Ich bin es so leid!
Die im folgenden beschriebenen Ereignisse passieren in der Stadt Essen, aber ich gehe davon aus, dass es ähnliches auch andererorts gibt. Es ist ein Kommentar und eine Geschichte über unseren Umgang mit Informationen, unser Verhältnis zu Tradition und eine Geschichte über Jugendhäuser und ihre Notwendigkeit.
Denn: Ich bin es so leid! Ich bin es einfach sowas von leid, habe drei Jahre dazu geschwiegen und jetzt kann ich es mir einfach nicht mehr anhören.
"Die Weststadthalle hat das JZE Papestraße kaputt gemacht!" - "Die kommerzielle Drecksbude macht doch keine Jugendarbeit!" - "Wenn ich schon Lounge und sowas lese, da krieg ich das kalte Kotzen. Aber das JZE für diese Hipsterhölle zu machen, das geht mal gar nicht." - "Wir brauchen mehr Freiräume in der Stadt und nicht so eine Scheiße wie die Weststadthalle!"
Und das ist nur eine Auswahl von O-Tönen und Facebook-Kommentaren. Die Gemeinschaft aller aktiven Ehrenamtler und Hauptamtler der Kinder- und Jugendarbeit in Essen ist sich einig: Als das JZE an der Papestraße nicht für 4,8 Millionen Euro renoviert wurde, ist ein Stück Geschichte von Essen gestorben. Und tatsächlich ist ein Spielort mancher sensationeller Künstler damit verschwunden. Zwar noch nicht ganz, der Abriss steht noch an, aber die Stätte an der unter anderem Grönemeyer, Public Enemy und auch mal Slayer aufgetreten waren, wird der Abrissbirne weichen. Ersatzlos.
Bis auf das letzte Wort entspricht es der Wahrheit. Das Wort "ersatzlos" ist aber immer verpflichtend bei den Kritikern oder eher Angreifern des Ersatzes. Die Weststadthalle in der Essener Innenstadt wurde von der Politik als Ersatz angeboten. 1,8 Millionen Euro wurden dort investiert, um die ehemalige Partylocation zu einer neuen Location für Jugendarbeit in der Stadt Essen zu machen.
Keine Superlativen hier. Es sollte niemals DIE Location dafür werden und auch nicht der beste Ort und auch nie die ausgabenintensivste Einrichtung der Stadt. Es war immer als ein Angebot der Stadtpolitik gedacht, an die, die solange vor dem JZE standen und für seinen Erhalt kämpften. Ein Angebot an die, die Ehrenamt in Essen machen wollten und dafür gerne eine große Location mit vielen Möglichkeiten haben wollten.
Nach Aussage dieser Kritiker ist das in der Weststadthalle nicht möglich, da diese ja kommerziell orientiert ist. Ich mache seit circa drei Jahren ehrenamtliche Kultur- und Jugendarbeit in der Weststadthalle. Mit meinem Team aus insgesamt fünf Personen biete ich bei freiem Eintritt einen Poetry Slam mit an- zur Zeit jeden Monat für circa 130 Zuschauer - habe außerdem eine Impro-Theater-Gruppe bei ihren Aufführungen unterstützt, die ehrenamtlich, bei freiem Eintritt ebenfalls Kultur anbieten; Im Publikum dabei immer Jugendliche und junge Erwachsene.
Aber das scheint sich in einer anderen Realität ab zu spielen. Denn es ist schwierig im Moment, gerade bei den sozial-orientierten linkspolitischen Organisationen der Stadt auch nur einen zu finden, der ein gutes Wort über die Weststadthalle verliert. Warum auch? Was bietet die Weststadthalle schon an? Die Funktionen des JZE wurden doch nur gestohlen und nie ersetzt.
Besonders auffällig empfinde ich ja dabei, dass bei der Eröffnungsfeier der Weststadthalle draußen circa Zehn Personen protestierten, während die ganzen Funktionäre der Jugendarbeit drinnen aufmerksam dem Programm folgten. Trotz der riesigen Basis an Menschen, denen das JZE geklaut wurde, haben sich nur Zehn zum Protest gefunden. Bei aktuell circa 26.000 (Quelle: Wikipedia) Einwohner in Holsterhausen, dem Heimatstadtteil des JZE hätten da doch durchaus mehr stehen können, oder meine ich das nur?
Den Protest, vor allem im Netz, führen aber viele und spannenderweise oft welche, die damit anfangen, wie sie damals vor einigen Jahren das JZE erlebt haben, als sie dort noch aktiv waren und was für ein Verlust das doch jetzt für Essen wäre. Erneut: Ja, ein Stück Geschichte in der Stadt endet, aber hier den schwarzen Peter alleine der Verwaltung und der Politik der Stadt zu geben, ist realitätsfremd.
Jugendhäuser sind in unserem System nämlich inzwischen leider einigen Grundregeln des Kapitalismus untergeordnet. Vorne weg: Angebot und Nachfrage. Und das sogar auf mehreren Ebenen.
Erstens:
Jugendhäuser müssen Zahlen offenlegen, wie viele Besucher ihre Angebote so haben. Diese Zahlen stehen im Verhältnis zur Größe des Gebäudes, der Öffnungszeiten, der Veranstaltungen und vermutlich auch irgendwo im Hintergrund bei den städtischen Töpfen im Verhältnis zu den Kosten. Wer hier glaubt, Jungendhäuser könnten sich über Eintrittsgelder von Konzerten selbst tragen, irrt gewaltig. Das Problem an dieser Zahl: Wenn sie rückläufig ist, rechnet sich so ein Haus irgendwann nicht mehr und kann von einem desolaten Finanzhaushalt einer Kommune (und welche Kommune hat den nicht?) nicht mehr getragen werden.
Natürlich kann hier jetzt schon emotional diskutiert werden, dass sich ein Jugendhaus immer lohnt, aber auch wer das glaubt, irrt gewaltig.
Eine weitere Ebene von Angebot und Nachfrage ist nämlich die folgende: Wer bietet was in einem Jugendhaus an und wird es nachgefragt? Es gibt nämlich viele Versionen von Jugendhaus, die einfach nicht funktionieren. Viele Gruppen, Kurse und Veranstaltungen für Jugendliche und Kinder, die dann aber nicht kommen? Nutzt ja nichts. Soll es aber geben.
Habe ich selbst als Ehrenamtlicher in einem Haus der SJD-Die Falken in Essen erlebt. Wir haben damals viel gemacht, aber nie eine Zielgruppe erreicht. Das Ende vom Lied war, dass wir uns als Team zersetzt haben, da wir uns keine Angebote zur im Stadtteil bestehenden Nachfrage ausdenken konnten. Also ist das Angebot komplett verschwunden.
Was damals übrigens sein Gutes hatte, denn inzwischen sind in dem Haus neue, fantastische Ehrenamtliche, die aus dem Stadtteil kommen und Teil dieser Nachfrage sind, die wir damals nicht erreichen konnten und daher aber auch Dinge anbieten, die der Stadtteil braucht.
Eine andere Variante ist aber auch sehr prominent: Es gibt Jugendliche im Stadtteil, aber außer den Hauptamtlichen in der Einrichtung - die auch mehr Aufgaben haben, als Dinge anzubieten, ja sogar reichlich mehr tun müssen, um den Betrieb am laufen zu halten - Aber niemand, der etwas anbietet. Und das nutzt natürlich auch nichts.
