch egozentrisch sind. Die dieses „Schreiben ist Therapie“ einfach komplett durchleben, auf die Bühne gehen und all das, was sie eigentlich stört, da ausschütten.
Eigentlich ist so ein großes Publikum, vor dem man steht, viel anonymer als der Kontakt auf einer Internetseite. Da können Leute direkt kommentieren und es ist an einen Namen gebunden. Aber wenn die klatschen oder eben nicht, mit 30, 40 Leuten, dann kenne ich nachher nicht alle. Dann ist das egal. Und ich glaube, dass das dann auch ein Beweggrund sein kann. Ich denke aber in meinem Fall war es doch eine Mischung aus Mut und Egozentrik. Nach dem Motto: „Ich kann was, ich muss das jetzt allen zeigen und das ziehe ich jetzt auch durch.“

Stephan: Bist du während deiner Performance ein Schauspieler, oder versuchst du genau das zu vermeiden?
Jay: Ich glaube ich werde zum Schauspieler. Es gibt vor allem persönliche Texte, bei denen man manchmal schon das Gefühl, was man hatte, als man den geschrieben hat, überwunden hat, dieses dann aber beim Vortrag auf der Bühne wieder hervorrufen muss. Ich spiele da auch gerne mit. Es ist nützlich beim Vortrag eines Textes eine Rolle einzunehmen, weil es dem Text mehr Nachdruck verleiht. 

Stephan: Hast du dir dazu bestimmte Techniken angeeignet?
Jay: Ich habe daran gearbeitet besser zu performen. Für das, was man beim Poetry Slam macht, reicht es nicht, einfach nur dazustehen und vorzulesen. 

Stephan: Was verbesserst du konkret an dir selbst?
Jay: Zum einen musste ich textsicherer werden. Zum anderen habe ich meine Atmung nicht im Griff gehabt. Das hatte zur Folge, dass ich mitten in Sätzen an Stellen geatmet habe und stoppen musste, durch die die Wirkung des Textes verpufft ist. Das habe ich mittlerweile gut hinbekommen.
Was ich überhaupt nicht kann und dringend lernen muss ist Gedichte auswendig lernen. Egal, was ich an Gedichten habe, ich kann kein einziges auswendig aufsagen. Auf der Bühne würde das einfach besser aussehen, wenn man komplett frei vortragen kann. Ansonsten muss ich noch mutiger werden. Ich muss mich mehr trauen, dass Publikum auch mit unbequemen Sachen zu konfrontieren und denen nicht nur etwas Schönes zu erzählen. 

Stephan: Wie kam es zu der Entscheidung, einen eigenen Poetry Slam – die WestStadtStory – zu organisieren? 
Jay:  (lacht) Die Entscheidung wurde mir ein bisschen abgenommen. Ich sollte ursprünglich nur das Jugendamt der Stadt Essen zur Durchführung eines Poetry Slams in der Weststadthalle beraten. Als das ganze anfing sich komplex anzuhören, hat der Zuständige gesagt: „Dann mach du das doch und wir unterstützen dich dabei.“ Ich hatte das also gar nicht vor. Ich war in dem Moment einfach der Einzige, den die kannten, greifbar war und sich mit sowas beschäftigt. Dann habe ich gesagt: "Na gut, komm. Packen wir das an und machen da was Schönes draus.“ 

Stephan: Siehst du dich selbst in einer Art Mentorenrolle für die jüngeren Teammitglieder des Poetry Slams?
Jay: Das würde ich so nicht unbedingt sagen. Es ist schon so, dass jeder mit anderem Kenntnisstand einsteigt und das ich zwar aus meinem ehrenamtlichen Engagement etwas über Organisation gelernt habe – aber ich bin da kein Mentor. Jeder hat sich selbst mitgebracht, jeder hat Aufgaben, die zu ihm passen und ich weiß ja schließlich auch nicht über alles Bescheid. Wenn zum Beispiel die Fotos geschossen werden, dann kann ich da wirklich keinen nützlichen Tipp zu geben, wie die besser werden könnten. 

Stephan: Du trittst dort auch als Moderator auf. Gehst du an eine Moderation anders heran als an einen Vortrag als Slammer?
Jay: Ja, komplett! Moderation ist frei und unabhängig. Mir wird schon oft gesagt, dass ich zu roboterhaft rede auf der Bühne. Das hat aber damit zu tun, dass ich beim Reden überlegen muss, was ich als nächstes sage. Das bekomme ich nicht so gut gleichzeitig auf die Kette. Aber wenn ich Moderationen vorbereiten und ablesen würde, merkt ein Publikum das. Man ist dann nicht mehr authentisch. Und ich glaube, das ist der einzige Anspruch. Die Moderation ist mit das Unwichtigste an dem Abend von dem, was auf der Bühne passiert. Wir sind zwar ein Stimmungsträger, wir halten das Publikum bei Laune – aber spannend sind die Künstler. Aber wenn wir nicht authentisch sind, dann macht das auch den Zuschauern keinen Spaß, sich unsere Anmoderation überhaupt anzutun. Deshalb gehe ich da ganz anders und frei dran. Da gibt es auch deutlich mehr Regeln, die ich mir selber mache als beim Textvortrag.

