Wenn ich sterbe

Content Note: Tod, Verlust


Mit dem Tod verbunden sind wir zwangsläufig alle. Auch wenn Forschung gerade auf dem Weg ist die altersbedingten und medizinischen Gründe fürs Ableben langsam aufzulösen, bedeutet es nicht, dass wir nicht auf verschiedensten Wegen das Leben verlieren können. Und ich bin nicht schlau genug um eine Antwort darauf geben zu können, ob diese Langlebigkeit die da angestrebt ist, ein ewiges Leben, überhaupt gut für uns ist. Unsere System und Gesellschaft sind in jedem Fall nicht dafür vorbereitet, die kommen ja jetzt schon nicht mehr gut klar mit Menschen.

Spätestens als ich bei dem schweren Verkehrsunfall meines Vaters dabei war, selbst nur knapp dem heranschnellenden Fahrzeug ausweichen konnte, habe ich ein engeres Verhältnis zum Ableben. Mein Vater hat den Unfall damals überlebt, was gemessen an dem was ich gesehen habe eine Unmöglichkeit war. Aber er war auch gebrochen danach. Ich habe im Krankenhaus, als er noch nicht durch war durch alles, eine Verletzlichkeit und Hilflosigkeit gesehen, die ich nie vergessen können werde. Sie ist mir auch an anderen Stellen im Leben begegnet oder vergleichbare Versionen von ihr und es schlägt mir bis in meine tiefsten Ebenen, wenn ich ihr begegne. Von meinem Vater war eine Fragmentierte Version geblieben, er hat vieles verloren durch den Unfall, was ihm lieb war. Ich habe aber meine besondere Bindung zum Tod vertieft.

Es gab auch andere Instanzen im Leben wo ich mit dem Tod in Kontakt gekommen bin. Manche davon natürlich, da das Alter oder Krankheit die Menschen mitgenommen hat. Andere weil jemand - in unterschiedlicher Nähe zu mir - die Welt verlassen musste. Auch, weil andere Menschen mir ihre Geschichten über ihre Verstorbenen anvertraut haben. Der Verlust, die Freiheit, die Trauer, der Schmerz, die Trennung, der Egoismus, die Verzweiflung, der Tod bringt so viele tiefe Erlebnisse in uns hervor. Wieder andere, weil ich einen anderen Kontakt damit hatte. Eine Erkenntnis, wie knapp es war. Den Spachtel mit dem ich beim Entfernen der Tapette das Kabel getroffen habe wo anders als angesagt noch Strom drauf war, der liegt mit seinem großen Loch immer noch in meiner Werkzeugkiste. Ein ganz kleiner Streifen Plastik hat mich geschützt. Auch von einem anderen Moment habe ich noch eine Narbe in der Handinnenfläche. Ich trage die Erinnerung immer bei mir.

Ari Vallach, ein Zukunftsforscher glaubt, dass die Beschäftigung, eher noch die Meditation über den Tod wichtig für uns ist. Denn darin liegen Antworten darauf wie wir leben wollen. Und die Akzeptanz und Anerkennung des Todes kann unsere Lebensweise verändern. Wir versuchen oft den Tod zu verdrängen, aber die Beschäftigung mit unserem Tod beinhaltet so viel Lebendigkeit. Und Möglichkeiten zu erkennen, was wir tun wollen. Denn selbst wenn wir den Wunsch haben "Unsterblich" zu sein, dann können wir dem Tod aktuell nicht entgehen. Und unter Umständen müssen wir uns fragen, wie wir ein Andenken hinterlassen können, auch wenn wir nicht für immer einen Puls tragen.

Ich hätte es nicht vorgehabt, aber gerade könnte ich nicht sterben. Natürlich hat das auch mit der Geburt meines Kindes zu tun gehabt, denn der kleine Mensch kann noch nicht genug, um alleine weitermachen zu können. Und ich schätze er wird - unter anderem mich - noch ein Weilchen brauchen. Aber auch so ist mein Teil der Welt noch nicht so, dass ich aus allem ausgelöst bin. Trotzdem könnte ich zufrieden sein. Mit diesem Blog, meinen Notizbüchern, meiner Sammlung an Medien und meinen Menschen hinterlasse ich eine gute Zahl an Quellen, die über mein Leben hinaus noch Menschen helfen könnten. Ich dokumentiere mich und teile Gedanken. Ich habe Ressourcen geschaffen, die für andere nutzbar sind. Auch Strukturen würden bleiben.

Was ich im Denken über den Tod merke, dass ich keine Abhängigkeiten zu mir hinterlassen mag. Wenn ich wüsste dass ich sterbe, dann würde ich gerne schauen, dass direkt jemand mein Zimmer und die Miete in der WG übernimmt. Das mein Kind in einem guten Umfeld leben kann und eine gute Familie hat. Dass kein großer Schmerz mehr übrig bleibt. Ich würde allen versuchen Gespräche und Briefe zu hinterlassen, damit sie einen Frieden haben können. Damit sich Sachen auflösen. Wenn ich sterbe, dann mag ich nichts und niemanden mitnehmen. Die Lebenden sollen im Leben bleiben. Ich wünsche das alle dann gut trauern können, aber sich auch verabschieden und lösen. Vielleicht hinterlasse ich noch ein paar dumme Witze. Das passt zu mir.

Ich habe nicht vor zu sterben. All meine Kontakte mit dem Tod zeigen mir das immer wieder. Ich habe keine Sehnsucht nach ihm. Meine Gedanken werden manchmal düster, aber ich bin froh um jedes Gespräch dass ich in mir über den Tod und das Sterben führe. Denn es verbindet mich mit meinem Leben und stärkt meine Werstchätzung dafür was es bedeutet lebendig zu sein. Im Jetzt zu sein. Im unendlichen unerschöpflichen Jetzt, wo ich leide und lebe und lerne und an mir arbeite und für mein Umfeld versuche mich einzubringen um dem Ziel eines großen Frieden zu folgen, auch wenn es mich überfordert, überrollt und oft genug zerkaut und ausspuckt. Ich trage all die Schmerzen in mir als einen Orden für Lebendigkeit. Es gehört dazu, es ist der Beweis für die Lebendigkeit. Gefühle fühlen, egal welcher Geschmacksrichtung, das ist mehr als einen Puls haben.

Normalerweise haben meine Artikel hier einen Bezug dazu, wie es ist Kunst zu machen. Das drängt sich bei so einer Fragestellung über Tod und Leben vielleicht nicht auf. Aber auch da sehe ich die Mediationen über den Tod als sinnvoll an. Denn wenn ich mich frage, ob ich "fertig" bin mit meiner Kunst, dann ist die Antwort ein deutliches Nein. Ich habe noch nicht alles geschrieben und gemacht, was ich machen wollen würde mit Kunst. Auch wenn ich jetzt noch nicht weiß, was ich genau machen und schenken möchte, weiß ich, dass ich noch nicht fertig bin. Mein letztes Gedicht ist noch in weiter Ferne. Da sind noch reichlich Auftritte in mir drin. Da ist Lebendigkeit für viele kommende Projekte. Und so lange ich das spüre, grüße ich den Tod freundlich aus der Ferne, sage ihm dass ich auf dem Weg bin, mich aber vermutlich verspäten werde, weil ich ganz oft aufgehalten wurde.

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