Reduzieren

Eine meiner Angewohnheiten hat ein wenig Überhand genommen. Seit Jahren trinke ich Energy Drinks, eigentlich oft ziemlich gemäßigt, in einigen Phasen dann aber doch recht häufig, teilweise täglich. Jetzt zuletzt war ich in einer Mischung aus Ferienmodus und tiefer Erschöpfung angekommen. Keine Sorge, ich weiß selbst, dass da auch keine Energy Drinks helfen. Ich bin mir eh recht sicher, dass die bei mir keine besondere Wirkung haben, außer dass sie mir gut schmecken (ja, weil es irgendwie zu viel und unnatürlich ist). Meine Disziplin war bis zu einem Punkt problematisch, dass ich mir Sorgen darum gemacht habe, ob ich in einem Suchtzustand bin. Ironische Sache über Sucht: Viele Menschen die an Abhängigkeiten erkrankt und darunter leiden oder gelitten haben sagen in Erfahrungsberichten, dass wer sich das noch fragt, meist nicht von Abhängigkeit und Sucht betroffen ist. Von den Situationen in meinem Leben wo ich mich in Abhängigkeit mit Leidensdruck befand, kann ich diese Erfahrung unterstreichen.

Was ich aber gesehen habe, ist fehlende Disziplin. So würden es Menschen sagen, die richtig Bock darauf haben sich selbst zu unterdrücken, vermute ich. Disziplin ist - als Wort - etwas, was ich leider nur noch mit alter toxischer Männlichkeitskultur verbinden kann. Da wird dann Leid als Vorraussetzung für Fortschritt gesehen und Wissenschaftler*innen können dieser These aber nie wirklich recht geben. Ja, es braucht Herausforderungen um zu wachsen, wer sich aber dann zwingt und gegen den eigenen Willen, gegen die eigenen Bedürfnisse geht, ersetzt meist nur ein Leid mit einem anderen, dass sich gerade besser aushalten lässt.

Ich leide nicht massiv darunter, dass ich mir die Beschleunigungsbrausen reinfahre, aber ich weiß eben, dass das auf Dauer nicht gesund sein kann. Und ich bin Elternteil genug um ich auch zu fragen, was ich vorleben möchte. Ich bin motiviert genug um lang zu leben, weil ich noch viel zu tun haben möchte auf dieser Welt, dass ich auch da weiß, dass ich etwas tun und ändern muss. Aber wann immer ich dann einen radikalen Stop versucht habe, hat es nicht geklappt. Ein wenig dämlich auch von mir, denn eigentlich wusste ich schon mal, dass das so nicht bei mir funktioniert. Tut es bei den wenigsten, sagt James Clear in seinem Buch "atomic habits". Die meisten Menschen legen schlechte Gewohnheiten - hier ganz dringend von Sucht zu trennen, für die es professionelle Unterstützung braucht - ab, indem sie sie langsam gegen eine gute Gewohnheit austauschen.

Allerdings ist es auch sinnvoll und gut zu prüfen, ob da nicht auch Blockaden im Raum stehen. Blockaden lassen sich nämlich auch nicht unbedingt durch ein austauschen von Gewohnheiten verschieben. Je nach Blockade braucht es da dann andere Wege. Ich für meinen Teil musste eine Art Domino-Kette starten. Denn die Energy Drinks habe ich in meiner Freizeit getrunken und mir davon viel erlaubt, zum einen auf Anraten meiner Therapeutin, aber auch weil ich wirklich auch doll ausgebrannt war. Als ich dann einen sehr guten Kipppunkt erreicht habe, an dem ich wieder weniger Freizeit haben wollte, musste ich erstmal meine Arbeitsbereiche updaten. Und das bedeutet in diesem Fall: Reduzieren.

Mein Schreibtisch hatte Ausstattung für sechs bis sieben verschiedene Tätigkeiten immer aufgebaut. Die Folge daraus, ich habe davon fast nichts mehr gemacht. Ich brauchte ihn so, dass er erstmal nur nach einer Tätigkeit aussieht. Also mussten Sachen weg. Ähnlich ist es in anderen Bereichen auch. Um etwas anderes zu machen als immer am Handy zu hängen, mag ich erstmal die Flächen und Zeiten reduzieren, die ich mit dem Handy habe. Also liegt es jetzt an schlecht zugänglichen Orten, wenn ich es gerade eigentlich nicht brauche und nutzen will. Durch die gewonnende Zeit und die Lücken die entstehen, mache ich dann irgendwann schon automatisch etwas anderes und vorraussichtlich nützliches.

James Clear empfiehlt als eine von vielen Strategien auch zu versuchen erstmal nur eine Kleinigkeit zu verändern. Weil eine Sammlung von Kleinigkeiten kann am Ende den ganzen Unterschied ausmachen. Und eine ganz kleine Veränderung kann auch sein, wenn ich etwas weglasse. Wenn ich etwas erstmal ausschneide. Und das mache ich jetzt auch mit den dusseligen Getränken. Wege finden, sie an vielen Stellen zu reduzieren, zum Beispiel dadurch, dass ich weniger die Aktivitäten mache, bei denen ich sie begleitend verwende.

War auch zum Beispiel meine Strategie, als ich meinen Alkoholkonsum massiv runter gestellt habe. Ich bin nicht mehr an die Orte gegangen, wo es ihn gibt. Bis ich sicher hatte, dass ich ihn nicht brauchte (das ging schnell). Also: Wenn ihr etwas ändern wollt, dann schaut, auch über Eck, was ihr verändern könnt, damit sich schon eine Kleinigkeit verändert. Und das muss nicht immer unmittelbar mit dem Problem zu tun haben, das ihr angreifen wollt.

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