Saisonrückblick 2011/2012

Bevor wir zum eigentlichen Jahresgesamtrückblick kommen, muss ich noch zwei Termine nachreichen.

 



03.08.2012 Heimaterbe in Essen
oder: Ich werde diese Hand nie wieder waschen! Vorerst.

Ich weiß ehrlich gesagt wirklich nicht, wie die ausgerechnet auf mich gekommen sind, aber irgendwer in dieser Stadt fand, dass ich ja als "Absacker"-Programm im Rahmen eines neuen Musikfestivals in Essen auftreten könnte. Zwar nicht auf der Bühne, wo große bzw. größere Bühnenliteraten wie Frank Klötgen, Tom Schildhauer oder auch Seb 23 durch das Programm führten, aber wenigstens auf einigen Euro-Paletten direkt vor dem Ausgang des Festivalgeländes. Zum eigentlichen Auftritt aber später mehr.

Ich kam mir schon ein wenig rockstarmäßig vor, als ich mich am Eingang als "einer der Künstler" anmeldete und auch noch Freunde über die Gästeliste mit reinbrachte. Auch im Backstage noch was essen zu dürfen und Bier umsonst zu bekommen hatte durchaus seinen Reiz, aber das eigentliche Highlight war, hinter der Bühne rumzuschlendern, eigentlich auf der Suche nach einem Weg zurück aufs eigentliche Festival- bzw. Zechengelände und dabei auf einige sympathische Herren in knietiefen Hosen zu treffen.
Nachdem ich den Stieber Twins und Blumentopf die Hände schütteln durfte, Hiphopern aus einer Zeit, wo es noch ganz ohne Schimpfwörter möglich war einen guten Text zu schreiben, war ich mir ganz sicher, dass ich diese Hand nie wieder waschen würde. Ich war vielleicht kein riesiger Fan, aber vom Blumentopf habe ich wenigstens alle Alben zuhause. Die Jungs nachher auf der Bühne zu sehen und zu denken "Denen habe ich gerade noch die Hand geschüttelt" hatte was Tolles, aber auch etwas teeniehaftes. War mir aber egal. Helden der Jugend. Punkt.
Das Festival selbst fand auf dem Gelände des Weltkulturerbes der Zeche Zollverein statt, für mich noch mal ein absoluter Bonus, da ich Heimspiele in jeder Form sehr genieße. Ich war aber nicht der einzige, der den Tag genoss. Vorallem nicht der einzige Slammer.
Blumentopf beschlossen an dem Abend die Konzertreihe und so lag es dann an mir, die Gäste im Abgang abzufangen und zu belustigen. Ohne echte Bühne, Lichtanlage und Mikrofon, machte ich von Paletten mit lauter Stimme unter einer regulären Laterne mir Gehör und freute mich, im Publikum auch einige Slammer zu sehen, die ich kenne und mag, allen voran der vermutlich größte Blumentopf-Fan und Partymeister aller Zeiten: Beule MC, aber auch mit dabei Lisa Schöyen und wie sich später herausstellte auch Michael Zamelski und noch noch später dann auch Tom Schildhauer.
Ich fragte, so nebenher, ob die anderen sich mit mir die Bühne nicht teilen wollten und so wurde aus dem Auftritt eine tolle Session, die ihre eigentlich geplante Funktion weit überschritt, als die Securitys uns dann langsam vom Gelände komplimentierten. Dabei stieg zwischenzeitlich sogar auch der Essener Beatboxer Jibel Jay ein und wir waren wirklich im Stande ein tolles Publikum zu halten und zu unterhalten.
Ich war von dem Abend vollkommen euphorisiert. Gegen eine abwandernde Menge anzulesen war eine wertvolle Erfahrung, um so erfreulicher, dass einige blieben und sich begeistern konnten. Die Bühne dann auch noch mit Leuten zu teilen, die ich selber mag, war eigentlich die Kirsche auf dem Sahneeisbecher. Danke Leute!

