Eingebildet: Zur See

"Hallo Vater.
Da hast du also am Ende recht behalten, du Arsch. Als wäre es dir in unseren Gesprächen jemals um etwas anderes gegangen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sauer ich auf dich bin. Machst so einen feigen Abgang, nur damit du deinen Willen kriegst. Aber das ist so typisch für dich. Du sturer blöder Bock.

Ich hatte ja wirklich nichts gegen die Kreuzfahrt. Seit Mutter gestorben war, hattest du verlernt dir zu gönnen. Was hattest du dir schon groß an Freude angetan? Gar nichts, du bist sogar wieder arbeiten gegangen, obwohl du nicht musstest. Geflucht hast du den ganzen Tag, über deine dummen, unfähigen Kollegen und auch wenn es so aussah, als würdest du dich da ganz schlimm auf der Arbeit quälen, warst du einfach nur froh nicht alleine zuhause in der Wohnung zu hängen.
Zieh doch bei uns ein, das haben wir dir immer wieder angeboten. Für mich wäre es großartig gewesen, du weißt, Vater, wir hatten immer ein gutes Verhältnis. Harter Streit war nur ein Indiz der Intensität unserer Liebe, denn wann immer es zwischen uns gekracht hat, haben wir uns um so heftiger versöhnt. Nur diesmal hast du feiger Hund die Versöhnung ausgespart.
Für meine Jungs wäre es auch der Hammer gewesen. Opa wohnt im selben Haus, das wäre das Größte für die Beiden. Du weißt schon, dass sie dich als den größten Superhelden aller Zeiten ansehen? Naja, dass du nicht unbesiegbar bist, wissen sie auch, aber du bist der Stärkste und Klügste für sie, das reicht denen ja schon.

Trotzdem warst du dumm genug zu sterben. Auf deiner Kreuzfahrt vom Schiff gefallen. Das war deiner nicht würdig. Du hättest es verdient gehabt, im Kreise deiner Familie zu sterben und sowieso, so ein ganzes Jahrzehnt hättest du ruhig mal noch bei uns bleiben können.

Aber du musstest es ja beschwören. Ja, du hasst es, aber ich bleibe abergläubisch. Vor deiner Seereise hast du noch davon gesprochen, dass wenn du stirbst, du zur See bestattet werden möchtest. Und nur damit du blöder Hammel recht behältst, fällst du vom Schiff. Nur, weil ich gesagt habe, dass du nicht vom Tod reden sollst und du dir eine Seebestattung mal schön abschminken kannst. Neben Mutter solltest du auf dem Friedhof liegen, jetzt haben sie nicht mal eine Leiche für uns.

Nur deinen blöden Fotoapparat konnten sie uns geben. Und dann mit so einem bekackten Abschiedsgruß. Ein Foto vom Meer. Dein Fuß ist noch ein Stück weit zu sehen und der blöde Typ der für dich das Foto machen sollte hat geknipst, statt dir hinter her zu springen. Hätte wohl auch nichts genutzt. Um gerettet zu werden warst du einfach zu stur. Und alles immer nur um Recht zu haben.

Wenn du diesen Brief liest, im Jenseits oder wo auch immer du gelandet sein magst, wirst du merken, dass es der schlechteste Abschiedsbrief aller Zeiten ist, aber das bist du selber schuld. Hättest dich ja nicht mit mir streiten müssen und immer immer IMMER recht haben müssen. Sogar mit deinem Scheiß Whiskey, den du mir geschenkt hast, solltest du recht behalten. "Er wird dir Trost spenden" hast du gesagt. Du Arschloch, jetzt sitze ich hier mit dem Whiskey am Rechner und schau mir deine Urlaubsfotos an. Alles was uns von dir geblieben ist. Dein letzter Gruß an uns.

Ich liebe dich alter Mann,
egal wo du dich rumtreibst.

Dein ängstlicher sturer Sohn.

PS: Wenn du mir jetzt sagen willst, wie unpassend dieses "Rumtreiben" war, dann kann ich dir nur sagen: Wärste mal nicht gestorben, könnten wir uns darüber streiten!

Kommentare

  1. Ich bin nur zfufällig bei einem Spaziergang durch Kleinbloggershausen hier vorbei gekommen und auf diese sehr berührenden Zeilen gestoßen, lieber Jay. Ich möchte nicht versäumen, einen kleinen Gruß hierzulassen.
    Liebe GRüße also von Felina, die Dein Text sehr beeindruckt hat.

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    1. Danke sehr. Freut mich, dass es berühren konnte.

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