Wenige Minuten bis zur großen Freiheit

Langsam nimmt sie eine pulverartige Konsistenz an. Die Reste ziehen sich zwischen die Zähne und bilden einen milchigen Belag auf der Zunge. Jetzt würde es noch einen Moment dauern, bis die Wirkung endlich einsetzen würde. Nur noch wenige Minuten bis zur großen Freiheit.
Es ist vielleicht eine der schäbigsten Toiletten der Stadt in einer der brauchbarsten Bars der Stadt. Ich klimmpere eine wenig auf der Klaviatur des Spülkastens, lausche dem Erbrechen der verrosteten und verranzten Wasser- und Abwasserrohre. Von einem menschlichen Magen-Frühjahrsputz ist die Geräuschkulisse wirklich nicht zu unterscheiden und so wird jeder beim Verlassen der Toiletten auf Gesichtsfarbe und klebrige Flecken im Mund- und Kragenwinkel untersucht.
Der Begriff der "bewußtseinserweiternden" Drogen hat neben der Popkultur schon so einige mit falschen Vorstellungen gelockt. Es wird dann geglaubt, dass durch die falschen eingehenden Informationen ein Farbenfeuerwerk vor den eigenen Augen abbrennt, das nur noch durch die plötzliche freie Interpretation der Chronologie des eigenen Gedächtnisses überboten werden kann. Diese Vorstellung ist falsch.
Wenn ein Computer mit zu vielen falschen oder unbrauchbaren Informationen gefüttert wird, dann erfährt er nicht die abenteuerlichen endorphingeschwängerten Grenzen seines Bewußtseins, sondern stürzt ab. Natürlich präsentieren sich erst Fehlermeldung, dann einstürzende Bildschirmzeilen und dann ein eingefrorenes Bild in den fröhlichsten Farben, aber mit dem nächsten Hochfahren ist das meiste davon wieder vergessen und schnell das alte Bewußtsein wieder hergestellt. Diese Vorstellung ist richtig.
Du nimmst die Tablette, die Daten können nicht mehr verarbeitet werden, du stürzt ab, du fährst neu hoch. So unromantisch und effektiv ist das ganze. Ganz entgegen einer Erweiterung, begrenzen sich die Sinne endlich. Die Eindrücke werden kleiner, die Sinne stumpfer und einen Moment lang, wenn du glaubst, du könntest die Welt, so lange sie so klein ist begreifen, merkst du, wie sie sich gleich durch Null teilen wird und dann stürzt du ab. Wenn du dann wieder zu dir kommst, dann erinnerst du dich kaum an dein Erlebtest, aber wirst wissen, dass wenigstens ein Neustart möglich ist.
Hinter mir aus der Toilette herausspaziert kommen so ein paar Halbstarke, Marke Pseudo-Einsamer-Wolf, mit hochgeklapptem Kragen an ihren Collegejacken, und aufgeplustert und gepumpt - natürlich nur mit Luft in den Lungen - als würde es hier tatsächliche Colleges, Footballteams und als gäbe es irgendetwas zu beschützen. Als ich mich an den Tresen setze, als Einziger, bin ich mir bewußt, dass sie mir folgen. Das ist zum einen ein klares Zeichen, das die Tabletten mit der kleinen Ziege darauf noch keine Wirkung zeigen, zum anderen eines dafür, dass ich gleich ein unnötiges Gespräch führen werden mit einem genau so unnötigen Ausgang. Ich nutze einen kurzen Moment der Aufmerksamkeit des Kellners und greife mir etwas hinter der Theke.
Und tatsächlich, das Spiel ist ein Bekanntes, so sprechen mich die Jungs an, kreisen mich ein, als wären sie verdeckte Ermittler oder wenigstens in auch nur irgendeinerweise bemächtigt irgendetwas ohne Mutti zu tun. Sie fangen an irgendwas von Drogen zu erzählen und dass sie auch bezahlen würden, aber, so Gnade mir Gott, würde ich nicht mitmachen, würden sie sofort die Polizei rufen. Und ich, die große Freiheit schon fest im Blick, erzähle ihnen was von Fünfzig Euro pro Person, dafür der geile Designerscheiß aus Tschechien. Die Beiden beraten sich dann kurz und legen großkotzig und so auffällig wie möglich die Kohle auf den Tisch. Ich erzähle irgendwas von einer guten Tarnung, nehmen mir aus einem Schälchen zwei Stückchen Zucker, ziehe die zuvor geklaute Maggiflasche aus meine Mantel und frage die Jungs, wie tough sie denn wohl sind. Die Nicken nur, die Hosen schon scheinbar eingenässt und voller Vorfreude auf den farbenfrohen Trip, den sie nicht bekommen werden. Und auch nie bekommen würden, selbst wenn es echter Stoff wäre.
Die genauen Abläufe gehen mir irgendwie verloren, aber auf dem Weg zum Bahnhof wische ich mir mit einer Fünfzig Euro Note etwas von der Kotze weg, die an mir hochgespritzt ist. Die beiden Helden haben wegen meinem Gemisch direkt gebrochen, mir war es egal. Ich habe einen der beiden Fuffziger gegriffen, bin gegangen.
Endlich gehen mir nach und nach die Sinne verloren, langsam deutet sich der schwere Ausnahmefehler mit steigender Verstumpfung an. Wenige Minuten bis zur großen Freiheit.

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