Alle Wölfe heulen
Im Anbruch der Nacht liegt die Gefahr. So sagen es unsere Instinkte, die Dunkelheit, sie ist nicht unser Vertrauter, sondern ein hinterlistiger Genosse. Wer in ihr zur Jagd geht, ist meist ein gemeiner Dieb, nichts besseres als ein schmutziger Halunke. Verrat und Hinterhalt lauern in der Nacht und so verkriechen wir uns in unseren Höhlen, rotten uns zusammen, mit denen, denen wir vertrauen können.
Warm und wohlig legen wir uns zusammen,
schließen die Nacht aus unserem Quartier aus. Wir nennen Intimität,
was vertraute Sicherheit ist, was sicheres Vertrauen ist und
verlassen uns auf unsere Vorkehrungen, die unsere Neider aus der
Behausung halten sollen. Und sollte es doch versagen, steht uns ein
schützendes Muttertier vorn an, zwischen dem was uns schweißgebadet
aus den Träumen jagt und unserer eigenen dünnen Haut.
Im Untergang des Lichtballs, der uns
so viel Einsicht schenkt, die uns des nachts fehlt, rufen wir
verzweifelt an, wen wir lieben und schützen wollen und mit jedem Zurückheulen warnen wir auch die, die uns schaden wollen, sich bloß
zu hüten. Wir sind nicht alleine, wir sind viele und laut sind wir
auch. Meiden kannst du uns, entkommen auch, wir werden dich nicht
jagen, wenn du uns nur nicht besuchst. Aus der Angst geboren legen
wir jeden Atemzug in unsere Rufe und mischen unsere Macht und Sorge
in einen schauderhaften Gesang, der als Geheul in die Dunkelheit
führt.
Über die Schulter blickend, schleicht ein Wolf alleine durch die Stadt. Die Lichter täuschen Tag vor, wo Nacht herrscht. So vermengt wie die Schattenwürfe und Lichtscheine, sind auch die Unsicherheiten und Gefahren der Nacht.
Da ist niemand hinter mir, da bin ich mir sicher, aber irgendwie guckt mensch sich dann doch um. Ich fühle mich sicher, aber mir wurde mein Leben lang eingebläut, dass die Stadt gefährlich ist, dass die Nacht gefährlich ist und so muss beides zusammen fast schon tödlich sein. Aber passiert ist mir noch nie etwas. Eigentlich ist es auch zu laut, zu hell, selbst in tiefster Nacht sind auf den Hauptstraßen noch Menschengruppen. Wenn es hier jemanden Seltsamen gibt, dann bin das wohl ich.
Laufe alleine ohne erkennbares Ziel durch die finsteren Gassen, manchmal hinter anderen her. Ich schaue sie nicht an, höre sie nicht. Sie interessieren mich nicht. Ihre Ausflüge im gemeinsamen Rudel, ihr Lachen, ihr Rufen, erkenne ich, beneide ich, aber ziehe weiter. Mich schauen sie zwar an, aber nicht mit Beachtung. Es ist das Abwägen der Situation, die Hut vor einem Feind. Einer der alleine läuft, der führt etwas im Schilde.
Ich laufe schneller und lächele, erinnere mich mancher Nächte, die ich in den Tanztempeln an der Garderobe abgegeben und nie abgeholt habe. Und jetzt, wo ich selber keine mehr von diesen Nächten habe, vermisse ich sie.
Da verabschiedet mensch sich, wo wir damals noch ein Bier trinken gegangen sind, wo wir damals noch um die Häuser gezogen sind, wo wir damals noch einen drauf gemacht haben und keiner von uns wusste wozu. Keiner von uns wusste warum. Wir waren feiern, ohne Grund, hatten gute oder schlechte Laune, beides wurde mit Ausgehen behandelt, aber eine Diagnose hatten wir nie, nur die Symptome. Aber wir waren zusammen und irgendwie war das was wert.
Ich bin alleine. Zuhause schläft jemand und wartet nicht auf mich, die anderen, gerade noch gesehen, fahren alle heim. Morgen geht es ja so früh raus oder gestern war auch schon so lang. Wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten und ja und ach und überhaupt. Ich, bin alleine. Könnte noch ewig durch die Nacht gehen, die kalt an mir herunter rieselt. Der Gefahr wegen, der Ruhe wegen, der Menschen wegen, der Erinnerungen wegen, der Ruhe wegen.
Ich lächele immer noch, weil es leichter ist. Weil es leichter ist, als jetzt noch alleine in die Disko zu gehen. Leichter, als sich bei Fremden an den Tresen zu setzen. Leichter, als Unvernunft und Grundlosigkeit. Kein Überleben und keine Sicherheit hingen davon ab, wir waren Welpen in einer Welt für Welpen, als die Regeln noch zum Austesten da waren. Wir dachten sie würden von anderen gemacht, aber wir haben sie uns so gedreht wie wir es wollten. Und jetzt, wo wir denken, wir würden sie machen, sind sie ao auferlegt durch Sorgen und Ängste, wie nie zuvor. Weil wir keine Welpen mehr sind. Wir sind Teil eines funktionierenden Rudels, in Grenzen, die uns Sicherheit geben, wenn sie uns fehlt.
Ich bin alleine. Sehne mich nach meinem Zuhause. Meine Schritte werden wieder schneller. Die Nacht ist plötzlich dunkel, die Stadt plötzlich gefährlich und ich muss dringend heim. Um mich herum regnet es immer noch kalt, ich höre die anderen Reden und Lachen, aber mir läuft es nur salzig die Augen herab. Ich bin nicht mal wirklich alleine, ich fühle mich nur so, weil ich nicht immer Beachtung bekomme, weil ich nicht mehr die Liebe bekomme, die ich bekam, als ich schutzlos, klein und schwach war. Ich fühle mich alleine, weil ich meine eigenen Zähne fletschen muss. Ich fühle mich alleine, weil ich so weit von zuhause bin.
Alle Wölfe heulen, aber einsame Wölfe
weinen.
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