was mensch so beim heilen lernt
Das ist kein fachlicher Artikel. Und ich teile das, zum einen weil ich offen sein möchte - mit einer anonymen Leser*innenschaft im Internet, lol - zum anderen aber auch, weil ich glaube, dass es für Künstler*innen im besonderen eine wichtige Aufgabe ist mit sich und ihrer Seele zu arbeiten. Und da hatte ich einiges nachzuholen. Trauma, fehlende Diagnosen, fehlende Outings, Arbeit mit eigenen Grenzen, entlernen problematischer Schemata, erlernen positiver Schemata, ein Verändern der eigene Erzählung über sich selbst im eigenen Denken. Eigentlich könnte ich diese Liste noch um einige weitere Punkte ergänzen. Würde ich sie mit den Details ausfüllen, was das alles für mich bedeutet hat, dann wäre das am Ende ein Buch und eine große Aufgabe für mich. Eine der ich mich vielleicht auch irgendwann stelle, mal sehen. Dafür muss ich auch noch weitere Sachen an mir bearbeiten und verstehen.
Es gibt diese Geschichte rund um Theseus' Schiff. Ein Schiff das im Museum steht und die Bretter wurden morsch. Also wurden diese ersetzt um das Schiff zu erhalten. Aber irgendwann ist keines der Bretter mehr eines der originalen, also steht die Frage im Raum, ob es es jetzt noch Theseus Schiff ist. Der Blick aufs Material sagt nein, mein Blick auf die Biografie des Schiffes sagt ja. Das Schiff ist ein unbelebter Gegenstand, ich nicht. Trauma und anderes psychisches Leid heilen ist ganz ähnlich wie Reperaturen und Restauration. Das was Schaden verursacht muss weg, das was von früher noch gut ist sollte bleiben. Weil Menschen aber eben nicht nur eine physikalische Ebene haben, kommt es zu Störungen. Nämlich die, wenn ich weiß, dass etwas aus meiner Vergangenheit echt ist, eine Erinnerung, ein Ereignis, ein Artefakt, ein Brief, eine Geschichte, eine Nachricht. Ich würde sie aber heute nie wieder so machen, so schreiben und dann sagt meine Erinnerung "Ja, das stimmt" und meine Wahrnehmung sagt "Wie kann das nur echt sein, wir würden sowas doch nie mehr machen." Und der Weg den wir dazwischen gegangen sind, der ist so abstrakt, den können wir auch nicht versachlichen.
Viele sprechen davon, dass ihr Trauma geheilt ist. Manchmal wenn Therapie vorbei ist. Ich glaube für mich, das funktioniert so nicht. Das Trauma ist passiert, daran lässt sich nichts mehr ändern. Aber es geht nicht weg wenn ich den Schmerz rausziehe und die Stelle in meiner Seele davor schütze sich nochmal zu verletzten. Es bleibt für immer. Und es wird nie fertig geheilt sein. Es wird für immer heilen. Denn dein System erinnert sich an die Verletzung. Und auch wenn sie nicht mehr schmerzt, sie wird erst weggehen, wenn wir weggehen.
Durch Therapie und das Heilen, irgendwann hat mensch die gesamte alte Person dekonstruiert und auseinandere gebaut. Wie eine Explosionszeichnung liegen wir dann da. Und dann werden alle Teile ausgetauscht und es wieder zusammengebaut. Wir sind nie wieder die alte Person. Aber wir sind immer noch die selbe Person. So wie vorher, aber genau anders. Und dadurch entsteht eine Störung und das wird immer wieder verletzen und das muss immer wieder heilen.
Künstler*innen müssen sich immer wieder betrachten, ihre Kunst immer wieder machen. Mit jedem neuen Werk bauen wir etwas ab, was wir vorher mal gemacht haben und bauen etwas neues darauf. Irgendwann ist eine alte Version von uns nicht mehr da. Aber eine neue. Es kommt aus unseren Fingern, unserem Kopf, unserer Erfahrung und unserem Lernen. Und dann direkt danasch schon, sind wir jemand anders. Weil vorher waren wir noch "Jan, der dieses Gedicht nicht schreiben kann", danach aber "Jan, der dieses Gedicht geschrieben hat" und die widersprechen sich. Und das müssen wir immer wieder heilen. Immer wieder. Es wird nicht aufhören. Und das, das ist anstrengend. Und befreiend.
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