Hindenburg

"Du wirst mir nie entkommen, Savage!" brüllte er und zog damit die Blicke einiger Passagiere auf sich, die eigentlich gerade bei Schaumwein und Streicherspiel köstlichst amüsiert waren. Mit einem Fingerzeig scheuchte er seine beiden Begleiter hinterher und die Gorillas setzten sich in Bewegung.
John Savage warf einen kurzen Blick über seine Schulter, während er seine Begleiterin vor sich her durch die Leute schob. Diese stolperten empört zur Seite und wer nicht angerempelt wurde, tuschelte hinter vorgehaltener Hand. Es juckte ihm schon in den Fingern, aber würde er hier seinen Revolver abfeuern, könnte er zuviele Unschuldige treffen. Auch wenn er nicht mehr in seiner Stadt war, Sheriff war er immer noch.
Er versuchte durch bauschige Kleider und ausladene Hüte seine Verfolger im Blick zu halten, aber in ihren gedeckten Brauntönen verschwanden sie in diesem Pastellmeer. Lediglich andere stolpernde Passagiere gaben ihm etwas Aufschluss, in diesem Tanz- und Gesellschaftsraum bewegte sich aber zu viel.
Beim Blick nach vorn sah er vorbei an seiner Begleiterin eine Tür, die eventuell Freiheit bedeuten konnte. Er machte einen halben Schritt mehr und lief mit seiner Begleiterin auf einer Höhe. "Was steht da?" fragte er mit einem Deut auf ebendiese Tür und sie antwortete mit starrer Stimme: "Maschinerie" und dann schob sie wieder ein "Mein Herr." nach, was er nie gerne hörte, denn sie war keine Sklavin mehr. Mit diesem Ziel vor Augen, schob er sie noch ein wenig heftiger an, da die beiden bestimmt nur noch sieben Schritt von der Tür trennten und warf einen letzten Blick über seine Schulter.

Der beunruhigende Moment in einer Verfolgung ist nicht der, in dem der Verfolger einen beinahe packt, es ist eher der, in dem du deinen Verfolger nicht mehr sehen kannst. Es bedeutet, dass dir ein Hinterhalt bereitet werden soll. Die Antwort auf einen Hinterhalt kann aber immer nur ein besserer Hinterhalt sein. Und so beschleunigte er seinen Schritt noch einmal, zog an ihr vorbei, drückte die Tür hastig auf, drückte seine Begleiterin auf der einen Seite der Tür in die Hocke, presste sich auf die andere Seite der Tür und hielt seinen Revolver auf die Höhe, wo als nächstes der Kopf von einem der Schläger auftauchen müsste oder im besten Fall der von Doktor von Gürtenstein höchstselbst.
Er hatte schon vielen gefährlichen Männern das Leben genommen, aber in diesem Fall wäre es ihm auch ein Vergnügen, da war er sich sicher. Mitleid war Dieben und Gaunern vorbehalten, aber von Gürtenstein war ein anderer Schlag von Verbrecher, wie Savage es noch nie zuvor erlebt hatte.
Der Anblick von Alisons grünmatten Verfärbungen im sonst bronzenen Gesicht lies in Savage den Zorn wieder auffahren. Am liebsten würde er so laut brüllen, dass die Triebwerke neben ihm still erschienen. Sie aber konnte sich nichts anmerken lassen. Savage war sich sicher, dass auch sie anders spürte, als ihre innerlich ruhig laufenden Zahnräder vermuten ließen.

"Das Spiel ist aus!" rief von Gürtenstein und Savage warf seinen Blick von der Tür in den Maschinenraum, konnte ihn aber nicht entdecken. Noch während er weiter den Raum ausspähte, über seinen Revolver schauend, griff er mit der anderen Hand die Tür, die sich aber auch mit kräftigem Griff nur zu einem Rütteln überreden lies und fest verschlossen war. "Warum erkennen Sie Ihre Niederlage nicht an?" Es war erstaunlich, dass man ihn so gut hören konnte, obwohl hier die lauten Maschinen arbeiteten. "Sie werden ohne mich nie wieder zurückkommen. Und Alison werden Sie auch nicht retten können!" Savage sah sich weiter verwundert um und, wie immer wenn er nicht verstand, sah er Alison an. Die wusste seinen Blick zu deuten, was er in ihrem starren Gesichtausdruck aber nur schwer ablesen konnte. Sie wendete sich auf seine Seite der Tür und stand wieder auf. "Aber ich gebe es gerne zu, Savage, Sie sind ein harter Brocken." Alison zeigte auf eine kleine Box, die über der Tür hang. "Lautsprecher. Er ist nicht hier", warf sie kalt und selbstverständlich aus. "Vielleicht bedeutet es Ihnen ja was, dass ich anerkenne, dass Sie bis zum Ende gekämpft haben. Immerhin sind sie ein Cowboy, ja ein Sheriff sogar. Sie tragen Ihren Stern mit Stolz." Savage musste sich schon viele dieser dämlichen Reden anhören in seiner Laufbahn als Sheriff. "Aber wissen Sie was wir da wo ich herkomme mit Leuten machen, die einen Stern auf der Brust tragen?"

Krachend löste sich ein Schuss aus dem Revolver, garniert mit einem schrillen Todesschrei des zersplitternden Lautsprechers. "Halt die Klappe, Drecksack.", zischte Savage hinterher. "Er kann dich nicht hören, Meister. Es funktioniert nur in eine Richtung", erklärte Alison ein wenig altklug, aber dessen war sie sich natürlich nicht bewusst.

Die Antwort auf einen Hinterhalt war ein besserer Hinterhalt und offensichtlich war sich von Gürtenstein dieser Faustregel auch bewusst, denn als hinter den schweren Maschinen ungleichmäßiges Lodern und leichter Rauch aufstiegen, war Savage klar, was der Plan war. "Wie Ungeziefer", sagte er für sich selbst und meinte das Ausräuchern, das hier geschehen sollte. Mit Alison an der Hand steuerte er auf den Brandherd zu. Weder Decken noch Wasser oder andere Hilfsmittel fielen ihm auf den eisernen Laufwegen ins Auge und so blieb ihm am Feuer selbst nur seinen Mantel zu opfern.

Mit einem heftigen Knall stieß er mit dem Kopf gegen eine der Maschinen, getroffen von einer Breitseite. Auch wenn er seinen Revolver verloren hatte, verlor er nicht den Überblick und konnte mit vorgehaltenen Armen den anschließenden Tritt abwehren. Egal ob sie aus dem Wilden Westen oder Nazi-Deutschland kamen, die Angriffsfolgen der Gauner waren doch immer die gleichen. So konnte er sich vor dem zweiten Tritt davonrollen und stand schneller auf den Beinen, als das dümmliche Muskelpaket staunen konnte. Die harte Hacke seiner Steifel grub Savage in die Genitalien seines Gegenüber und noch im Kniefall ebendieses drückte er bis in ein knackendes Geräusch nach. Er warf den Kopf von Seite zu Seite um den zweiten Schläger zu finden – vergebens.

Alison stieß Savage an und zeigte in die Flammen. Der Revolver glühte bereits heftig. Schlagartig griff er Alisons Hand und schleuderte sich mit ihr durch den Maschinenraum. Er war sich sicher, das die losplatzenden Patronen seinen Mantel getroffen hatten. Ob die Hitze in ihm Adrenalin oder Treffer waren, hätte er nicht sicher sagen können. Als die beiden wieder an der verriegelten Tür ankamen, verlor der Boden unter ihnen langsam an Halt. Es war, als würde der ganze Raum zur Seite wegkippen. Dass sich das Feuer rasant ausbreitete war auch keine besondere Hilfe.

Savage gingen die Ideen aus. Seiner Zeit - oder besser gesagt in seiner Zeit - da waren solche Dinge einfacher. Die Türen waren aus Holz, das Feuer bahnte einem schon einen Weg, man sprang draußen in die Tränke oder in den Fluss und sah dann zu, dass man schnell wieder zu Pferd und Revolver kam. Jetzt waren die Türen aus Stahl, die Wände auch und Savage nicht begeistert. Eine Möglichkeit blieb ihnen aber noch, auch wenn er die hasste.