06.09.2012 Heldenslam im Anyway in Essen
oder: Freestylebattlesieger

Sushi und Claas, die beiden Slamprofis aus der Heldenbar waren für eine Sonderveranstaltung in die Essener Kultkneipe Anyway umgezogen. Da ich direkt um die Ecke wohne, habe ich mich natürlich auch angemeldet, in der eigenen Nachbarschaft auftreten ist auch mal spannend.
Und das war es auch, denn, meiner Meinung nach, eignet sich die eher Schlauch- und L-förmige Kneipe wirklich nicht gut für eine Veranstaltung dieser Art. Erfreulicherweise war das Publikum neugierig und die Moderation gut genug, um die Aufmerksamkeit binden zu können, trotzdem wies die aufgebaute Tontechnik leider qualitative Mängel auf.
Was über das Teilnehmerfeld nicht gesagt werden kann. Vor allem Tobi Katze, von dem ich ja, wenig heimlich, treuer Fan bin, war einer meiner Lieblinge vor Ort, aber auch ein älteres Ehepaar, die mir schon aus Herne bekannt waren, wussten zu überzeugen. Leider sind mir ihre Namen nicht bekannt, aber wenn ihr mal ein unglaublich niedliches liebevolles Ehepaar auf einem Slam seht und einer von den beiden auf die Bühne geht, dann sind es die Richtigen. So welche kann es kein zweites Mal geben.
Ein anderes Original, das es kein zweites Mal geben kann, war in jedem Fall "Freistil Paradiesvogel", ein junger Typ, eigentlich nicht aus der Slamszene, der sich mit Freestyle-Rap versuchte. Er sagte, dass er das schon öfter gemacht hat, aber, ohne fundierte Kenntnisse, war da zu erkennen, dass noch ganz schön viel Luft nach oben war. Das deutlichste Indiz dafür war, dass ich ebenfalls einen Text improvisiert hatte und mehr Punkte bekam als er und ich war wirklich auch nicht besonders gut. So reichte es aber für den Tagessieg im Freistil, den mir dann in einem Nebensatz Tobi verliehen hatte.
Ich habe den Slam früher verlassen, da er auch später angefangen hatte, ich aber ein Auge auf meine Arbeitszeit am nächsten Morgen hatte.

2011/2012 Der Saisonrückblick

oder: Was sonst noch zu sagen wäre

Mit meinem letzten Saisongesamtrückblick habe ich mir scheinbar einen Ruf als harter bzw. ehrlicher Slam- und Slammer-Kritiker eingehandelt. Es wäre mir jetzt ein leichtes, über Künstler und Künstlerinnen, die mir sehr gut gefallen haben, tolle und schlechte Texte zu reden, aber eigentlich möchte ich das nicht. Nicht, weil ich Angst vor einem negativen Echo habe, sondern weil ich zum einen in den Kurzberichten meist schon meine Meinung gesagt habe, alles hier also nur Wiederholung wäre,  zum anderen aber auch, weil es andere spannende Themen gibt, mit denen ich mich gerne auseinandersetzen möchte.
Die Szene, also die paar Tausend Menschen in Deutschland, die sich als Slammer sehen, macht im Moment einige spannende Entwicklungen durch. Wir sind uns gerade nicht einig, ob wir Untergrundkultur bleiben wollen, oder Massenveranstaltung werden wollen, streiten zwischen Kunst und Kommerz und den richtigen Ton untereinander finden wir auch nicht immer. Wir sind irgendwie alle Wettbewerber, wollen aber doch an einem Strang ziehen, wir wollen eine starke Szene, ärgern uns aber über Slams an jeder Milchkanne und zu viele Anfänger die starten. Alles garantiert spannende Themen, wichtige Fragen für unsere Entwicklung und sicher auch von anderen in Diskussionen und vielleicht sogar Beiträgen schon intensiv besprochen. Es wäre aber nicht mein Rückblick, wenn ich nicht auf das Thema, was mich am meisten beschäftigt eingehen würde:

Wie gewinnt jemand einen Slam?
Hier geht es gar nicht um das technische Prozedere (Abstimmung etc.), sondern eher was für Qualitäten ein/e Künstler/in haben muss oder sollte, um auf der Bühne erfolgreich zu sein.
Liebe Kunst- und Kultur-Liebhaber, die ihr jetzt aufschreit "Aber es darf nicht ums Gewinnen gehen, sondern um die Liebe zur Literatur", ihr habt natürlich Recht, aber ich finde es ist auch vollkommen legitim mal was gewinnen zu wollen, zudem würde nicht so oft hinter der Bühne gestaunt, dass Leute mit "schlechten Texten" oder "diesem Mist" in die nächsten Runden kommen, wenn es uns doch nur um die Liebe zur Literatur ginge.
Ich glaube nicht, dass ich eine allgemeingültige Antwort auf die Frage habe, aber ich glaube, dass die häufigen Analyseansätze der Künstler falsch sind oder von falschen Vorrausetzungen ausgehen. Daher fallen auch sehr oft Aussagen wie: "Witzige Texte gewinnen immer, da das Publikum nur lachen will."
Ich habe da verschiedene Thesen und auch Probleme, die aber alle in keinsterweise (wissenschaftlich) eindeutig zu belegen sind, ich möchte daher alles Folgende hier nochmal eindeutig als Meinung markieren. Das Folgende soll dadurch aber nicht unanfechtbar gemacht werden - denn eine Meinung kann ja jeder immer gerne haben - sondern einfach nur klar machen, dass ich hier keine allgemein gültigen Gesetze aufstelle.

Ein kurzer Merksatz vorne weg:
"Es gewinnt, was dem Publikum gefällt."
So weit, so nutzlos. Was gefällt denn dem Publikum? Wann gefällt etwas dem Publikum?
Die erste Antwort des zynischen Slammers wäre jetzt: "Wenn es lustig ist. Der Zuschauer will lachen." Das mag vielleicht sein, aber da sprechen verschiedene Arten von Erfahrungen gegen, als dass es so einfach als Regel bestehen könnte:
Entgegen der polemischen Behauptung gewinnen eben nicht immer die humoristischen Beiträge, sondern auch oft andere. Wenn ich mir BühnenkollegenInnen wie Sven Golze, Felix Krull, Beatrice Wypchol oder auch Schriftstehler ansehe, auch ein wenig an mein eigenes Abschneiden mit ernsterem Material denke, dann kann diese Aussage einfach nicht haltbar sein.
Aber warum sind diese ernsten Texte erfolgreich und die anderen nicht?

Inhaltliche und strukturelle Nachvollziehbarkeit 
Vergleicht man verschiedene erfolgreiche humoristische Texte, teilen sie sich inhaltlich und auch strukturell oft ähnliche Formate. Eine hohe statistische Häufung erleben dabei strukturelle Elemente wie Aufzählungen, Übetreibungen und Tagebuchform; thematisch meist Erlebnisse und Ereignisse aus dem Alltag: Arbeit, Uni, Alkohol, Bahn, Facebook.
Viele humoristische Texte nehmen so einen Zuschauer, der die Person auf der Bühne nicht kennt, von da aus mit, wo er steht. Soll heißen: Es sind eigentlich keine gesonderten Vorkenntnisse notwendig, es reicht, wenn er einen ganz regulären Alltag führt. Der Zuhörer kann sich schnell mit dem Erzähler identifizieren, weil es die Situation kennt. Je höher die Identifikation, desto stärker auch eine Reaktion im Publikum. (Vorsicht! Reaktion ungleich Begeisterung)
Die strukturellen Elemente geben dabei Sicherheit. Mal kurz nicht richtig zugehört? Kein Problem, es ist ja eine Aufzählung, es kann jederzeit mit eingestiegen werden. Ja, ich glaube, viele Texte gleichen einer Busfahrt. Es gibt einen Start, ein Ziel und wenn es nicht genug Haltestellen gibt, die es erlauben zu zusteigen, dann bleiben Leute auf der Strecke. Wenn der Start wo liegt, wo ich mich als Zuschauer auskenne und an einen Ort/ zu einem Thema führt, dass ich auch spannend finde, dann kann das natürlich kein Fehler sein.
Viele ernsthafte Texte gestalten sich aber eher wie ein Raketenstart in den Weltraum. Wer beim Start nicht drin ist, kann auch oft nicht mehr zusteigen. Um mitkommen zu können, müssen viele komplexe Vorraussetzungen erfüllt sein. Ob es dann wirklich in den Weltraum und in eine befreiende geistige Schwerelosigkeit geht oder die Rakete noch im Flug zerschellt hängt oft von der Präzision der zuvor geleisteten Berechnungen ab. Und in eine unsichere Rakete, da steigt auch keiner ein.
Was heißt das für mich als Autoren/in?
Ich selbst sollte zwar alle Hintergründe meines Themas genau kennen, ich muss alles gut vorbereiten, jeder Textteil muss an seinem Platz sein, aber der Zuschauer muss nicht alles wissen, sondern nur, wie er mitkommen kann und dass hier ein Profi die Vorbereitungen getroffen hat.
Gerade politische Texte kranken oft an fehlenden Fakten. Was nicht heißen soll, dass der Zuhörer mit Informationen überschüttet werden soll, sondern dass die notwendigen vorkommen und dabei nachvollziehbar verknüpft sein sollten. Hier ist es wichtig, den Text vielleicht darauf zu prüfen, welche Fakten zielführend sind für mein Thema und die Absicht des Textes. Was nicht notwendig ist, findet man selbst es noch so spannend oder wissenswert, kann auch entfernt werden. Ähnlich der oben erwähnten Busfahrt, geht es darum die schnellste Route zu nehmen. Wichtig: Die schnellste ist nicht immer die kürzeste.
Manchmal lohnt es sich einen Umweg zu fahren, also noch ein zusätzliches Thema einzubinden, um einem Stau (oder in diesem Fall zu vielen, zu eng gestaffelten Informationen) aus dem Weg zu gehen.
Dabei sollte man den Strukturoptionen der humoristischen Texte aber nicht aus dem Weg gehen, nur um sich möglichst stark von ihnen zu unterscheiden.
Es ist natürlich auch gut möglich, mit einem ernsten Thema und Problem im Alltag der Menschen anzufangen; ich kann später gut die Parallelen zum politischen X-Y-Konflikt darstellen, wenn ich zuvor als Beispiel beim Streit mit dem Partner anfange und vergleiche.

