Von Rapper*innen lernen

Wenn ich mich mit Künstler*innen unterhalte, dann verstehe ich schnell, warum so viele von uns gerade Interesse an Stand-Up-Comedy haben. Denn selbstverletztenden Humor, den haben wir alle drauf. Allerdings, dass wir hinter jedem unserer Witze nicht dieses befreiende Lachen haben, sondern sichtbar die Schultern fallen lassen und mit den Augen nach Hilfe suchen. Oder wenigstens eine andere Person um uns herum, die sich auch so fühlt. 

So oder so: Oft glauben wir, wenn wir uns nach Außen nicht zu ernst nehmen, dann sehen wir bescheiden aus und entgehen allzu kritischer Bewertung von Außen, die unsere sanfte Seele nämlich vielleicht gerade gar nicht vertragen könnte. Wir zeigen unsere Kunst, also haben wir unser Herz auf gemacht und da sind wir halt sehr verletzlich, also versuchen wir alle möglichen Angriffe direkt vorher abzuschwächen. Das geht natürlich nicht nur mit Humor, sondern auch mit Schmeicheleien zu unserem Gegenüber oder einem unterordnenen Blick, als wären wir ein Hund der weiß, dass er etwas ausgefressen hat.

In fast allen Kunstbereichen sehe ich das. Als wäre Stolz illegal. Als ob wir wahre relevante Kunst gemacht haben, ein hohes unsichtbares mystisches Gremium entscheidt, niemals niemals aber wir selbst. Dabei ist das gar nicht so. Und wann immer ich Künstler*innen sehe, die es schaffen ihr Kinn oberhalb der Schulterlinie zu tragen, bin ich äußerst froh. Es geht ja also doch, denke ich. Und vielleicht ist es bei diesen Menschen auch nicht immer Stolz, aber was auch immer sie glücklich macht mit ihrer Kunst, mag ich feiern und ansteckend finden.

In fast allen Kunstbereichen die ich sehe, erkenne ich das, bis auf einem. Hip-Hop. Die Hip-Hop-Kultur strotzt vor unbegründeter unangefochtener Selbstsicherheit. Selbst die grünsten Anfänger*innen schreiben ihre Zeilen darüber, warum sie besser sind als alle anderen. Niemand wartet da auf den Ritter*innen-Schlag durch ein Magazin oder eine*n Kunstkritiker*in. Wer Rap macht, macht Ego. Und im besten Fall, wenn sie es menschlich nachhaltig machen, dann kümmern sie sich dahinter auch um ihr Selbst. So oder so: Wer Hip-Hop hört, freut sich oft darüber, wie unfassbar wortgewandt und absolut unverschämt da Künstler*innen von sich behaupten die Besten zu sein. Wenn ich Hip-Hop höre, feier ich oft genau das. Wie dreist kann mensch sich sprachlich über alle anderen in der eigenen Kunstform stellen wollen? Fantastisch. Liebe ich.

Im Hip-Hop ist das zur Spielart geworden. Es ist Teil der Kunst. Es gehört quasi zum guten Handwerk. Es hat eigene Formate zu Tage gefördert, wie zum Beispiel den Battle-Rap. Und auch mancher Disstrack auf andere Artists, die wir vielleicht als künstlerisches Streitgespräch sehen können, sind halt immer noch Teil der Kunstform. Und auch die schaffen es, so wie wir es uns für unsere Kunst wünschen, relevant und wichtig zu werden. Weil Hip-Hop-Fans werden bestätigen: Viele Disstracks schaffen es auch bis in den Kultstatus, zum Meilenstein oder in den Kanon einer Kultur.

Vorher schrieb ich "unverschämt". Ein Wort, dass ich mir gerne auf der Zunge zergehen und auf der Goldwaage zerlegen lassen möchte. Denn was wir im Alltag oft verwenden um zu sagen, dass jemand da gerade etwas freches getan hat und vielleicht eine Grenze überschritten, sagt ja in der Zusammensetzung etwas anderes: Ohne Scham. 

Scham ist ja eins dieser Gefühle, die im Kontext von Gesellschaft und Gemeinschaft entstehen. Wenn wir uns schämen, dann haben wir Angst aus der Gruppe ausgeschlossen werden zu können. Egal ob das wirklich droht oder wir es nur befürchten. Rapper*innen fürchten das nicht. Historisch hat das vielleicht mit der Natur vieler Raptexte zu tun, die aus der Black Culture einen Stolz machen und Widerstand gegen unterdrückende weiße Strukturen und Kunststrukturen war. Da war kein Platz mehr für "Scham". Die Zeit war vorbei. Und ganz sicher hat das dicke Ego im Rap auch damit zu tun, dass es von Anfang an eine absolute Männerdomäne war, die sich erst in den letzten Jahren auch für nicht-männliche Personen öffnet. Aber heutzutage hat es vermutlich auch mit der Sehnsucht nach einem Selbstwert zu tun. Kann ich nicht sicher sagen, dass wissen Leute die sich tiefer mit Rap beschäftigen sicher alles besser und genauer.

Faszinierend ist es aber dadurch nicht weniger. Denn auch wenn wir keine Raptexte schreiben, müssen wir uns manchmal nach Außen verkaufen. Zum Beispiel, wenn wir einen Pressetext schreiben oder uns um ein Stipendium oder für eine Stelle bewerben. Und da wird es mit dem selbstgeißelnden Humor dann schon schwieriger. Weil wer bucht/beschäftigt/bezahlt jemanden der*die nicht so wirkt, als könnte das Projekt klappen? Also warum nicht ein bisschen vom Rap naschen? Warum nicht schauen, welche unserer Techniken wir selbst so sehr mögen können, dass wir sie besonders herausstellen können? Oder welches Merkmal wir besonders gut finden. Was finden wir selbst an unserer Kunst relevant? Denn es gab ja einen Grund, warum wir sie gemacht haben. Da muss ja irgendwo ein Selbstwert drin stecken?

Und ja, vielleicht müssen wir, wie Rapper*innen auch erstmal uns größer schreiben und denken als wir sind. Und das mag sich dann wie Hochstapler-Syndrom anfühlen, aber einen Versuch ist es wert. Und wer weiß, vielleicht sind wir nicht Hochstapler*innen mit dem was wir dann über uns sagen, sondern finden in dem was wir übertreiben einen Wunsch, den wir sonst nicht ausgesprochen hätten. Oder eine zukünftige Version die wir uns manifestieren wollen. Aber es könnte klappen, denn wir müssen gestehen: Viele der Rapper*innen die am Anfang sich übertrieben haben, haben dann mir konstanter Arbeit den Status erreichen können und die Erfolge bekommen, die sie sich vorher nur angedichtet haben.

Also: Vielleicht mal ein bisschen in den Hip-Hop reinschnüffeln und sich trauen, mal etwas zu übertreiben, um das ewige untertreiben auszugleichen. Eine Erfolgsgarantie ist es natürlich nicht, aber wenn es hilft den Kopf wieder etwas höher zu tragen, dann ist zumindest das ein Erfolg.

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