Durst nach halb Vier
"Die ganze Welt da draußen ist eine Wüste, mein Sohn." Ich war zwar in keinsterweise mit dem Mann verwandt, aber nicht in einem Zustand das zu diskutieren. "Wir sagen immer, es wäre kalt geworden, aber in Wirklichkeit ist es immer wärmer geworden. Wäre es kalt geworden, dann wäre ja alles gefroren und für die Ewigkeit, aber so ist es nicht." Mir persönlich war es arschkalt, aber, wie bereits gesagt, nicht der Zustand in dem ich diskutieren sollte, also nickte ich nur bedeutungsstark. "Alles verdorrt da draußen. Alles was uns wichtig war und ist, das zerfällt bis nur noch der Sand bleibt. Sand und die unerträgliche Hitze. Unsere Gesellschaft hat sich aufgeheizt, mein Freund, nicht um sonst sprechen wir von sozialen Brennpunkten. Und wir spüren zwar, wie das Klima immer unangenehmer wird, sehen wie die Dünen auf uns zu rollen, wissen aber nicht was wir tun können." Eine nervöse Welle wandert durch die Finger meines Gesprächs-, ach was mache ich mir vor, Monologpartners. "Und jetzt stehst du also da in der Wüste und hast nur eine Frage:"
"Wie lange brauchen wir eigentlich noch?", dachte ich, aber:
"Wie komme ich an Wasser?"
Nun, mit einem nicht zu verachtenden Nachdurst ausgerüstet, wäre so ein Glas Wasser bestimmt nicht das Dümmste gewesen, aber vermutlich war jeder Bestellversuch zum Scheitern verurteilt. Was wirklich nicht an der Servicesituation in diesem letzten Nachtbus lag, sondern halt nur daran, dass es ein Nachtbus war. Zum anderen war Sprechen aber auch eine echt komplizierte Sache. Da muss einiges an Ordnung gehalten werden, sonst kommen alle Buchstaben eines Satzes gleichzeitig raus und ruckzuck gilt man als betrunken, nur weil man lallt.
"Du kannst natürlich auf Regen warten, aber das wäre zu naiv. Wer weiß schon, wann es in der Wüste mal Regen geben wird? Es ist zu willkürlich, du kannst es nicht berechnen. Aber es ist eine Wüste, wo sollte es schon Wasser geben? Hm? Weiß du es?"
Ich zählte mein Geld durch. Das ist eine liebgewordene Angewohnheit, die mich an so einigen dieser Abende gerettet hat. So rein moralisch. Zum einen weiß man, dass man noch lebt, zum anderen übt man sich in Kopfrechnen, was man ja viel zu selten macht.
"Ich sage es dir, Sportsfreund: In einem Kaktus ist Wasser. Du musst nur einen Kaktus finden. Und das sollte in der Wüste doch einfach sein, oder? Also machst du dich auf den Weg und siehe da, bald erkennst du am Horizont einen grünen Ort. Irgendetwas lebendiges und du steuerst wie fremdgelenkt darauf zu."
Durch die Scheibe deutete der Fahrer irgendwo in die dunkle Straßenlandschaft der Großstadt und ich tat mich schwer etwas lebendiges zu erkennen.
"Vor Ort merkst du aber bald, dass man dir hier nicht einen reichen Tisch gedeckt hat, sondern eine Falle gestellt: In der trostlosen Wüste, also der Gesellschaft, hat man dir möglichst viel Leben vorgetäuscht, aber je näher du es betrachtest, desto deutlicher offenbart es sich als Lüge, als Fatamorgana, nur damit die Geier dich zerhacken können.
Der Kaktus aber, der ist ehrlich zu dir. Der belügt dich nicht. Ganz im Gegenteil. Du siehst ihn und weißt genau: Wenn ich Wasser vom Kaktus haben will, muss ich bereit sein mich zu verletzen. Ich muss nur etwas Schmerz in Kauf nehmen, werde dafür aber überleben. Jetzt überleg dir mal, es gibt aber dann Leute, die nicht mal diesen, im Verhältnis gesehen, kleinen Schmerz auf sich nehmen würden, um zu überleben. Stolz? Arroganz? Selbstverliebtheit? Das kann ich nicht beantworten."
