Rezension: Gravity

Copyright: Warner Bros.
Als zu Beginn des neuen Alfonso Cuaron Films "Gravity" einer der Zuschauer es wagte, noch einmal in seine Popcorntüte zu greifen, rammte sein Sitznachbar ihm den Ellbogen in den Arm. Das darauffolgende "Uff" und die Stille danach sollten symptomatisch sein für die gesamte Spieldauer des Films: Bei Gravity handelt es sich um "atemloses" Kino, dass sich perfekt auf den Zuschauer überträgt.

Nach dem beschaulichen Einstieg - der als Kontrast zu dem, was darauf folgt, unbedingt notwendig ist - fühlte ich mich im Kino so, als wäre die Luft aus dem Saal herausgesogen worden, sodass wir alle die Luft anhalten mussten und nur kurze Phasen der Erleichterung und des Aufatmens hatten. Und ich weiß von meinen Freunden, die mich in diesen Film begleiteten, dass es ihnen ähnlich erging. Dies liegt daran, dass Gravity eine faszinierende, spannende und dennoch emotionale Achterbahnfahrt ist, deren Abschnitte, in denen es mal nicht abwärts geht und man als Zuschauer mitgerissen wird, sehr, seeehr kurz, dafür jedoch ebenso wuchtig sind, wie die Loopings und schnellen Kurven.


Der Film hat schlichtweg einen perfekten Rhythmus: Nach unzähligen Konflikten und Höhepunkten, treffen die ruhigen Szenen den Zuschauer mit voller Härte, weil man spätestens mit dem Beginn der Aneinanderreihung von Desastern mit der Protagonistin, brillant verkörpert durch Sandra Bullock, mitfiebert. Das Leid, die Einsamkeit, die Verzweiflung, aber auch Mut und Hoffnung - all diese Emotionen zeichnen sich innerhalb von wenigen Sekunden im Gesicht Bullocks ab, und wir empfinden jede einzelne Nuance mit.

Diktiert wird der emotionale Rhythmus durch die Art und Weise, wie Bullock atmet. Man merkt schon: Sauerstoff und Atmung spielen in diesem luftleeren Raum dauerhaft eine Rolle. Beim Zuschauer führt dies dazu, dass der dauerhaft erhöhte Puls zu kaum einer Gelegenheit wirklich absinkt, weil man sich ständig bedroht fühlt - und das nicht durch irgendwelche Trümmerteile, Feuer, nicht vorhandenen Antrieb oder ähnliches, sondern allein schon durch die Gefahr des Weltalls an sich, die uns gleich zu Beginn beeindruckend demonstriert wird.

Verstärkt wird dies durch die visuelle Brillanz des Films, bei dem ich sogar das erste Mal froh war, dass er den 3D-Effekt verwendet. Die Bilder sind ohne Frage auch in ihrer "flachen" Form berauschend, jedoch verstärkt der 3D-Effekt hier das Gefühl der Weite und somit der Einsamkeit immens. Es erscheint da fast paradox, dass man vordergründig schweißgebadet im Kinosessel sitzt, um die Protagonistin bangt und dennoch nicht umhin kann, die Schönheit unseres Planeten zu bewundern, wenn in der Ferne plötzlich die Polarlichter erscheinen.

Die Bildsprache vermittelt neben dem Gefühl der Einsamkeit dabei unterschwellig sogar philosophische und religiöse Themen, beispielsweise der Wiedergeburt, angedeutet in einer wunderbaren Sequenz, in der Bullock nach und nach in eine Fötusstellung "schwebt". Der Film vermeidet es dabei gekonnt, den Zuschauer mit dem bekannten Zaunpfahl zu erschlagen oder diese Themen zu sehr ins Zentrum der Reise zu rücken.

Hinzu kommt die wahrhaft meisterliche Sound- und Musikebene. Der Wechsel der Sprachrichtung trägt sehr zum Erlebnis bei, vor allem in Kombination mit der Sprachqualität, die an die jeweilige Situation angepasst wird, zum Beispiel dann, wenn man Funksprüche hört, die Protagonistin innerhalb ihres Helms spricht oder sie sich in einer Raumkapsel befindet.

Copyright: Warner Bros.

Zudem ist es eine clevere Idee innerhalb der Kameraarbeit, den Zuschauer zwischendurch nicht nur ganz nah an die Protagonistin heranzubringen, sondern zugleich des Öfteren ihren Blickwinkel einzunehmen. Anstatt dies als störendes Stilelement wahrzunehmen, verstärkt dieser Kniff die Identifikation zwischen Figur und Zuschauer erheblich. So nah werden wir "Normalsterblichen" dem Gefühl, im Weltall zu sein, so schnell wohl nicht mehr kommen.

Neben all den Katastrophen ist es jedoch auch die fabelhafte Anfangssequenz des Films, die die Spannung überhaupt erst möglich macht. In unglaublichen 13 Minuten OHNE einen einzigen Schnitt, sehen wir den Astronauten bei ihrer Arbeit zu, wähnen uns in Sicherheit, glauben, dass dieser Job so schwer nicht sein kann und wissen am Ende, wenn wir schwer atmend und nach Luft ringend, die Hände fassungslos vor das Gesicht haltend und uns langsam wieder daran erinnernd, dass wir doch nur in einem Kino sitzen, dass dieser Job beim kleinsten Fehler, der kleinsten Unplanmäßigkeit nicht nur fast unweigerlich in den Tod führt, sondern trotz Kollegen einer der beängstigenden und einsamsten ist, den ein Mensch nur ausführen kann.

Gravity schafft es, dass wir uns daran erinnern, wie klein wir sein können, dass Demut eine wichtige Tugend ist und wir zugleich sehr dankbar für jeden Atemzug sein sollten, den wir tätigen dürfen - und das wir während des Films Luft holen können, wann wir möchten - auch wenn ich garantiere, dass man diese sonst so automatische Tätigkeit während der 90 Minuten Lauflänge von Gravity zuweilen vergessen wird.

Kommentare

  1. Ich bin eigentlich kein Freund von solchen Filmen, aber das klingt echt überzeugend

    AntwortenLöschen
  2. Bei der ganzen Begeisterung muss ich den Film im Kino sehen. Die kommt für mich etwas unerwartet, nach den ersten Trailern waren alle sehr skeptisch...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Die Trailer haben mich zwar neugierig gemacht, allerdings auch keineswegs überzeugt. Vielleicht war ich deshalb aber umso beeindruckter, als ich im Kino war. Meine Freunde und ich wurden total mitgerissen - mich würde interessieren, ob das auch bei anderen funktioniert (hat).

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.

Vielleicht auch spannend: