Bühnentagebuch: Speakers Corner

Wir leben im Kapitalismus.
Keine Panik, hier kommt jetzt keine ausufernde Systemkritik. Aber es ist so. Unsere Leben tragen Geld und Konsum als Bögen über unsere Zielen, die als Säulen darunter stehen. Bedingt dadurch, dass wir nunmal alles mit Geld messbar machen, hat Kultur auch ihren Preis und ihren Wert.
Und auch wenn wir den vielleicht nicht selbst zahlen müssen, an irgendeinem Ende kostet es immer Geld. Denn auch der Graffiti-Sprayer oder Urban-Gardener, die Kultur im öffentlichen Raum frei verfügbar machen, zahlen natürlich für ihr Material. So oder so: Kultur kostet Geld.

Trotzdem ist sie nicht einfach mit anderen Gütern gleich zu setzen, denn wer schon Birnen und Äpfel als schiefe Vergleichsebene sieht, will dann wohl kaum einen Eimer Fassadenfarbe mit einem Kinobesuch vergleichen, wenn auch beide preislich sehr dicht beisammen liegen. Wenn auch sie, wie andere Waren und Dienstleistungen, für unser Leben wichtig ist, steuert sie andere Bereiche an. Aber ich will hier gar nicht so lange und breit "Kultur" definieren, kommen wir zu Kapitalismus und Kultur zurück.

Nicht jede Form von Kultur ist durch sich selbst finanzierbar und doch stehen wir - Und auch der Staat - mit der Ansicht ein, dass sie zu fördern und zu unterstützen ist. Es muss sogar gefördert werden, denn die wenigsten kulturellen Institutionen können kostendeckend arbeiten. Leider bringt aber genau dieser Sachverhalt die Kreisverwaltungen, Städte und Länder in die Situation, manchmal Kultur und ihre Förderung an wirtschaftlichen Faktoren zu messen und Richtwerte wie Angebot und Nachfrage kritisch zu durchleuchten.

Stop. Gedankenstrich.
In Essen, ich berichtete vor längerem schon darüber, gibt es einen Speakers Corner. Einen Ort, der mit einer kleinen einfachen Bühne zu spontanen Vorträgen und Kundgebungen einladen soll, ganz wie beim berühmten Londoner Vorbild.
Der Speakers Corner ist dabei nicht großartig verwaltet. Es gibt keine zeitlichen Begrenzungen, keine inhaltlichen Einschränkungen, mensch muss sich nirgends anmelden, um lesen zu dürfen. Es wird nur ausdrücklich gewünscht, dass die Vorträge nicht kommerzieller Natur sind.
Der Speakers Corner in Essen ist dabei besondererweise zweierlei: Mängelexemplar und Luxusmodell. Durch die Lage unmittelbar neben dem Einkaufszentrum Limbeckerplatz, in tendenziell abgelegender Gasse, gelegentlich mit dem Geruch der Fettabscheider des Konsumtemples ausgestattet, liegt der Speakers Corner alles andere als perfekt.
Direkt am Unperfekthaus, welches gegenüber liegt, einem besonderen Haus, mit offenen Atelliers und anderen Kulturflächen mach er sich aber ganz gut. Das UPH betreut den Speakers Corner sogar auch ein wenig, was dann so aussieht, dass dort eine freistehende Box mit Mikrofon ausgeliehen werden kann. Da haben wir den Luxus.

Gefördert ist der Speakers Corner übrigens auch. Und das sogar von der EU, beauftragtes verwaltendes Organ ist aber natürlich die Stadt Essen. Zurück zum Kapitalismus.

Die Erfahrung und meine Sorge zeigen zu letzt immer, dass, wenn Kulturangebote, gerade wenn sie öffentlich finanziert sind, verschwinden, wenn sie nicht nachgefragt werden. Jetzt ist es nun mal so, dass wir als Konsumenten bei der Kultur also auch in der Pflicht stehen Dinge die wir unterstützenswert finden nicht nur zu hause aus dem bequemen Sessel unterstützen sollten - Es fragt zum Beispiel kein Mensch im Stadtrat nach der Anzahl der "Gefällt mir"s oder Fans in irgendwelchen Sozialen Netzwerken - Sondern auch mit unserer Anwesenheit.

Eine solche Kulturfläche, wenn auch nicht unbedingt akutgefährdet, ist der Speakers Corner in Essen. Und weil wir diesen als toll und sinnvoll erachten, sind wir mit unserem Magazin ein ganz kleines bißchen unter die Veranstalter gegangen.
Bereits zwei Mal, am Samstag dem 19.10.2013 zum dritten Mal, haben wir den sogenannten Speakers Corner Raid veranstaltet. Dabei versuchen wir Bühnenliteraten und andere Rampensäue zu motivieren, vor einem auch noch zu motivierenden Publikum ihre Talente zum Einsatz zu bringen.


Während wir auf Künstlerseiten beide Male gut aufgestellt waren, kommen jetzt keine Unmengen an Menschen, aber es kommen schon eine Hand voll Leute. Die Publikumsgröße ist aber auch eigentlich gar nicht so wichtig. Wichtiger ist uns, diesen Ort den Leuten ins Bewußtsein zu bringen. Und das klappt nur durch regelmäßige Präsenz.
Natürlich steht jetzt mit dem Winter nicht unbedingt perfektes Draußen-Wetter vor der Tür, aber wir werden sehen, dass wir tapfer weitermachen und sollte es nicht klappen, starten wir spätestens im Frühjahr wieder. Solltet ihr Lust haben mal vorbeizuschauen, könnt ihr in unserem Kalender immer den kommenden Termin finden.
Und denkt daran: Die Bühne ist offen! Wenn ihr mitlesen wollte, ist das überhaupt kein Problem. Einfach kurz Ansprechen und schon könnt ihr dabei sein.

Bisher hatten wir bei den Künstler sehr viele tolle Gäste, was auch dem NRW-Slam geschuldet war, der uns bei unserem zweiten Speakers Corner Raid ganz schönen Aufschwung gegeben hat. Dabei kam es sogar zu spontanen Team-, Beatbox- und auch Tanzeinlagen. Ich könnte euch hier jetzt mit reichlich Künstlernamen bewerfen, aber ich lasse lieber Bilder sprechen.






Alle Fotos: Tobi Hartmann

Kommentare

  1. Vergiss nicht, dass beim letzten Mal auch eine Künstlerin aus Vietnam mitgemacht hat, die nicht aufgrund des NRW-Slams da war ;-)

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    1. Das ist sehr wahr. Die war zufälligerweise vor Ort.

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  2. Ich muss unbedingt mal nach Essen kommen...

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    1. So Aktionen gibt es hoffentlich auch anderer Orts. Sonst müssen wir uns vielleicht auch einfallen lassen, wie wir unsere Aktivitäten in NRW noch besser auch außerhalb erlebbar machen.

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