Ideendämmerung: Flucht nach Vorne

Autor: Jay
Verfasst: August 2009


"Das Uhrwerk, ich kann nicht anders."


"Sir, wir haben einen Notruf reinbekommen."
"Du sollst nicht "Sir" zu mir sagen."
"Das Uhrwerk, ich kann nicht anders."
"Entschuldige, ich vergesse es immer wieder. Was ist das für ein Notruf?"
"Aus Absurdistan. Ignis hat ihn ausgelöst."
Mit tickendem Herzen stand der junge freundliche Gehilfe in einem Raum, komplett aus den verschiedensten Metallen geschlagen. Ein kalter Raum, mit so vielen blinkenden Lichtern und flimmernden Monitoren. Alles arbeitete präzise und zuverlässig. Der Junge mochte diesen kühlen Raum.
Er stand einem jungen Mann zur Seite der zweifelnd auf die Monitore dieses modernen Ortes starrte und aus all den angesammelten Informationen versuchte ein Muster zu lesen. Bis vor kurzem war alles friedlich. Oder zumindest gab es keine außergewöhnlichen Vorfälle.
"Erklär mir bitte noch einmal was in Absurdistan geschehen ist."
"Natürlich, Sir."
Ein Seufzen.
"Vor", der Junge mit dem tickenden Herzen überlegte ganz kurz "genau 10080 Minuten, also ganz präzise einer Woche kam aus der Halle die Meldung über eine Grenzüberschreitung nach Absurdistan durch zwei nicht identifizierte Personen. Es gab keine besonderen Vorkommnisse. Mit Beginn des heutigen Tages eröffneten unbekannte Streitkräfte das Feuer auf die absurdische Hauptstadt, entsprechend Ignis Bericht. Vor genau 37 Minuten wurde noch eine Grenzüberschreitung einer Person nach Absurdistan gemeldet, allerdings abseits jeglicher Passstelle. Kurz darauf ist jegliche Direktverbindung nach Absurdistan abgebrochen. Wir haben keinen Kontakt mehr zu Ignis. Die Halle konnte nichtmal sagen, von wann genau sein Notruf war. Das ist bisher alles, Sir."
Seufzen.

"HALT DEN KOPF UNTEN!", schrie Ignis mich an. Wir robbten zwischen irgendwelchen Trümmern umher und versuchten in irgendeine Form von Sicherheit zu kommen. Ich merkte, wie Ignis sich immer panischer umsah und, wie andersfarbige Kontaktlinsen, sich Verzweiflung auf seine Augen legte. Als wir uns gerade hinter einer Art Deckung fanden und die Geschossdichte in der Luft etwas abnahm, da zog ich ihn zu Boden. "Ignis? Hast du überhaupt eine Ahnung wo wir hin flüchten? Und wovor?" Ignis atmete sehr tief durch und diesmal konnte man seine Verzweiflung sogar in der Luft vibrieren spüren. "Nein."
Während Ignis das Gefühl ausstrahlte keine Zukunft zu haben, störte mich ganz eindeutig die Abwesenheit einer Vergangenheit. Ich blickte in Richtung des LKW zurück. Er brannte da ganz friedlich im Kugelhagel. Von den absurdischen Soldaten die uns begleitet hatten war keine Spur mehr. Ich hoffte, dass sie sich irgendwo verschanzt hatten und im Gegensatz zu uns die Lage einschätzen konnten.
Ignis hatte sich etwas an mir abgestützt und dabei krallte sich seine Hand in meinen Kragen. Was auch immer er war, ob Soldat oder einfacher Flüchtling, er war nicht feige. Immer wieder schnellte sein Kopf über unsere Deckung, um mögliche Wege zu suchen. Irgendwie hatte er ein Gespür für die Feuerpausen unserer "Feinde" entworfen. Wenn es überhaupt unsere Feinde waren. So wie es hier aussah, hätten sich Freund und Feind niemals unterscheiden können.
Ignis konnte da etwas unterscheiden, scheinbar. "Sag mal, wie schnell kannst du rennen?" Meine Antwort bestand wieder aus einem Schulterzucken, aber diesmal versuchte ich es mit Nachdruck. Ging nicht, aber Ignis verstand das Problem. "Du hast keine Ahnung, hm?" Ich schüttelte den Kopf. Ignis seufzte. "Dann müssen wir es jetzt heraus finden. Da vorne steht nämlich ein Haus und sowie ich es sehe, stehen da Fahrzeuge vor. Nur haben wir wenig Deckung bis dahin."

"Sir, ich möchte sie nur ungern hetzen, aber glauben sie nicht, es wäre ein guter Zeitpunkt für eine Entscheidung?" Der junge Mann lachte etwas: "Du und deine Bindung zur Zeit. Ich weiß nie, ob ich es spannend oder gruselig finden soll." Der tickende Junge wusste auch nicht ob er es als Kompliment aufnehmen sollte oder nicht, also überging er es: "Sir, wir haben halt nicht ewig Zeit."
Eine Entscheidung sollte er treffen. Und er wusste nichtmal so recht was los war. "Sir, die Halle fragt, ob sie jemanden schicken soll?" - "Wessen Idee war das? Plaine, oder?" - "Soll ich durchstellen, Sir?" - "Ich bitte darum."