Stephan: Habt ihr bestimmte Ziele mit der Weststadtstory?
Jay: Die Ziele, die ich für mich formuliert hatte, sind bereits erreicht. Mir war es ein ganz großes Anliegen, hier in dieser Stadt Kultur anzubieten. Was hier im Kulturhauptstadtjahr passiert ist, war mir zu fadenscheinig. Da wurden künstlich Dinge hergestellt, die die Kultur des Ruhrgebiets zeigen sollen. Aber das, was hier tatsächlich passiert, wurde nicht so richtig widergespiegelt. Zum anderen war es mir wichtig, sowas frei zugänglich zu machen. Es gibt genug Kulturangebote, die nur bestimmten Bevölkerungsschichten bleiben, weil es einfach zu teuer ist. Das haben wir geschafft. Der Slam wird umsonst angeboten mit Literatur in einem Format für jede Altersgruppe. Jetzt ist im Moment das Ziel das weitermachen zu können. Das sind eher administrative Sachen, beispielsweise den Slam finanziert zu bekommen und das es so bleiben kann. Von mir aus auch solange, bis ich mit einem Rollator auf die Bühne kommen muss. 

Stephan: Deine Leidenschaft gilt nicht allein der Literatur, was sich bereits an deiner Kleidung feststellen lässt. Du begeisterst dich sehr für Popkultur, Videospiele, Comics. Würdest du dich selbst als „Nerd“ bezeichnen? Und wenn nein, wieso nicht?
Jay: Nein, würde ich nicht. Das liegt aber nur daran, weil alle auf einmal denken, seit „Big Bang Theory“ wären Typen wie Sheldon Cooper Nerds. Der Begriff wird, finde ich, nicht mehr seiner ursprünglichen Bedeutung entsprechend verwendet und wird auch immer weiter negativ belastet. Man ist sich uneinig, ob Nerds was Gutes sind oder was Schlechtes. Oder dann gibt es diese Nerdbrillen, die einen in keinster Weise zum Nerd qualifizieren. Und ich finde auch, dass das Wort momentan zu inflationär benutzt wird.
Das war mal ein Titel für Leute, die sich in einem nicht real existenten Bereich Fachwissen angeeignet haben. Wer sich super mit Star Trek auskannte und da wirklich fundierte Kenntnisse hatte, der war früher ein Nerd. Das war ein Adelstitel unter den Leuten, die sich für eine Serie oder sowas begeistert haben. Jetzt bist du ein Nerd, wenn du eine physikalische Erscheinung erklären kannst. Das finde ich einfach schade, dass auf einmal Real-Wissen mit so einem komischen Begriff geprägt wird. Und gemessen daran würde ich sagen: Nein, ich bin kein Nerd. 

Stephan: Ein Blick in dein Regal zeigt auf den ersten Blick die Liebe zu Videospielen. Welche war deine erste Konsole und inwiefern hat sie dich geprägt?
Jay: Meine erste eigene Konsole war das Super Nintendo. Es hat mich in sofern geprägt, als dass ich sehr sparsam mit Einkäufen bei Videospielen umgegangen bin. Ich durfte mir die Spiele zu Weihnachten wünschen, aber da meine Eltern sie nicht kaufen wollten, musste ich sie zur Hälfte mit finanzieren. Das heißt, ich habe mir mein Weihnachtsgeschenk zur Hälfte selber gekauft. Deshalb achte ich sehr auf den Preis, weil ich mittlerweile schließlich alles selbst bezahlen muss. (lacht)

Stephan: Trägst du beispielsweise T-Shirts mit Street Fighter Figuren darauf lediglich aus „Stylegründen“, als eine Art Statement oder verbindest du gar etwas mit speziellen Figuren?
Jay: Witzigerweise habe ich solche Motive total gemieden. Erst als Erwachsener habe ich angefangen, sowas zu tragen. Bei Street Fighter hat es mehrere Gründe. Es handelt sich dabei um meine Lieblingsspielserie. Ich gucke mir einfach sehr gerne Kampfsport an. Finde aber auch die Geschichten der Figuren aufgrund ihrer Beweggründe und Ambitionen, die sie vermitteln, sehr gut. In dem Umfeld dieses Spieluniversums werden tolle Geschichten erzählt. Was sie alle in sich tragen, ist dieser unweigerliche Wille etwas zu tun. Nicht um jeden Preis, aber einfach dieser Wunsch von Fortschritt. Sie wissen ganz genau: Wenn ich besser werden will, muss ich trainieren. Aber wenn ich der Beste werden will, kann ich anderen nicht aus dem Weg gehen. Ich muss meine inneren und äußeren Dämonen besiegen, um das zu schaffen. Da ist einfach viel drin, was Menschen im Alltag auch haben, sich das aber nicht so ins Bewusstsein rufen. Daher ist es auch tatsächlich ein bisschen ein Statement, wenn ich das trage.

Stephan: Hast du dir diese Ambitionen als Vorbild genommen?
Jay: Ich habe mir das schon ein wenig als Vorbild genommen. Also gerade dieses: „Von nichts kommt nichts.“ Ich werde sicher nicht hingehen und behaupten, dass ich ein extrem fleißiger Mensch bin und den ganzen Tag trainiere. Aber ich bin dadurch an einen Punkt angekommen zu sagen, dass, wenn ich beispielsweise bei einem Slam im Wettbewerb  Lust hatte zu gewinnen und es nicht geschafft habe, ich nicht dem Publikum oder irgendwem anderes die Schuld geben kann. Wenn ich nicht gewinne, dann bin ich nicht gut genug gewesen. Andersrum habe ich dadurch aber auch gelernt – es gibt bei Street Fighter auch Figuren, deren einziges Ziel es ist ihre Kunst zu perfektionieren und werten jede Niederlage als wertvolle Erfahrung aber auch jeden Sieg – und das versuche ich auch anzunehmen. Bei Slams gar nicht so sehr dieses Sieg/Niederlage-Ding zu sehen, aber zu beobachten, wenn ich gegen andere Texte in den Wettbewerb komme, warum das an dem Abend funktioniert oder eben nicht. Zu analysieren, was war gut, was kann ich verbessern. 

Stephan: Du hast eben selbst schon gesagt, dass du viele Comics im Regal stehen hast. Würdest du selbst gerne einmal einen gestalten?
Jay: Zeichnen überhaupt nicht. Aber eine Comicserie als Schreiber im Hintergrund zu gestalten würde mich durchaus reizen. 

Stephan: Gibt es eine Begabung, über die du nicht verfügst, die du aber gerne hättest?
Jay: Mehr als eine. (lacht) Ich glaube, es wäre nicht Zeichnen. Ich würde gerne etwas Akrobatisches können, sowas wie Parcours. Ich habe oft den Eindruck, dass Leute, die so etwas Körperliches können, oft sehr ausgeglichen sind. Ich glaube, weil die Tätigkeit an sich auch einen meditativen Charakter hat. Und dieses Niveau der Selbstverständlichkeit in einer Handlung zu erreichen, das finde ich toll. 

Stephan: Du wirkst in deiner Art zuweilen extrem nachdenklich, selbstreflexiv. Kannst du auch aufbrausend sein?
Jay: Ja! Wenn ich es nicht schaffe, meine Diplomatie aufrecht zu erhalten, wenn ich das Gefühl habe, dass Leute einfach nur aus Prinzip auf eine bestimmte Art handeln, dann komme ich damit nicht klar. Prinzipien als Begründung halte ich immer für ganz, ganz schrecklich. 

Stephan: Wie äußert sich diese Unzufriedenheit? In Aggressivität? Oder ziehst du dich eher zurück?
Jay: Ich würde mich eigentlich lieber zurückziehen. Aber ich nutze dann meine rhetorischen Fertigkeiten und buttere Leute einfach unter. Das ist auch sehr unfair und da bin ich auch gar nicht stolz drauf. Aber ich glaube, das ist meine Art, zu reagieren. 

Stephan: Also bist du herablassend?
Jay: Ja. Das ist überhaupt nicht toll, weil man die Leute auch sprachlich an einen Punkt bringen kann, wo die nicht mehr da raus kommen und die können das dann nicht mehr kontern. Und ich werde dann herablassend und denunziere Leute. Aber es ist zumindest deutlich weniger geworden. In der Vergangenheit hatte ich einen sehr schlechten Ruf. 

Stephan: Dazu passt, dass man dir eine gewisse Direktheit, gerne im Verbund mit dem Attribut „frech“ nachsagt. Handelt es sich dabei um eine Charaktereigenschaft oder um eine Methode, Leute zu provozieren?
Jay: Das ist eher eine Charaktereigenschaft. Zwar kann ich das manchmal bewusst einsetzen und ich lerne auch seit einigen Jahren, es einfach mal nicht einzusetzen. Aber das ist nicht durchgehend Methode um Leute fertigzumachen. 

Stephan: Zuletzt: Was spornt dich an?
Jay: Was mich in fast allem anspornt ist zu hoffen, dass man, entgegen dem, was die meisten glauben, die Menschen in seinem Umfeld ändern kann und verbessern kann. Gar nicht, weil sie schlecht wären, sondern weil noch Luft nach oben ist – für alle. Inklusive mir selbst. 

Stephan: Vielen Dank für das Gespräch!
Jay: Gerne!

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