Diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu

"Ich möchte mich bei meinem Vorredner, H.P. Baxxter, bedanken. Auch ich werde häufig missverstanden und möchte auch mit einem Missverständnis anschließen.

Bevor ich meinen eigentlichen Vortrag beginne, möchte ich mich vorstellen, denn ich gehe davon aus, dass ich nicht allen bekannt bin.
Ich bin die Maus aus dem Werk "die kleine Fabel" von Franz Kafka.

Da dieses Werk erst nach dem Versterben Kafkas durch Max Brod veröffentlicht wurde, hatten alle Beteiligten und der Herausgeber  ursprünglich beschlossen, dass wir uns zu dem Werk und seinen Inhalten nicht weiter äußern werden. Ich komme aber nicht umher zu bemerken, dass dieses Stück im Allgemeinen falsch und im Speziellen heutzutage nicht bis zum Ende interpretiert wird.

Für diejenigen von Ihnen, denen das äußerst kurze Stück nicht mehr im Gedächtnis ist, möchte ich es zu erst einmal wiederholen, im originalen Wortlaut des Autoren:
„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du mußt nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.

Zweifelsfrei geht es in der Fabel um die Konzepte der Freiheit und des Zwangs. Ich will Sie gar nicht mit den - vermutlich zu Genüge bekannten - Analysen dieses Werkes belasten, sondern direkt an dem Punkt einsteigen, der mich dazu gebracht hat, mein Schweigen zu brechen.

Mir ist es, dass der Text zunehmend so gedeutet wird, das nur ein möglichst hoher Grad an Freiheit, ohne Eingriff von außerhalb die Lösung aller Probleme wäre. Mag ich mich, als einfacher Darsteller in einer Geschichte nicht im Stande sehen diese Frage unanfechtbar zu beantworten, so möchte ich aber zumindest im Rahmen meines Stückes vehement widersprechen.

Wir leben, inzwischen, oftmals mit einem sehr liberalen Verhältnis zu den vorgegebenen Regeln. Bei manchen, nehmen wir zum Beispiel die Geschwindigkeitsbegrenzungen für Fahrzeuge, setzen wir unsere Selbstwahrnehmung der Fähigkeiten über die Vorgaben des Gesetzgebers. Auch in der Rechtsprechung sehen wir uns als geeigneteren Richter, als der jeweils zuständige Sprecher der Judikative. Natürlich, denn wenn wir immer nur den bestehenden Regeln folgen, die wir nicht selbst aufgebaut haben, laufen wir ins letzte Zimmer in die Falle.

Manche von uns glauben ja, dass wenn sie die systemischen und gesellschaftlichen Regeln nicht ganz zu ernst nehmen, sich selbst aber Regeln machen, wären sie frei. Die kleine Fabel beantwortet diese nicht gestellte Frage aber, denn der Teufel liegt hier im Detail und ist nicht zu verachten: Die Mauern, rechts und links, sind Mauern und Zwänge, ganz egal wer sie gebaut hat. Also sei auch denen, die sich ihre Regeln selbst machen gesagt, dass sie am Ende in die gleiche Falle laufen.

Die Menschen, die sich dessen und der Fabel bewußt sind, nehmen also den Rat der Katze an und laufen in die andere Richtung. Weg von allen Zwängen und Mauern. Sie verweigern sich jedem System, jeder Reglementierung und jedem Zwang, außer er ist aus ihnen selbst und aus ihrer Bedürfnislage heraus geboren. Und da sie, ihrer Meinung nach in eine Welt geboren, die schon mit Mauern ausgestattet ist, die Angst vor der vollständigen Freiheit nicht kennen, rennen und laufen sie vor den Zwängen davon.

Und so endet für die Meisten dann auch Analyse und Erkenntnis der kleinen Fabel in der einfachen Formel: Zwänge töten dich, also suche die Freiheit. Daher sehe ich mich gezwungen hier heute zu sprechen, um den letzten Gedankenschritt zu tun, den unsere so junge Welt übersieht oder wissentlich ignoriert:
Wer immer nur nach der Freiheit strebt und den Zwängen entkommen will, sollte sich fragen, wer denn hier den Ratschlag gegeben hat, sich möglichst die Freiheit zu suchen? Wer wünscht denn hier, dass wir Mäuse, wir Menschen vor den Zwängen, unabhängig ihrer Natur flüchten? Wer indoktriniert uns hier denn den Wunsch der Liberalität, das Streben nach Zwanglosigkeit?

Ich denke die Antwort ist eindeutig.

Ihr müsst die Laufrichtung ändern!

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