"Angst vor dem Verlust.", denke ich. Bevor ich in den Kaktus greife und feststelle, dass auch er nur eine Sinnestäuschung ist, lass ich ihn wie er ist. Lieber erstmal auf Regen warten.
"Die anderen, die bohren ein Loch in den Kaktus, aber setzen so weit unten an, dass sie dann überleben, aber der Kaktus stirbt. Sie sind gierig, eigensinnig, nehmen mehr als sie brauchen können. Wenn der Kaktus dann gestorben ist, dann stehen sie wieder am Anfang und wiederholen das Ganze, bis sie selbst in der Wüste vergehen."
Langsam kam in mir etwas hoch. Erfreulicherweise war es ein Körpergefühl, so dass ich ahnte, dass ich mich bald wieder selbstständig bewegen könnte. Die Spur des Bus schien auch immer ruhiger zu werden, wenn auch aussen weder Haus, noch Baum, noch Auto zu sehen war: Wir fuhren schon seit Ewigkeiten im trüben Nichts um her. Da man den Busfahrer während der Fahrt nicht ansprechen soll, schwieg ich also weiter.
Der Busfahrer selbst bremste aber sein Gefährt und sprach direkt zu mir: "Schumacher Winkel 14, Endhaltestelle." Ich stand auf, erfreute mich unerwarteter Nüchternheit und legte dem Busfahrer die Zwei Euro "Siebenundfuffzig" hin, die ich für diese Taxifahrt hätte erübrigen können. Das war gleichzeitig auch alles.
Als ich dann vor dem Bus stand, die Türen noch offen, da musterte mich der Busfahrer intensiv. "Mein Sohn, hast du mich verstanden?"
Ich zog meine Jacke zu, denn trotz aller Wüstenmetaphern war es arschkalt. "Klar. Die Kakten sind unsere Mitmenschen, die uns beim Überleben helfen, wenn wir vernünftig und nicht zu gierig mit ihnen umgehen. Wenn wir uns bemühen oder Glück haben, finden wir welche, die uns retten, bevor die Gesellschaft uns verbrennt."
Der Busfahrer nickte mit einem gewissen Stolz, aber ich brauchte seinen Stolz nicht. Seine Erläuterungen waren ja eindeutig und ich war ja nicht blöd, sondern einfach nur strunzbetrunken.
"Wie lange brauchen wir eigentlich noch?", dachte ich, aber:
"Wie komme ich an Wasser?"
Nun, mit einem nicht zu verachtenden Nachdurst ausgerüstet, wäre so ein Glas Wasser bestimmt nicht das Dümmste gewesen, aber vermutlich war jeder Bestellversuch zum Scheitern verurteilt. Was wirklich nicht an der Servicesituation in diesem letzten Nachtbus lag, sondern halt nur daran, dass es ein Nachtbus war. Zum anderen war Sprechen aber auch eine echt komplizierte Sache. Da muss einiges an Ordnung gehalten werden, sonst kommen alle Buchstaben eines Satzes gleichzeitig raus und ruckzuck gilt man als betrunken, nur weil man lallt.
"Du kannst natürlich auf Regen warten, aber das wäre zu naiv. Wer weiß schon, wann es in der Wüste mal Regen geben wird? Es ist zu willkürlich, du kannst es nicht berechnen. Aber es ist eine Wüste, wo sollte es schon Wasser geben? Hm? Weiß du es?"
Ich zählte mein Geld durch. Das ist eine liebgewordene Angewohnheit, die mich an so einigen dieser Abende gerettet hat. So rein moralisch. Zum einen weiß man, dass man noch lebt, zum anderen übt man sich in Kopfrechnen, was man ja viel zu selten macht.