Warum führe ich zu diesem Punkt? Das JZE war da, es hat Geschichte und es war toll. Leider stimmten weder die Angebote, noch die Besucherzahlen noch mit dem überein, was da Ehemalige vor Augen haben. Die Konsequenz, ein Jugendhaus schützen zu wollen, muss also sein, es mit Leben zu füllen. Entweder, in dem ich selbst weder darin aktiv werde und Angebote stricke oder aber meine Kinder hinschicke, wenn ich schon nicht selbst etwas tun kann. Und was zu tun gibt es immer in so einer Einrichtung.
Was aber in der Marktwirtschaft noch nie einen Betrieb gerettet hat, ist ihn in der eigenen Jugend zu feiern, zu ignorieren, wenn mensch älter wird und dann aber zu meckern, wenn es ihn nicht mehr gibt. Das kann mensch machen, ist aber uneffektiv und auf Dauer auch frustrierend.
Und auch im Rahmen der gesellschaftlichen Verantwortung nicht ganz unproblematisch. Diese wird dann oft den Politikern als fehlend attestiert, sich eingemeckert und das war es dann. Angebot und Nachfrage haben in dieser Geschichte nämlich auch noch eine andere Bedeutung.
Das JZE ist weg, daran wird sich nichts ändern. Die Weststadthalle ist das Angebot der Regierenden. Es ist nicht das JZE, es ist etwas anderes, aber der entscheidende Faktor ist der: Wird es von den Jugendlichen und Jugendverbänden hier nicht genutzt wird auch dieses Angebot irgendwann verschwinden.
Eine Halle, die es erlaubt Großveranstaltungen abzuhalten, wie es in den kleinen Jugendhäusern nicht möglich wäre.
Eine Halle, die...sparen wir uns die Aufzählung: Sie hat tolle Optionen und die stehen erstmal allen offen. Natürlich ist sie nicht perfekt, aber welche Einrichtung ist das schon? Aber eines hat sie voraus: Sie existiert.
Und das liegt in der Verantwortung der Ehrenamtlichen, denn wenn die nicht kommen, war es das.
Und da schließt sich der Kreis, weshalb diese Geschichte in jeder Stadt spielen könnte. Jugendhäuser gibt es überall, fehlendes Ehrenamt auch. Über Schließungen der Einrichtungen wird sich auch überall mokiert, aber die wenigsten aktivieren sich selbst, um präventiv den Abbau zu verhindern. Entweder ihr werdet in euren Städten in irgendeiner stützenden Form aktiv - Manche gehen ja sogar dafür in die Politik - Oder ihr hört auf zu meckern, über etwas was am Ende auch euer Versäumnis war. Das, bin ich nämlich leid.
Die lautesten Meckerer sind meist auch die, die als erstes den Schwanz einziehen und kneifen.
AntwortenLöschenLeider nimmt dieser Typus "Mensch" mit der zunehmenden Digitalisierung von Meinungen immer mehr überhand und das bin auch ich leid!
Warum immer diese pessimistische Miesmacherrei? Wollen wir den nie vom Status der Meckernation wegkommen, die nur rumnölt aber selbst nix gebacken bekommt?
Das Thema lässt sich auf verschiedene Ebenen unseres täglichen Lebens transportieren. Angefangen bei der Wahl wordurch "sich ja sowieso nix ändert" bis hin zu solchen Dingen die du hier beschreibst. Das macht mich echt krank! Wer meckert und unzufrieden ist, muss auch bereit sein mehr zu tun als nur die Klappe aufzureißen. Aber das ... wäre ja mit Arbeit verbunden. ;)
Shakespeare hat es treffend formuliert ..."Viel Lärm um Nichts!"
Leider ist mein Beitrag erstmal auch nur meckern über die Meckernden, was natürlich den Prozess nicht besser macht, auch wenn ich selbst aktiv bin und stolz auf meine Ehrenamt. Aber manchmal platzt die Frustblase halt einfach und dann muss es nur noch raus.
LöschenAber es stimmt, das Missverhältnis zwischen gefühlten und angezeigtem Bedarf findet in vielen Lebensbereichen statt.
Wer anpackt, darf auch meckern! ;)
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