Der letzte Bus

"Entschuldigen Sie, hält der auch in Haarzopf?"
"Der geht direkt nach Essen/Mülheim Flughafen. Ist die letzte Tour.", sagte der kernige Typ am Lenkrad und warf einen charmanten Blick über seine stilvolle Sonnenbrille. Der gerade eingestiegene Fahrgast wunderte sich, machte aber auf dem Absatz wieder kehrt.
Mit einem sicheren Griff ins Schaltbrett schloss er die Türen des Busses, drehte den Schlüssel im Zündschloss und warf einen abschließenden Blick auf die Instrumente. Dann signalisierte er dem jungen Kerl, der auf dem höheren Sitz neben der Tür saß, dass er startklar war.

Der Bus hatte sich gerade erst in Bewegung gesetzt, da knackte es kurz und dann begann die traditionelle Ansprache:
"Guten Abend meine Damen und Herren, sie befinden sich im Bus 145 nach Essen/Mülheim Flughafen. Die Außentemperatur beträgt frische 2 Grad und wir haben klaren Himmel und so mit freie und turbulenzenarme Fahrt. Bei einer Dauer von etwa 30 Minuten werden wir vorraussichtlich pünktlich am Zielflughafen ankommen.", dann stockte er kurz, da ihm wieder einfiel, dass er hier keine Sicherheitsbelehrung machen brauchte – Man hatte ihn darauf hingewiesen, dass die Fälle von Notwasserungen im öffentlichen Personennahverkehr äußerst selten waren und somit alle Rettungswesten abgerüstet wurden. Das auch keine Sauerstoffmasken im Deckenbereich zur Verfügung standen, bereute er immer dann, wenn er die letzte Fuhre Teenager aus den Diskotheken eingesammelt hatte, denn die könnten dann meist frische Luft gut gebrauchen.
Die Fahrten waren oft lang und einsam, keiner wollte zum Flughafen, um diese Zeit, der große Schwung kam erst auf dem Rückweg, wenn seine Linie zum Nachtbus wurde. Da verlor aber für ihn die Tour den Reiz, meist musste er dann ermahnen, dass im Bus nicht getrunken werden darf, zur Ruhe aufrufen und Vandalismus verhindern.
Am Flughafen hatte er immer etwas Pause, trank einen Tee und träumte. Es landete kaum mehr ein Flieger und die Starts waren nachts nicht erlaubt, aber trotzdem stellte er sich immer vor, wie es wäre, die andere Uniform zu tragen, die Pilotenbrille im Cockpit auf zu haben. Die Instrumente, die blinkenden Lichter der Landebahn, der Funk mit dem Tower.
In der Nähe lärmte irgendwo ein Vereinsheim, mitten auf dem Acker und er sah, dass in ein paar Minuten Fahrgäste angerollt kämen, also machte er seine Teekanne und seine Träume zu.
Einige junge Frauen standen vor seiner Bustür, alle mit diesem komischen Jeans-in-den-Stiefeln-Look und stolperzierten lachend in seinen Bus, ihn eigentlich nicht beachtend, bis er seine Stimme erhob:
"Dear Madams, I have to inform you, that you are not allowed to carry alcohol with you." Die Traube aus wenig nüchternden Frauen stopte kurz, verständnislos dreinschauend: "Wat?" - "I'm really sorry, not my rules.", sagte der Fahrer mit seinem besten Lächeln, "but you are really not allowed to carry alcohol with you or to drink it within the vehicle."
"Wat? Warum sprichste den Englisch mit uns?", der Busfahrer erschreckte sich, antworte aber prompt und höflich, wie er es gelernt hatte: "Oh, Verzeihung, ich hatte Sie aufgrund ihrer amerikanischwirkenden Garderobe als internationale Passagiere eingeschätzt." Jeans, Stiefel, Ledergürtel und karierte Hemden, in seiner Welt waren sie die perfekten Cowgirls.
"Internationale Passagiere? Noch alles ganz frisch, Alter?", fragte die eine und er merkte, dass, auch wenn sie nicht international waren, sie trortzdem ziemlich befremdlich wirkten. Ihm stand aber kein Urteil zu, er war hier um seine Arbeit zu tun und so verwies er auf einen pünktlichen Check-In, damit sie ohne Delay den Departure durchführen könnten.