"Ich sage es dir, Sportsfreund: In einem Kaktus ist Wasser. Du musst nur einen Kaktus finden. Und das sollte in der Wüste doch einfach sein, oder? Also machst du dich auf den Weg und siehe da, bald erkennst du am Horizont einen grünen Ort. Irgendetwas lebendiges und du steuerst wie fremdgelenkt darauf zu."
Durch die Scheibe deutete der Fahrer irgendwo in die dunkle Straßenlandschaft der Großstadt und ich tat mich schwer etwas lebendiges zu erkennen.
"Vor Ort merkst du aber bald, dass man dir hier nicht einen reichen Tisch gedeckt hat, sondern eine Falle gestellt: In der trostlosen Wüste, also der Gesellschaft, hat man dir möglichst viel Leben vorgetäuscht, aber je näher du es betrachtest, desto deutlicher offenbart es sich als Lüge, als Fatamorgana, nur damit die Geier dich zerhacken können.
Der Kaktus aber, der ist ehrlich zu dir. Der belügt dich nicht. Ganz im Gegenteil. Du siehst ihn und weißt genau: Wenn ich Wasser vom Kaktus haben will, muss ich bereit sein mich zu verletzen. Ich muss nur etwas Schmerz in Kauf nehmen, werde dafür aber überleben. Jetzt überleg dir mal, es gibt aber dann Leute, die nicht mal diesen, im Verhältnis gesehen, kleinen Schmerz auf sich nehmen würden, um zu überleben. Stolz? Arroganz? Selbstverliebtheit? Das kann ich nicht beantworten."
"Angst vor dem Verlust.", denke ich. Bevor ich in den Kaktus greife und feststelle, dass auch er nur eine Sinnestäuschung ist, lass ich ihn wie er ist. Lieber erstmal auf Regen warten.
"Die anderen, die bohren ein Loch in den Kaktus, aber setzen so weit unten an, dass sie dann überleben, aber der Kaktus stirbt. Sie sind gierig, eigensinnig, nehmen mehr als sie brauchen können. Wenn der Kaktus dann gestorben ist, dann stehen sie wieder am Anfang und wiederholen das Ganze, bis sie selbst in der Wüste vergehen."
Langsam kam in mir etwas hoch. Erfreulicherweise war es ein Körpergefühl, so dass ich ahnte, dass ich mich bald wieder selbstständig bewegen könnte. Die Spur des Bus schien auch immer ruhiger zu werden, wenn auch aussen weder Haus, noch Baum, noch Auto zu sehen war: Wir fuhren schon seit Ewigkeiten im trüben Nichts um her. Da man den Busfahrer während der Fahrt nicht ansprechen soll, schwieg ich also weiter.
Der Busfahrer selbst bremste aber sein Gefährt und sprach direkt zu mir: "Schumacher Winkel 14, Endhaltestelle." Ich stand auf, erfreute mich unerwarteter Nüchternheit und legte dem Busfahrer die Zwei Euro "Siebenundfuffzig" hin, die ich für diese Taxifahrt hätte erübrigen können. Das war gleichzeitig auch alles.
Als ich dann vor dem Bus stand, die Türen noch offen, da musterte mich der Busfahrer intensiv. "Mein Sohn, hast du mich verstanden?"
Ich zog meine Jacke zu, denn trotz aller Wüstenmetaphern war es arschkalt. "Klar. Die Kakten sind unsere Mitmenschen, die uns beim Überleben helfen, wenn wir vernünftig und nicht zu gierig mit ihnen umgehen. Wenn wir uns bemühen oder Glück haben, finden wir welche, die uns retten, bevor die Gesellschaft uns verbrennt."
Der Busfahrer nickte mit einem gewissen Stolz, aber ich brauchte seinen Stolz nicht. Seine Erläuterungen waren ja eindeutig und ich war ja nicht blöd, sondern einfach nur strunzbetrunken.
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