"Ich habe aber schon einen sehr guten Text, aber warum..."
Performance
Ein guter Text ist eine Sache, ein guter Vortrag eine andere. Die Performance ist ein ganz entscheidener Faktor für einen erfolgreichen Vortrag. Und nicht nur beim Slam, jede künstlerische Präsentation lebt davon.
Auch ein sehr passendes Bild war nämlich der Text und die Struktur der Körper, gilt es jetzt da Leben rein zu bekommen. Leider ist das nicht ganz so einfach und unterbewusst zu steuern, wie es mit dem eigenen Körper für gewöhnlich ist.
Performance hat dabei zwei wichtige Ebenen, so wie ich es auf der Slambühne sehe:
Bewegung und Intonation.
Ich betone gleich am Anfang: Natürlich kann jedes Auslassen oder Überspitzen Stilmittel sein, was aber nicht automatisch bedeutet, dass es auch funktioniert.
Bewegung meint die körperliche Bewegung am Mikrophon, ja vielleicht sogar mit dem Mikrophon. Bernard Hoffmeister ist für seinen Text "Fragen" mit dem Mikrophon zum Publikum von der Bühne gegangen, Maschi verränkt sich jedes Mal für seine Abhandlung über den Bühnenabgang. Beides gute Beispiele für funktionierende Bewegung zum Text. Da wird mit der Bühne als festem Raum gespielt, aber der entscheidende Faktor: Ganz bewusst.
Wer viel mit den Armen rudert und am Ende seines Textes vielleicht nassgeschwitzt ist, nur weil er die ganze Zeit über fleißig unterwegs war, hat noch lange nicht gut performt. Bewegungen dürfen nicht unfreiwillig sein, was nicht bedeuten soll, dass man am Mikrophon jetzt nicht mehr wippen darf und alles eine detaillierte Choreographie sein muss, aber je größer eine Bewegung ist, desto genauer sollte die geplant sein und auch (wichtig!) geübt sein. Es kann ja nicht zweckdienlich sein, bei einer einfachen Armbewegung das halbe Bühnenbild einzureißen (s.o.: Es sei denn, es ist gewollt).
Bewegungen können aber auch für den Leser selbst einen großen Mehrwert haben. Eine wiederkehrende, sicher geübte Bewegung kann das Selbstbewusstsein auf der Bühne stützen, außerdem kann sie als wiederkehrendes Element auch beim Einprägen des Textes behilflich sein. Denn: Genauso wie der Vortrag auf der Bühne mehrdimensional ist (Sprache, Mimik, Gestik, u.ä.) funktioniert auch das Gedächtnis mehrdimensional. Wer jetzt gerade mal an den Song Y.M.C.A. der Village People denkt, wird sehr wahrscheinlich in seinem Bewusstsein auch die Armbewegungen dazu finden; sieht Mensch jemanden die Armbewegungen machen, ruft sich auch der Song ins Gedächtnis.
Aber: Wie komme ich zu den passenden Bewegungen? Die Antwort ist denkbar einfach: Lesen vor dem Spiegel/ der Kamera. Schnell entlarvt Mensch sich bei unnatürlich wirkenden und auch "unproduktiven" Bewegungen, die weder einem selbst, noch dem Publikum und auch oft dem Text keinen Nutzen bieten. Dabei gilt es natürlich immer zu prüfen: Was will ich mit dem Text erreichen? Wo liegt mein Ziel?
Intonation, sollte sich eigentlich von selbsterklären, trotzdem möchte ich hier ein paar Worte dazu verlieren. Eigentlich ein Verweis darauf, dass hier die selben Grundlagen wie bei der Bewegung gelten.
Betonung kann nur dann gut funktionieren und zielführend sein, wenn sie bewusst gewählt wurde. Allerdings muss eine wichtige Variable mit bedacht werden: das Mikrophon.
Als erstes ein Tipp für Bühnenanfänger: Please mind the Gap! Achte bitte auf deinen Abstand zum Tonabnehmer. Viele Neulinge stehen ein Stück zu weit weg und/oder wippen beim Lesen. Man merkt es selbst nicht unbedingt, aber fürs Publikum ist der entstehende Lautstärkewechsel anstrengend und das Verständnis wird deutlich erschwert.
Wenn aber das Gefühl für den Abstand da ist, kann dieser genutzt werden. Du willst in deinem Text flüstern? Du willst schreien? Achte auf deine Position zum Mikro. Alle sollen verstehen, niemand einen Hörsturz erleiden.

