Wer ist Erik Benissen?
Autor: Jay
Verfasst: 04.01.2010
Verfasst: 04.01.2010
Wer ist Erik Benissen?
Verknotet und verknüpft stehen wir an diesem Marktplatz. Wir tragen Masken und Helme und Schilde und trotzdem sind wir irgendwie nicht zum Schützen hier. Wir verfolgen „aggressives und auffälliges“ Verhalten. Wir sind hier auf einer Demonstration, wie sollte diese denn nicht auffällig sein?
Hier stehen Bürger für ihre Rechte ein und versuchen sich zu wehren. Ich war mir da nie ganz sicher, aber irgendwie ist das doch auch Demokratie. Wenn die lieben gewählten Vertreter gerade mal nicht tun was man will, dann musste man sie doch irgendwie daran erinnern, wofür man sie gewählt hatte. Seien wir mal ehrlich, egal wie sehr diese Menschen aus der „Mitte des Volkes“ kamen, auf ihrem Weg nach „oben“ in die Regierung vergessen sie immer ganz schnell ihre Wurzeln.
„Benissen! Kommen sie mal her. Sie müssen gerade mal die Videokamera übernehmen.“ Wir filmen die Demonstranten, damit falls es zu einer Gerichtsverhandlung kommt ausreichend Beweise zur Verfügung stehen. Bei dem Gedanken war mir ganz komisch. Wieso war man auf einer Demonstration denn schon verurteilt oder wenigstens verdächtig, wenn auch noch gar nichts passiert war? Warum konnten wir denn nicht mehr vertrauen oder begleitend wirken? In den Kapuzen und hinter den Schals befanden sich doch auch nur Menschen.
„Benissen! Komm mal her.“ Ein Kollege aus meiner Einheit rief mich. „Mach die Kamera aus oder lass sie fallen wenn es scheppert. So einen Film können wir gar nicht gebrauchen.“ – „Aber ich...“ – „Nichts da, aber. Wenn du mal irgendwann dazu gehören willst, dann musst uns auch mal Gefallen tun.“ In meiner aktuellen Einheit war ich seit meiner Versetzung Spielball der anderen. Die Vorgesetzen machten mich fertig, da hier ein rauer Ton herrschte und die Kollegen machten mich fertig, da ich so oft zögerte. Wenn sie vor Demos „Jagdlisten“ ausgaben, dann sperrte ich mich nur. Einmal habe ich eine Beschwerde darüber geschrieben, aber meine Vorgesetzten haben das einfach übergangen. „Die Hundertschaft ist dafür da, die durchgedrehten Jugendlichen zurück auf den Boden zu holen.“, hatte man mir gesagt. Irgendwie hatte ich Polizeiarbeit anders in Erinnerung.
Wenn die Demonstranten so wellenartig auf uns zu rennen, da schlägt das Adrenalin auf. Ich werde nervös und empfänglich für Aggression. Auf einmal erwische ich mich dabei, wie ich Demonstranten anbrülle: „BERUHIGEN SIE SICH!“ Ich erwische mich dabei, wie meine Augen nach Waffen in den Händen suchen; dass ich schon lange eine in der Hand halte und Teil einer ganzen Kompanie bin, habe ich bis dahin schon lange vergessen.
Die vielen Stimmen, das Gebrülle und die brodelnden Parolen liegen wie ein Fels auf meinen Schultern, denn ich mit jeder Demo aufs Neue den Hügel hinauf schleppen muss. Und da es keinen Fortschritt für mich gibt, gibt es in mir auch nur Unzufriedenheit. Die Wut findet immer mehr Nährboden.
Irgendwie ist das verwirrend. Als Teil der Exekutive steht man im Dienste des Volkes, trotzdem sind es Stadtsenatoren oder Richter, die über den Einsatz der Hundertschaft entscheiden. Die geben dann „die Sicherheit“ als Grund an und ordnen die über der Meinungsfreiheit der Menschen ein.
Und ich muss immer genau hier im Schulterschluss mit den anderen stehen, auch wenn ich genau der selben Meinung bin wie die Demonstranten. Ich wollte doch immer mein Mitmenschen schützen; wollte ich das jetzt tun, müsste ich manche von meinen Kollegen mit Kabelbinder an den Armen auf den Boden drücken. Die bringen ihre Wut und Unzufriedenheit von Zuhause mit und lassen sie an unschuldigen Mitbürgern aus. Die füllen Quarzsand in ihre Handschuhe und schlagen damit Leute zu Boden. Ob das wohl so im Sinne des Volkes sein kann?
„BENISSEN!“ Die Stimmung lädt sich auf, die zweite Partei ist angekommen. Jetzt stehe ich hier und muss im Dienste des Volkes Menschen schützen, die mit ihren Ansichten sogar gegen die Demokratische Verfassung stehen, wie wir sie haben. In mir klebt ein ekliger Klumpen, der mich spüren lässt, dass ich auf dieser Demo im falschen Block stehe. Ich sollte bei den Vermummten Vorverurteilten stehen. Wie war ich nur hier hineingeraten?
