Winter
Manchmal wünschte ich mir, ich würde rauchen. Wegen der vermuteten Coolness die im Rauchen liegt. Eigentlich wünschte ich mir auch, dass Rauchen dann auch nicht schädlich wäre. Ist es aber. Und das Coolness-Gesundheits-Verhältnis reicht nicht aus. Zu mal auch die Frage ist, bei wem mensch dann cool ist. Vermutlich wünschte ich auch eigentlich, dass meine Finger und mein Gesicht was zu tun haben, während ich ein zweites Ozonloch in den Himmel starre. Vermutlich wünsche ich mir auch nur die Zigarette, weil ich beim und aus Filmen gelernt habe, dass mit wenigen Bildinformationen etwas wichtiges etabliert werden kann. Zum Beispiel durch sichtbaren Atem.
Es ist Winter. Alles stirbt. Da kommt auch das Rauchen ins Spiel. Es ist einer der akzeptableren Merchandise-Artikel des Todes. Der Genuss, die Sucht, das hilft natürlich eine Wahrheit in sich zu verdrehen. Wer in der Kälte vor der Tür steht, im Halbregen-Halbschnee-Halbsturm der kann sich dann besser einreden, ich mache das für mich. Um einen Moment abzuschalten. Von was eigentlich? Den anderen Sachen die uns heimlich töten.
Was ich zeigen wollen würde, ginge nicht so einfach im Film, wie ich es gerne hätte. Ich müsste nach Innen rauchen. Der Winter ist in mir drin. Damit wir für die Zeit auch eine beobachtbare Größe haben, hat sich das Universum Jahreszeiten für uns ausgedacht. Aufwachsen, leben, abbauen, sterben. Karneval, die rheinische Nummer fünf hat der Mensch sich ausgedacht und gehört meiner Meinung nach zum Sterben. Aber das ist ein anderes Thema. Vermutlich auch wie rauchen: Ausweichen und Betäuben. Mit Humor.
Es ist Winter in mir drin. In der letzten Zeit was zwischen einigen Monaten und zwei Jahren liegt, ist ganz schön viel von mir weggefallen. Nicht einfach so. In Therapie, in Gesprächen, in tiefer Reflexion, in der Frage wer ich eigentlich bin. Vieles was sterben musste waren Teile meines Egos. Dieser Teil der Gesamtheit des Seins, der uns am Leben halten will. Manchmal etwas zu ambitioniert. Manchmal mit falschen Ideen. Um mich herum war auch viel Frühling. Leben ist entstanden, ich habe Verantwortung und dachte ich könne von vollen Feldern immer ernten. Aber in mir ist Winter geworden. Ich versuche wenig Energie zu brauchen, halte meine Vorräte fest und erinnere mich kaum an den letzten Frühling. Gerissene Lippen und andere Erkenntnisse halten mich vom Reden ab. Immer mit Hoffnung auf den Frühling. Denn das einer kommen wird, ist sicher.
Alles läuft in Zirkeln ab. Alles in Saisons. In Jahreszeiten. Es war so vieles schädlich oder falsch an mir und für mich. Das musste weg. Und es sollte nicht zurückkommen. Keine Gewächshäuser die alles erhalten. Einen Finger in der Erde und spüren was hier gerade wachsen kann. Ich hatte vergessen wie es weitergehen kann. Dann hat in irgendeinem schlauen Podcast jemand gesagt, dass unsere Leben auch Jahreszeiten haben. Es ist ein Bild und keine bewiesene These. Aber als Künstler und Kunstfan weiß ich: Ein Bild kann etwas ausdrücken wozu die Wissenschaft nicht im Stande ist.
Ich stehe auf einem Hügel, die Luft schleift Kerben in mein Gesicht. Sichtbarer Atem. Es ist Winter. Das verstehe ich sofort. Und als hätte jemand Rolf Zukowskis Jahresuhr angeschaltet, erinnere ich mich an die Existenz von Frühling, nur weil sie erwähnt wurde. Mit dem Rauchen fange ich trotzdem nicht an. Das gehörte nie zu mir. Und der Teil von mir der es mal probiert hatte um dazu zu gehören, der ist in der Form nicht mehr da. Hatte einen Frühling und ist etwas neues geworden.
In mir ist es Winter. Mal sehen wie lange noch.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.