"Ja, aber warum gewinnen jetzt immer noch die anderen?"
Authentizität
Der schwierigste Faktor, weil er nicht zu erlernen ist, nur erlangt werden kann, trotzdem aber von allen unterschätzt wird. Poetry Slam und Bühnenliteratur leben vom Charakter auf der Bühne und das Publikum davor bewertet diesen mit. Es geht aber nicht darum, möglichst attraktiv zu sein, es geht vor allem darum glaubhaft zu sein.
Mein Auftreten, mein Vortrag, mein Inhalt, sollte zu mir passen bzw. ich sollte so wirken als würde ich zu meinen Inhalten passen. Es gibt viele einfache Möglichkeiten, sich diese Wirkung zu ruinieren. Sich in einer Anmoderation langsam vorwärts zu witzeln und freche Sprüche zu bringen, erschwert nur den Start, will Mensch dann ernst und kritisch klingen. Was im Umkehrschluss aber nicht heißt, Brille zu tragen, finster drein zu schauen und sich auf die Bühne zu weinen. Hier ist der vielleicht schwierigste Teil: Das Gefühl, das den Text tragen soll, auch schon mit auf die Bühne zu bringen.
Und nicht nur eine verblasste Kopie des Gefühls oder ein zugespitztes Abbild, sondern eine Version des Gefühls, die dem Original so ähnlich wie möglich ist. Das originale, selbe Gefühl, das man beim Schreiben des Textes gefühlt hat kann man nur selten mitbringen, oft nur, wenn der Text äußerst frisch ist. Aber wie man im Leben fortschreitet, distanziert man sich von seinem damaligen Gefühl, hat aber vielleicht immer noch einen Text, der einem am Herzen liegt und/oder auch sehr gut ist.
Hier kann Mensch aber, zu Gunsten der Authentizität, aber nachhelfen: Bevor Mensch auf die Bühne geht, sollte er sich bewusst gemacht haben, was er/sie mit diesem Text gefühlt hat, welches Gefühl er/sie mit auf die Bühne nehmen will. Wenn das klar definiert ist, durchsucht man sein Gedächtnis nach Momenten und Ereignissen, die auch genau dieses Gefühl ausgelöst haben, wo und wann dieses Gefühl ein Begleiter war. Man ruft sich außerdem ins Gedächtnis, wie man sich selbst verhält, wenn man so fühlt. Wie gehe ich, wie stehe ich, wie rede ich? Man versucht also konservierte Erinnerungen abzurufen, verknüpft sie mit dem Text, auch wenn sie vielleicht gar nicht darin vorkommen. Mit diesem Bewusstsein fällt es oft leichter den passenden Ton zu finden, seine eigene "echte" innere Wut, Liebe, Zynik, Verzweiflung, etc. mit auf die Bühne zu bringen.
Diese Methode funktioniert aber nicht nur, wenn Mensch sich selbst auf die Bühne mitbringt. Denn Authentizität meint hier nicht, immer "Mensch selbst" zu sein, sondern es geht hier erstmal nur um Glaubhaftigkeit. Und die muss Mensch auch erreichen können, wenn er auf der Bühne eine Rolle spielt. Eine Fertigkeit, die beim Poetry Slam scheinbar nur zu oft falsch eingeschätzt wird.
Manche Texte erlauben es, bieten es an oder erfordern es sogar, dass Mensch eine Rolle einnimmt. Wer das Klischee eines geistig verwirrten Menschen bedienen möchte, der wird damit nicht erfolgreich sein, wenn er einfach monoton vorträgt und liest. An den zuvor erwähnten Vorgehensweisen zum Erlernen dieser Rollen ändert sich aber wenig: Beobachten, Verstehen, Konservieren und Abrufen.
Eine hilfreiche und wichtige Frage zur Begleitung: Welchen Zweck soll die Rolle erfüllen? Ein Verrückter als Ironie muss anders dargestellt werden als ein tatsächlicher Verrückter.

