Verletzt und Verletzung

"Du hast mich nicht verletzt. Die Verletzung war schon vorher da und du hast sie berührt."

Eine gute Freundin hat mir unmittelbar nach meinem ersten Tattoo auf den Oberschenkel gehauen, wo eben genau dieses frische Tattoo war. Wenn auch ich das Stechen des Tattoos ganz gut verpackt hatte, war ihr Treffer wirklich in mehrerlei Hinsicht saftig. Die geschundene Haut war kein Fan von dem Move. Trotzdem wurde aus dem Vorfall für mich schnell eine kleine nette Anekdote, die auch jetzt manchmal noch auf den Tisch kommt. Damals war sie äußerst peinlich berührt, weil sie mir nicht weh tun wollte. Und technisch gesehen hat sie das auch nicht. Die Entscheidung zum Schmerz, die habe ich nämlich getroffen, als ich mich für das Tattoo entschieden habe. Sie hat die Verletzung berührt, aber nicht gemacht. 

Seelisch ist das auch eine wichtige Frage. Hat mich jemand verletzt oder war da schon eine Verletzung vorher, in meinem Tag, meiner Woche, meiner Biografie? Hat jemand eine Stelle von mir berührt, die schon vorher sensibel war? Etwas was noch wund, nicht verheilt oder vielleicht sogar nicht gereinigt war? Und wer trägt die Verantwortung für die Verletzung zu welchen Anteilen? 

Eine gute "Awareness" beinhaltet auch die Arbeit zu unterscheiden wann jemand etwas getan oder ausgelöst hat. Ein Erlebnis und eine Erinnerung unterscheiden zu können, auch wenn sie sich sehr ähnlich anfühlen. Denn daraus leitet sich unser Handeln und unserer Umgang mit der Situation ab. 

So schaffe ich es dann, einer nahestehenden Person nicht böse zu sein, als ihr ein Spruch rausrutscht, der auf eine wunde Stelle von mir anspielt. Eine, wo von außen nicht mal zu sehen ist, ob sie verletzt ist.  

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