Reclaim the City
Egal wie wir es anstellen, am Ende zahlen wir Steuern. Die Idee hinter Steuern ist, dass eine durch die Demokratie (und damit die Bevölkerung, also uns) beauftrage Gruppe von Expert*innen - Die Regierung - sich darum kümmert, dass mit diesen Gelden Strukturen geschaffen werden, in denen wir gut leben können. Das bedeutet ganz viele verschiedene Arten von Struktur. Das bedeutet eine Betreuung des öffentlichen Raums. Der ist in vielen Städten aber unterschiedlich groß, weil Privat- und Firmeneigentum die Grundfläche einer Stadt, die Zuständigkeiten und die Berechtigungen beeinflussen. Darüber hinaus ist auch nicht gesagt, dass wenn eine Regierung auf kommunaler, regionaler oder Bundes-Ebene beauftragt ist, diese auch im Sinne der Bevölkerung handeln oder im Sinne des öffentlichen Raums.
In verschiedenen Protestformen gibt es also die Forderung sich die Stadt zurück zu holen. "Reclaim the City!" ist die Forderung und die Aktionen darin verfolgen oft das Ziel Räume wieder nutzbar zu machen für Menschen, Vorstellungen auf zu brechen und Aufmerksamkeit zu fordern. Auch Kunst erkämpft sich dabei Plätze. So ist Graffiti, Tanz, Musik in der Stadt schon oft eine kleine Art dieses Reclaimings der Flächen. Auch Stickern von Flächen mit Kunst und/oder Botschaften passt in dieses Konzept. Das der Bedarf am Erkämpfen des öffentlichen Raums, aber auch aus privaten und betrieblichen Händen groß ist, zeigt sich an der großen Zahl an Aktionen und Formen der letzten Jahre.
So gibt es Fahrradaktivist*innen, die in vielen Großstädten "Critical Mass" abhalten, eine Art Fahrraddemo die ausnutzt, dass ab einer bestimmten Zahl Teilnehmer*innen eine Masse als ein*e Verkehrsteilnehmer*in und damit lange Zeit Kreuzungen blockieren kann und sich Radfahrer*innen frei bewegen können, wie sie es sonst in der Stadt nicht könnten.
Guerrila Gardening, wo Flächen aufgerissen werden um heimlich Pflanzen und Bäume anzulegen, und auch andere urbane Flächen wieder begrünt werden ist ein weiteres Konzept, dass eine solche Aufmerksamkeit erzeugt. Teilweise gar nicht immer aus tiefem politischen Engagement, sondern aus grundsätzlicher Unzufriedenheit. In Bochum soll zum Beispiel vor vielen Jahren ein Apotheker einen Ginko-Baum gefplanzt haben vor seiner Apotheke, weil da alles richtig schlimm aussah. Kurzer Hand hat er das Projekt umgesetzt, dann wurde es eine Weile nicht bemerkt und dann war der Streit und Aufwand zu groß, um die Änderung rückgängig zu machen. In einer prominenten Protestaktion in London haben Aktivist*innen Verkehrsinseln aufgerissen und dort Gärten und Gemüsefelder angelegt.
In den letzten Jahren gab es auch Aufmerksamkeit für Aktionen, bei denen Menschen kurzer Hand mit einer Flex ausgestattet Eisenstangen entfernt haben, die Obdachlosen die Übernachtungen an öffentlichen Orten erschweren sollten. Ohne Berechtigung und Auftrag wurde da im Sinne der Menschlichkeit Sachbeschädigung betrieben, aber die spannende moralische Frage ist eben, an wem, wenn doch die Stadt für uns und unsere Bedürfnisse gestaltet werden sollte, es aber eben nachweislich nicht passiert.
Kunst kann nicht immer den sauberen und den legalen Weg gehen. Und manche moralische gute Wege sind eben gesetzlich trotzdem nicht gewünscht, aber eben auch oft, weil die Kunst und Kritik die Schwachstellen und Motivationen aufdeckt, die dahinter liegen. Kunst hat eben auch schon immer Autoritäten und System hinterfragt, weil sie spielt, wo nicht gewünscht wird, das gespielt wird. Und das Aufmachen der Stadt, die Zurückeroberung unserer Räume, dass ist eine schnelle und heftige Quittung an die, die uns demokratisch offensicthtlich dann gerade nicht gut vertreten. Eine Aufgabe von Macht ist leider oft auch, sich selbst zu erhalten und dafür geht es dann nicht immer um die, die vertreten werden wollen. Wenn wir sie spielerisch Erinnern und auf die Macht der Menge und Gemeinschaft hinweisen, die Basis der Demokratie sind, dann ist das ein gutes Nutzen der Kunst.
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