Die Zusammenfassung:
- Es gibt definitiv mehr Wege zum Bühnenerfolg als den humorigen; wie Mensch Erfolg definiert sei hier jetzt jedem selbst überlassen.
- Es ist keine Schande gewinnen zu wollen, es ist eine Tugend sich nicht aufs Gewinnen zu reduzieren.
- Wer sich ärgert, dass er nicht besser abschneidet, erfolgreicher ist oder gewinnt, der muss den Fehler in seiner eigenen Leistung suchen, denn nur die kann er zukünftig beeinflussen.
- Publikum ist keine stumpfe Masse, sondern ein zu aktivierendes Potential.
- Egal was Mensch auf der Bühne tut, es sollte bewusst passieren.

Meine Analyse ist, ich wiederhole mich hier, natürlich Meinung und damit äußerst unwissenschaftlich und subjektiv; gemeint ist sie aber vor allem als Tipps, als Hinweise, als Denkanstoß für andere die auf der Bühne stehen.

Abschließend zu dieser Saison sei von mir gesagt, dass ich mich gefreut habe neue Gesichter zu sehen, an und mit alten Begleitern zu wachsen. Dieses Jahr gab mir die Chance viel zu erkennen, viel zu verstehen, vor allem aber einen neuen Zugriff zu mir selbst zu finden. Nicht alles davon habe ich auf der Bühne gelernt, nicht wenig davon neben ihr.
Besonders viel gelernt habe ich mit dem Team meines eigenen Slams, der Weststadtstory, bei denen ich mich auch herzlichst bedanken möchte.
Bald geht es weiter mit den Slam- bzw. Bühnentagebüchern. In Zukunft werden Lesebühnen und andere Auftritte auch mit berücksichtigt in dieser Rubrik.
Ich freue mich auf die kommende Saison, auch wenn diese zum aktuellen Zeitpunkt schon im vollen Gange ist.

Kommentare

  1. Jamal Da King27.4.13

    Eine echt gute Analyse des Auftretens beim Slam. Du hast ein Tabuthema des Poetry Slams angeschnitten und das Bild der "Wir lieben die Literatur und alle, die das auch machen"-Attitüde total geschrottet. Gut!!!

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    1. Mit einem gewissen Hang zur Präzision könnte ich jetzt anmerken, dass Teile der Szene dieses Bild vielleicht ganz alleine geschrottet haben und ich es nur erwähne, aber ich möchte vorallem daran erinnern, auch wenn der Text vielleicht dazu einlädt, nicht alle Slammer jetzt in einen Sack zu werfen.
      Wie bei vielem im Leben, gibt es natürlich diese und diese Leute.

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