Es kracht und zischt. Plötzlich ist die Luft tränengasgeschwängert. Wir tragen Masken, die Demonstranten sind schutzlos. Schlagstöcke rasseln und drangvoll stürzt unser Bollwerk sich auf die Demo. Was der Auslöser war habe ich gar nicht gemerkt. Plötzlich wird da auf jemanden eingeknüppelt und Polizisten brüllen wie wütende Stiere. Die Ansteckung und der Ekel sind genau gleich groß.
„BENISSEN!“ Ich war nicht immer bei der Hundertschaft. Ich war mal Polizist in Regensburg, aber nach einem Vorfall mit einem Musikstudenten wurden wir alle strafversetzt. Tennessee Eisenberg war sein Name. Das ist der Name den ich jeden Morgen schreie, wenn ich wach werde. Mit einem Messer hatte er seinen Mitbewohner angegriffen, dieser konnte sich aber unverletzt aus der Wohnung retten. Als wir am Einsatzort ankamen, da zeigten Pfefferspray und Schlagstöcke keinen „Erfolg“.
Ich finde, wir haben es nicht mal richtig versucht. Der Junge hatte doch Angst. Gerade wollte er sich noch umbringen, auf einmal stehen da Acht bewaffnete Männer die ihn anschreien. Ich hätte Angst gehabt. Ich hatte Angst, denn jeder von uns hatte schon seine Waffe gezogen. Immer wieder denke ich „Ach hätte ich doch.“, aber manches kann man nicht zurück drehen. 12 Kugeln konnte er nicht überleben, schon gar nicht in den Rücken.
Nach dem Einsatz stehe ich unter der Dusche. Das rauschende Wasser erinnert an die rauschenden Demonstranten. Ich werde hier nicht wirklich sauber, nur der Schweißgeruch geht weg. Das wollte ich doch alles nie als ich Polizist geworden bin. Mobbing durch Kollegen, Wut von Demonstranten, der schlechte Ruf in den Medien, der äußerst schlechte Schlaf. Davon erzählt dir niemand bei der Ausbildung zum Polizisten. Das sagt dir niemand, wenn du Kind bist und davon träumst Menschen zu helfen. Dir wird gesagt, dass du immer mit einem Bein im Gefängnis und dem anderen im Grab stehst, aber du vergisst ganz schnell, dass egal wo du hin kommst, du der Bewaffnete bist. Du bist der Mächtige. Ich werde hier nicht wirklich sauber, denn das Blut bleibt kleben.
„TENNESSEE!“ und es wird an keinem Morgen besser.
Anmerkungen:
Dieser Text ist von meinem "Poetry Slam"-Workshop auf der Winterschule und einigen anderen kleineren Ereignissen inspiriert. Die Texte aus dem Workshop von den Jugendlichen, die zu dem Thema "Schützen wir die Polizei", geschrieben wurden, werde ich hier in diesem Monat auch noch vorstellen, denn ich bin sehr stolz auf die Ergebnisse. Alles weitere könnte ich in einem "Weg zum Text" erzählen, falls gewünscht.
Ich wünsche mir WzT
AntwortenLöschenMir gefällt der Text auch. Es ist immer gut sich mit dem Menschen auf der anderen Seite zu beschäftigen.
AntwortenLöschenJedoch hilft es dem Polizisten auch nicht Vorurteile zwischen Demonstranten und Polizisten abzumildern, indem man auf Vorurteile von Menschen gegenüber Politikern und Richtern hinweist.
Dem Text würde es helfen Absätze einzubauen und vielleicht Blocksatz zu verwenden. Es fehlt hier und da ein Buchstabe an einem Artikel.
An den Hass:
AntwortenLöschenIch habe Korrekturen durchgeführt, auch inhaltliche, vielleicht hat die Stelle mit den Richtern für dich jetzt einen anderen Klang.
Danke für die Hinweise.
An anonym:
Ich werde mal schauen, wie sich das zeitlich einrichten lässt.
Achso jetzt ist's wirklich klarer, so ist's leider wirklich oder kommt's einem vor. "Schützt die Fachos vor den möglichen Attacken von Anti-Faschos, indem ihr mehr Polizisten als Demonstranten vor Ort habt".
AntwortenLöschenIn solchen Fällen wären ich ja eher für eine Art Straßen-Darwinismus. Wenn die ihren "Nazi-Helden" gedenken wollen, dann auch so öffentlich, dass die ihre Quittung auch kassieren dürfen. Aber wenn ich weiter schreibe steht vielleicht doch bald bei mir das BKA :-P
Die Texte aus deinem Workshop waren wirklich gut, und die meisten auch richtig toll vorgelesen. Ich freu mich schon drauf, die anderen auch alle nochmal lesen zu können.
AntwortenLöschenDas ist richtig Klasse!
AntwortenLöschenIch kenne ja einen von der Truppe persönlich und was der mir teilweise erzählt kommt deinem Text schon sehr nahe.