Wenn ich die Zeit gehabt hätte nach hinten zu schauen, dann hätte ich gemerkt, dass wir nicht einmal Fußabdrücke im Staub hinterlassen haben, so schnell sind wir gerannt. Ich bin Ignis Schuhen hinterhergerannt. Meinen Kopf soweit unten hätte ich nichtmal garantieren können, dass sein Rest noch da war. Plötzlich griff er nach hinten und riss mich am Ärmel runter. Keine Ahnung wie er das gemacht hat, aber wir sind genau in die Deckung des Gebäudes gerutscht.
"Kannst du mir erklären warum niemand hier drauf schießt und auch keiner von hier aus schießt?" flüsterte er rein rhetorisch in meine Richtung. Ich hatte überhaupt keine Ahnung. "Nein, ich bin neu in dieser Nachbarschaft.", scherzte ich. Fand Ignis nicht lustig, denn da war ein Hauch von Ohrfeige in seinem Blick zu mir.
Er schaute immer wieder um die Ecke. Noch zwei Ecken und wir waren am Fahrzeug. Ich hätte mir ganz gerne vor Aufregung in die Hose gemacht, aber irgendwie war ich selbst dafür zu aufgeregt. Die Schüsse und all das klangen hier viel leiser oder zumindest gedämpft. Als hätten wir Kopfhörer auf.
Ignis verbot mir spontan das Beobachten und zog mich wieder an meinem Hemdärmel hinter sich her. Die Luft schien rein zu sein, so fern man das in einem Kampfgebiet sagen konnte. Auf der Ecke zum Fahrzeug stockte Ignis dann aber und drückte mich an die Wand. Da waren Stimmen zu hören, in Fahrzeugnähe.
"Haben wir ihn erwischt?" - "Ich bin mir nicht sicher. Wir sollten zum LKW fahren und nachschauen. Dann können wir auch sicher gehen, dass niemand überlebt hat." Eine Frau und ein Mann. Nach kurzer Stille sagte er noch ganz kurz: "Ganz genau.", dann hörten wir auch schon irgendeinen Motor anspringen. Ignis sprang mit mir zur Seite und drückte mich zum Boden. Ich hatte bestimmt schon ein bis zwei Kilo absurdischen Staub gegessen, seitdem ich hier war.
"Ich hab ja schon viel gesehen...." Ignis hatte mich achtlos liegenlassen, nachdem die beiden Personen zu unserem alten LKW gestartet waren. Ich blieb erst etwas liegen, da Erschöpfung und Verwirrung ausgezeichnet zusammen arbeiteten. "Amnesiejunge, komm mal her."
Wenn ein Fahrzeug keine Reifen hat, die den Boden berühren, dann ist es aus meiner Sicht faktisch kein Fahrzeug. Da es nicht wirklich flog, wollte ich auch nicht von Flugzeug sprechen. Schwebzeug klang blöd, also einigte ich mich mit meinem Kopf auf das altmodische "Gefährt". Auch "fahren" drin, Mist.
"Was ist das für ein Gefährt, Ignis?" Er warf die Stirn in Falten und sah mich äußerst fragend an: "Ich bin Geograph und kein Ingenieur." Ich näherte mich und sah es mir nochmal ganz genau an. Eigentlich sah es aus wie ein Kleintransporter, nur halt ohne Räder und etwas kantiger, als ich es gewohnt war. Als ich es gewohnt war? Irgendwo in meinem Kopf waren also Erinnerungen, wenn auch nur äußerst vage.
"Hier steht was von Venedig drauf und Polizei.", bemerkte Ignis. Na, die mussten hier ja ganz falsch sein. Das ungewöhnliche Metall zog mich etwas in seinen Bann und so berührte ich es.
Erkenntnis ist eine seltsame Sache. Manchmal kommt sie schleichend und dann aufeinmal kommt sie aufeinmal. Ganz plötzlich. Auf den Kopf. Als würde man mit einer Keule voller Wissen niedergeschlagen.
Als ich wieder aufstand, sagte ich mit gleichgroßen Teilen Verwirrung und Freude: "Ignis, ich weiß ganz genau, wie man dieses Teil startet und fährt." Ignis lächelte, legte aber den Kopf zweifelnd schräg: "Vor Fünf Sekunden wusstest du nicht mal was das ist." Ich hatte auch immernoch keine Ahnung "was" das ist, aber ich könnte es bedienen. "Auf geht es!"

"Plaine, was gibt es?", sagte der junge Mann mürrisch in den Kommunikator.
"Tag, Ziegler. Wir hier in der Halle wundern uns nur, ob du nicht was unternehmen magst? Drei Grenzgänger in Absurdistan, überraschend Krieg, Ignis verschwunden und..."
"Ich kenne die Lage, danke.", Kapitän Jan Ziegler schüttelte den Kopf und fuhr mit der Hand durch sein Gesicht. "Wer ist außer dir noch da?"

Kommentare

  1. Yay, Ziegler!

    Das wird ja immer spannender. Schade, dass du mir schon einiges erzählt hast, sonst würde ich mir jetzt den Kopf über einige Dinge zerbrechen ^^

    Übrigens: "Irgendwo in meinem Kopf waren also Erinnerungen, wenn auch nur äußerst wage." Meinst du da nich vage?

    Ansonsten bin ich auf den nächsten Teil gespannt. Kommt der auch wieder so bald wie der zweite nach dem ersten kam? :)

    AntwortenLöschen
  2. Diesen und andere Fehler korrigiert, danke.

    Vielleicht. Mal sehen wie ich es schaffe.

    AntwortenLöschen
  3. BÄM!
    Damit habe ich nicht gerechnet, da ich dachte du verarbeitest nur Personen aus den Geschichten dieses Blogs.

    Ich bin gespannt auf die Fortsetzung.

    Der vorletzte Satz macht mich etwas stutzig. Kann man mit der Hand durch sein Gesicht fahren ... ? Ich weiß, ich weiß Absurdistan aber dennoch ... Lustige Vorstellung. xD
    Alternativer Vorschläge: "... über sein Gesicht", "...durch seine Haare" oder "... strich sich mit der Hand über die Stirn".

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.

Vielleicht auch spannend: