Muttersprache
Es ist wie ein Anzug. Ich klinge akademisch und habe diese Sprache gelernt, damit ich in diesen Kreisen sein darf. Ich ziehe sie an, damit ich Zugang bekomme. Denn ich möchte lernen und mit Leuten reden können, die viel mehr wissen als ich und viele fachliche Dinge sagen können. Ich trage akademische Sprache, bin aber gar kein Akademiker. Wenn auch ich mich mittlerweile immer mal wieder als Gelehrter sehe, weil ich lese und Podcasts höre und vieles daraus anwenden und weiter geben kann. Aber das ist alles nicht meine Muttersprache.
Meine Mutter hat mir irgendwann gesagt, dass sie mich nicht mehr versteht. Weil ich so hochgestochen rede. Weil ich Fremdwörter benutze und von Themen spreche, die sie nicht berühren oder sie nicht für sich umsetzen kann. Meine Mutter ist klug, daran liegt es nicht. Aber Muttersprache ist Ruhrdeutsch. Eine einfache direkte Sprache. (Nicht ruhrplatt, das ist nochmal ganz anders). Und ich spreche ruhrdeutsch auch, aber es wurde weniger, weil damit nicht die Türen zu den Gesprächen aufgingen, die ich wollte.
Ich musste wieder Sprache finden, die auch sie mitnimmt.
Ich suche immer noch danach. Danach wie ich reden möchte. Etwas, das sich heimisch anfühlt. Oft wenn ich Selbstgespräche führe, ist das auf Englisch. Meine Notizen sind in allen meinen Sprachen, aber auch Zeichnungen und Mustern und Bildern, weil Worte nicht reichen. Ich singe öfter am Tag als ich zugeben mag. Aber ich bin auch wieder klarer für meine Mutter. Andere verstehen mich trotzdem nicht. Ich fühle mich auch oft unverstanden. Also muss ich weiter nach Sprache suchen.
Sehr interessanter Gedanke zur Auseinandersetzung mit Sprache und der Ausübung dieser. Bringt kurzum den Gedanken auf, was unterhalb dieser funktionalen Art von Sprache und des miteinander Sprechens noch übrig bleibt, denn Ruhrdeutsch ist es bei mir auch lange nicht mehr. Vielleicht hört mensch auch nie auf nach Sprache zu suchen, um sich in ihr umzusetzen.
AntwortenLöschendazu kann ich glaube ich ein Buch empfehlen, das ich kürzlich gelesen habe & sehr mochte (und mich darin wiedergefunden): "Was ich zurückließ" von Marco Ott (https://westendverlag.de/Was-ich-zurueckliess/2061)
AntwortenLöschenDanke für diese Buchempfehlung.
LöschenAm Mittwoch habe ich eine Gruppentherapie geleitet und mit 16 Menschen über Gefühle und Bedürfnisse gesprochen. Und darüber, dass es für viele von uns so ist, dass wir das wie eine Fremdsprache lernen müssen. Mit Vokabellisten, Unsicherheiten, was Worte genau bedeuten und ohne klares Gespür für uns selbst. Ich mag den Vergleich, weil es noch besser greifbar macht, warum es hierfür Vokabellisten und Übung braucht.
AntwortenLöschenNach der Stunde kam ein Patient aus der Runde zu mir, der sehr aktiv teilnahm und der als einziger damit aufwuchs, dass Weinen und Gefühle zulassen etwas Wichtiges und Gutes ist. Er bedankte sich bei mir für die gute Sitzung, aber es war ihm ein Anliegen, mir zu sagen, dass er den Vergleich mit einer Fremdsprache nicht passend fand.
Auf Nachfrage hat er erklärt, dass man sich in einer Fremdsprache ja niemals genauso gut ausdrücken könne wie in seiner Muttersprache.
Und da gab ich ihm Recht, auch wenn es natürlich möglich ist, "Verhandlungssicherheit" zu erreichen und damit sehr nah an diese Fähigkeiten zu kommen.
In unserer Runde war er allerdings der einzige, der "Gefühle und Bedürfnisse" wirklich als Muttersprache gelernt und verinnerlicht hatte. Alle anderen (mich eingeschlossen) bewegten uns auf unterschiedlichen Niveaus in einer Fremdsprache und wir werden die Sicherheit dabei, die dieser Mensch hatte, vermutlich nie erreichen.
Und auch wenn ich, absurderweise, in diesen Runden für gewöhnlich die Expertin bin und weiter bin als die anderen... Sobald Muttersprachler dabei sind, sehe ich auch wieder, wie viel ich noch vor mir habe. Und auch, warum ich es so liebe, anderen die Möglichkeit zu geben, sich neu auszudrücken, die vorher oft nicht mal die Basics kannten.
(Spannend, dass du quasi einen Tag danach einen Artikel hast, während meiner nur als Skizze angefangen rumliegt.)