Die Damen gingen nochmal einen Schritt hinaus, sich an die Weisung bezüglich des Alkohols erinnernd und fingen an, die Bier- und Schnapsflaschen in ihren Handtaschen zu verstecken. Er hasste es, wenn sie so etwas versuchten. Vorallem dann, wenn sie sich nicht mal Mühe gaben, es richtig zu verstecken. Es kam ihm immer vor, als wüssten die Passagiere nicht, dass man sie durch die Scheiben des Busses sehen könnte. Sowieso hasste er solche Passagiere. Wenn einer eine Reise tut, dann sollte er sich nicht so benebeln, dass er nichts mehr wahrnimmt. Nüchtern und bei Vernunft aus dem Fenster schauen und die Länder bestaunen, an denen man vorbei zieht. Auch wenn es mitten in der Nacht war. Irgendwas gab es im Lichter- und Farbenmeer immer zu entdecken. Aber das einzige Farbenmeer von denen würde sich später auf dem Boden des Busses oder zu hause in der Toilette erstrecken. Sauerstoffmasken, ohne Scherz.
Zwar wies er intensiv darauf hin, dass das Mitführen von Flüssigkeiten über der Menge eines Parfüms oder Shampoos nicht erlaubt sei, aber die betrunkenen Cowgirls nahmen keine Rücksicht auf ihn. Er versuchte es noch einmal charmant, mit diesem gekonnten Blick über die Brille, aber die jungen Frauen hatten keinen Sinn für charmant:
"Pass mal auf, Opi", sagte die eine, "wenn du glaubst uns mit deiner Flughafennummer beeindrucken zu können, biste schief gewickelt. Lass uns einfach in Ruhe mit deinem Scheiß."
Von da an war es eine ruhige, einsame Fahrt. Er konzentrierte sich auf seinen Job, die Instrumente. Bloß nicht in den Spiegel gucken, wo die unhöflichen Frauen sich weiter betranken. Er fragte sich schon gar nicht mehr, ob sie zu schätzen wussten, dass er sie gerade mitten aus der Pampa nach hause fuhr. So Fragen nutzten ihm einfach nichts.
Erst zu hause, in seiner kleinen kargen Wohnung konnte er sich wieder freuen. Er hing seine Mütze an den Haken und seine Fliegerjacke darunter. Er zog die guten Schuhe aus, die ordentliche Hose. Er machte sich ein Brot und blickte an die Wand.
Es war nett, dass man ihn noch Bus fahren lies. Seine große Liebe, das Fliegen, musste er leider verlassen. Zu alt, zu langsam, zu schwach. Aber so ganz ohne die Instrumente, die Schalter konnte er nicht. Er musste etwas bewegen und als aus den Airbussen Busse wurden, da schien es für ihn ein fairer Kompromiss.
Das Doppelbett war viel zu groß für ihn, viel zu kühl, vorallem, da er sich immer ganz klein machte. Er suchte die Beschäftigung, als das Vermissen immer größer wurde. Seine kleine Liebe, seine Frau, hatte ihn verlassen. Zu alt, zu langsam, zu schwach. Ihre Hälfte im gemeinsamen Bett war so kalt geworden, wie ihre Hand, als er sie bis zum Schluss gehalten hatte. Sie atmete ganz still und lächelte ihn an, mit all der Liebe, die ihr schwaches Herz noch tragen konnte. "Wenn du nochmal fliegst, können wir im Himmel zusammen sein." und dann war sie eingeschlafen und flog ihm davon.
Näher als an der Endhaltestelle, war er einem Flughafen aber nicht mehr gekommen.
"Ist die letzte Tour." flüsterte er noch vor dem Einschlafen und setzte die Pilotenbrille ab.

Kommentare

  1. Anonym17.4.13

    Ach Mensch, da fällt man direkt in die Trauer zum Ende hin :*-(. Ich bin nie mehr unfreundlich zu meinem Busfahrer!

    Danke für die Kurzgeschichte.

    Hermann

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.

Vielleicht auch spannend: