Aus dem Leben eines Lokführers

Es ist ein sonniger Dienstagmorgen. Peter, ein Lokführer im Güterverkehr soll heute einen Erzzug in Oberhausen- West übernehmen und ins Saarland fahren. Er ist spät dran.

Er nimmt das Auto, mit dem Nahverkehr schafft er es nicht rechtzeitig zu dem Güterbahnhof.
Er ruft im Stellwerk an, die Nummer hat er aus seinen Unterlagen. Peter erkundigt sich, ob der Zug schon da ist.

"Nee, der hat etwa 20 Minuten Verspätung, musste ein paar Personenzüge vorbeilassen."
"Na dann kann ich ja gemütlich machen.", denkt Peter. 
Als er ankommt, parkt er seinen Wagen, zieht sich seine Warnweste über, schultert seinen Rucksack und macht sich auf den Weg zum Ablösepunkt. Er muss ein paar Minuten warten, dann trifft sein Zug ein. Er wirft direkt einen Blick darauf. Es ist ein Erzzug mit 42 Wagen und einem Gewicht von etwa 4500 Tonnen. Die beiden Loks, die in Doppeltraktion davor hängen liebt er über alles. Schön modern und leistungsstark.
Nach einem kurzen Ablösungsgespräch kraxelt Peter auf die Lok und stellt seinen schweren Rucksack neben seinem Sitz ab. Danach rüstet er die Loks auf und funkt den Stellwerker, den sogenannten Fahrdienstleiter, an um Bescheid zu geben, dass er abfahrbereit ist. Dieser sagt ihm allerdings, dass er sich noch etwas gedulden müsse, da noch ein paar Züge im Zulauf seien. Peter lehnt sich zurück und gießt sich Kaffee aus seiner Thermoskanne in einen Becher. Trotz der vielen Warterei macht er seinen Beruf gerne. Auf der Lok fühlt er sich wohl. 



Nach etwa einer 10 Minuten darf Peter dann auch endlich abfahren. Allerdings als Langsamfahrt mit 40 km/h, bis er auf der Hauptstrecke angekommen ist. Der Zug schlängelt sich durch den Weichenbereich. Auf dem Hauptgleis angekommen, schiebt Peter den Leistungshebel nach vorne. Die beiden Loks arbeiten am Limit um den schweren Zug auf 100 Stundenkilometer zu beschleunigen.
Peter wird auf die Güterumgehungsbahn zwischen Duisburg- Wedau und Düsseldorf- Rath geleitet, die übliche Strecke. 
Peter fährt in eine langgezogene Rechtskurve. Ein Kalkzug aus Wülfrath kommt ihm entgegen. Er grüßt seinen Kollegen per Handzeichen, der sich weit nach vorne lehnt und wie ein Irrer winkt. "Ach Mensch, das war doch der Ulf. Ist ja witzig." denkt Peter und konzentriert sich wieder auf seine Arbeit, seine Leidenschaft.
Er wollte schon seit Kindesalter Lokführer werden. Als kleiner Junge war er mit seinem Vater häufig am Bahnhof und war von den großen Maschinen begeistert. Dann hieß es immer "Papa, Züge gucken, Züge gucken!"
Nun ist er erwachsen und seit mittlerweile zwölf Jahren Triebfahrzeugführer im Güterverkehr. 
Als Peter am Abzweig Tiefenbroich ankommt, sieht er plötzlich in mehreren hundert Metern Entfernung einige Menschen die Gleise überqueren. Er pfeift mehrfach und leitet eine Schnellbremsung ein. Nur langsam nimmt die Geschwindigkeit ab, er schaltet die Bremssandung ein. Auf einmal strauchelt eine der Personen und stürzt auf die Gleise. Peter erkennt, dass die gestürzte Person ein junges Mädchen ist. Sie ist vielleicht 14 oder 15 Jahre alt. Nur noch etwa 100 Meter trennen den Zug, der immer noch mit 60 km/h unterwegs ist, von dem Mädchen.

"Hau doch ab!" brüllt Peter verzweifelt. Er vergisst, dass sie ihn ja nicht hören kann. Peter kneift die Augen zusammen. Er hofft, dass der Zug irgendwie noch vor einem Zusammenstoß mit der Gestürzten zum Stehen kommt. 
Plötzlich ein dumpfer Knall. Peter öffnet reflexartig die Augen. Der Tacho zeigt noch 40 km/h an. Er weiß, dass er das junge Mädchen überfahren hat. Noch bevor der Zug angehalten hat, setzt er einen Notruf beim Fahrdienstleiter ab, der sofort die Strecke sperrt und die Notfallleitstelle alarmiert, welche die Rettungskräfte anfordert.

Als der Zug unsanft zum Stehen kommt, ist Peter nahezu wie gelähmt. Lediglich den Knopf des Zugsicherungssystems PZB drückt er durchgehend, auch wenn das im Moment keine Funktion erfüllt. Ein penetranter Geruch nach verbranntem Fleisch steigt ihm in die Nase.
Er weiß, dass er nun eigentlich sein Triebfahrzeug verlassen müsste, um nach der Person zu sehen. Aber er kann sich nicht bewegen. Es geht einfach nicht, der Schock macht ihn bewegungsunfähig.

Nach ein paar Minuten treffen sowohl Rettungsdienst als auch das DB Notfallmanagment mit einem Ersatzlokführer ein. Ein Rettungsassistent klettert zusammen mit dem anderen Eisenbahner zu Peter auf die Lok. Dieser sitzt nach wie vor da und drückt diesen einen Knopf. Der Ersatzlokführer kennt Peter. Sie waren damals zusammen in einem Ausbildungsjahr und seitdem gut befreundet.

"Ist das Mädchen tot?" fragt Peter. "Ich weiß es nicht. Der Notarzt ist bei ihr." sagt der Rettungsassistent. Peter hat noch nicht richtig realisiert, was eben passiert ist. "Kommen Sie bitte mit. Ich bringe Sie zum Rettungswagen, dann werden Sie in ein Krankenhaus gebracht." Peter folgt dem Rettungsassistenten aus der Lok. Als er zwei Schritte Richtung Rettungswagen geht, bricht er weinend zusammen. Ihm wird klar, was passiert ist. Er hat ein junges Mädchen überfahren. Sie wird es nicht überlebt haben.
 Der Notfallmanager kommt herbeigeeilt und kniet sich zu Peter. "Du wirst nichts dafür gekonnt haben. Du hast einen schweren Güterzug gefahren. Da brauchst du halt knapp 1000 Meter, bis die Kiste steht.". Er versucht Peter zu beruhigen. Der Notfallmanager und der Rettungsassistent helfen ihm hoch und begleiten ihn zum Rettungswagen. Peter wird ins nächste Krankenhaus gebracht, wo er die nächsten Tage verbleibt.

Ein guter Freund holt den immer noch völlig aufgelösten Lokführer am Krankenhaus ab. Er ist Peters Notfallkontakt.
Nach einer langen Diskussion stimmt Peter zu die psychologische Behandlung, an die sein Arbeitgeber ihn vermittelt hat, wahrzunehmen.
Es ist für ihn nicht leicht einzugestehen, dass ihn die Situation schwer belastet und er Hilfe braucht.

Eine Woche später ist die erste Sitzung. Besonders geschulte Psychologen helfen Peter ungemein mit seinem Unfall umzugehen.
Ein halbes Jahr lang geht er drei Mal die Woche zu den Sitzungen. Er hat mit Hilfe der Psychologen seinen Personenunfall gut verarbeiten können. Zwar wacht er manchmal nachts noch schweißgebadet auf, weil er von diesem grausamen Tag geträumt hat aber es geht ihm schon viel besser.

Peter will wieder arbeiten gehen. Er lässt sich umschulen und arbeitet nun im Rangierbahnhof Oberhausen- Osterfeld als Lokrangierführer. Dort ist die Wahrscheinlichkeit auf einen Personenunfall wesentlich geringer als auf der freien Strecke.
Peter hat es geschafft. Nach diesem traumatischen Erlebnis, sitzt er wieder in einer Lok. Und er fühlt sich dabei gut.


Bis zu seiner Rente wird er keinen Personenunfall mehr haben.


Kommentare

  1. Sehr eindrucksvoll und intensiv. Klingt nach intensiver Recherche!

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    1. Recherche würd ich das nicht nennen. Ich bin halt durch mein Hobby damit gut vertraut ;-)

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  2. Eine Bekannte von mir arbeitet bei der Bahn und sagte mal das Statistisch gesehen jeder Lokführer in seiner Dienstzeit drei Menschen überfährt.

    Was mich daran so ankotzt ist die Tatsache, das ein Gros dieser Unfälle durch Verschulden der Menschen entstehen, die letztendlich überrolt werden. Sei es nun aus Leichtsinn oder Absicht. Ich empfinde kein Mitleid für diese Schwachsinnigen. Leid tut mir nur der Lokführer.

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