"Können wir springen, Alison?", fragte er in ruhiger Stimme, wissend, dass der nächste Sprung auch wieder ihre Verrostungen fortschreiten lassen würde. Unter dem Krachen von überhitzenden und zerfallenden Maschinen schüttelte Alison effektiv, wie sie als Roboter nunmal war, genau einmal den Kopf: "Die Applikation braucht noch genau Drei Strich Vier Zeiteinheiten, Meister." Ein einfaches Nein hätte es für ihn auch getan, denn er verstand weder Applikation, noch ihre Zeiteinheiten, aber er verstand, was jetzt zu tun wäre.

"Alison, ich möchte, dass du mich nicht mehr Meister nennst. Du bist keine Sklavin mehr." - "Ja, Meister." Auch wenn Menschen kaum mehr Zeit bleibt, bleibt doch immer ein Moment um mit den Augen zu rollen. Auch für Cowboys. "Es ist das, was ihr eine Gewohnheit nennt", stellte Alison fest und noch bevor John Savage fertig gelacht hatte, neigte er sich mit einem Kuss zu ihr.

Es war erst ein ganz leises Knistern, aber dann überrollt von einem tosenden Donner brach die Außenwand des Maschinenraums weg und verschwand. Savage versuchte, außer Alison noch irgendwas zu greifen, stieß vor Maschinenteile und Gestänge, während der Riss in der Wand mit heftigem Wind nach ihnen griff. Savage sah, dass hinter dem Riss erst der Himmel und dann mit weiterem Abkippen des Raumes die Erde auf sie wartete. Seine Finger lösten sich immer mehr und mit heftigen Schlägen wurde sein Handgelenk verbogen.

"Lass los", sagte Alison sanft und bestimmt. Savage dachte erst, er hätte es sich nur eingebildet, aber dann wiederholte Alison es nochmal: "Lass los." Sie akzeptierte den Tod scheinbar besser als Savage, aber er dachte auch, dass sie als Roboter vermutlich einen anderen Bezug zum Leben hat. Der Verfall und das Feuer boten sich ein intensives Wettrennen in der Zerstörung des Maschinenraums. Mit dem Gedanken, wenigstens nicht zu verbrennen, öffnete Savage die Hand.

Savage war sich nicht sicher, aber er glaubte Alison lächeln zu sehen. Mit einem Blick zurück auf dieses absurde Gefährt - Alison hatte es einen Zeppelin genannt, die Hindenburg - fragte sich Savage mal wieder, ob er das alles nur träumte oder irrsinnig war. Aber mit seinem Gefühl für Alison nahm er den Irrsinn in Kauf.

Alison, die die Haltung von sich und Savage so korrigierte, dass sie auf die Erde regelrecht zustürzten, war überraschend beschäftigt. Sie lenkte den Fall und schaute sich immer wieder um. Erst als Alison die unteren Knöpfe ihres Hemdes mit der freien Hand öffnete, ahnte Savage was passieren würde. "Bist du dir sicher?" fragte er. Alison nickte genau einmal und drückte dann den Knopf an ihrer Energiequelle, der die Maschinerie aktivierte, die das Portal öffnen würde und die beiden am nächsten, zufälligen Punkt der Zeit auswerfen würde.

Kommentare

  1. Jetzt wissen wir endlich warum die Hindenburg ein so unrühmliches Schicksal fand. ^^

    Cool! Liest sich sehr flüssig und bildlich, auch wenn die Geschichte viel zu viele Fragen aufwirft. ^^ Aber Zeitreisen gehen immer!

    Können wir von den Beiden bald mehr lesen, oder bleibt das ein einmaliger Auftritt?

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    1. Danke. Freut mich sehr.

      Ist noch offen. Das ganze ist ein Text, der mit der Formel aus "Der singende Pinguin in der Mülltonne" entstanden ist. Ich möchte jetzt nichts versprechen, was ich nicht halten kann, würde aber auch lügen, wenn ich jetzt sagen würde, dass ich nicht über eine Fortsetzung nachdenke.

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