Masken
Als ich von der Bühne gehe, merke ich das Jucken am Kinn. Die Moderation ist vorbei, der Abend ist gut gelaufen, die Auftretenden haben uns tolle Kunst geschenkt, das Publikum hat Energie und Zeit angeboten. Vielleicht ist alles nach Plan gelaufen. Auf den ersten Schritten gratuliere ich noch jemandem zum gelungenen Auftritt, gebe vielleicht jemand anderem noch Feedback fürs nächste Mal. Vielleicht spricht mich nochmal jemand aus dem Publikum an und hat eine Frage oder möchte noch einen Moment vom Abend um einen Witz oder eine geteilte Emotion verlängern. Dann zieht es mir wieder ein wenig am Kinn.
Als ich dann noch mit dem Team über Details spreche öffne ich die Knoten langsam auf der Rückseite meines Kopfes. Der Druck und das Ziehen am Kinn wird leichter. Die anderen sehen das nicht, da ich nicht wirklich meine Hände benutze. Vielleicht sitze ich dann noch mit den anderen in einem Restaurant, die Maske bleibt auch da erstmal noch auf. Vielleicht fahre ich dann mit dem Zug heim, wenn ich das alleine mache, dann kann es sein, dass ich die Maske abnehmen kann. Aber ich halte sie griffbereit, falls doch überraschend nochmal jemand auftaucht. Ist schon passiert. Erst wenn ich Zuhause bin, manchmal sogar erst nach einem Weilchen auf dem Sofa, lege ich sie wieder ganz ab. Ich reiche sie einem Anteil in meinem Inneren, er soll sie gut verwalten, pflegen und schauen ob sie irgendwie verbessert werden muss. Aber das passiert nicht mehr vordergründig. Meist bin ich da in irgendeinem gleichförmigen Videospiel und verarbeite die Eindrücke des Abends.
"Masking" ist ein Begriff für eine bewusste und unterbewusste Methode von neurodivergenten Menschen. Dabei werden Verhaltensweisen unterdrückt, die unter Umständen von neurotypischen Menschen nicht anerkannt werden würden, um selbst möglichst sozialkompatibel auszusehen. Und auch wenn ich auf diese Art der Maskierung nicht hinaus möchte mit dem Bild meiner Maske, ist auch das nicht ganz weit weg.
Ein paar Tage nach unserem Event oder auch beim nächsten Termin spricht mich jemand an. Ein normales harmloses Gespräch, manchmal wurde ich schon auf eine Cola eingeladen, manchmal haben Menschen Thesen über mich als Person in ihren Aussagen durchscheinen lassen. Ich bin dann oft irritiert davon, wie die Leute zu diesen Schlüssen kommen. Weil die Maske unsichtbar ist und dann wenn ich sie brauche, wird sie im besten Fall zur zweiten Haut. Trotzdem ist der Mensch der ich auf der Bühne bin, aber die Person die ich zuhause bin, zwar der selbe Körper, die selbe Seele, aber trotzdem bin ich auf der Bühne und auch daneben nicht die ganze Zeit mein ganzes Ich.
Rollen müssen wir immer wieder einnehmen. Auf der Arbeit, in der Familie, in Freundschaften, beim Sport, überall. Das kann uns unterschiedlich gut gelingen, besonders wenn sich Rollen vermischen. Oder wir zum Beispiel auch neurodivergent sind, uns in unterschiedlichen Kulturen und Subkulturen bewegen, oder auch Verletzungen in unserer Seele mit uns herumtragen. Eine Maske, die erkennbar macht, das wir gerade in einer Rolle sind, die ist da hilfreich. Und sie kann viele Formen haben. So kann ein bestimmtes Outfit auf der Bühne, aber ein anderen vor und nach dem Auftritt schon helfen eine Differenzierung zu schaffen. Auch für sich selbst. Denn diese Differenzierung kann auch gut dosiert etwas besonderes schaffen.
Im Wrestling wird oft davon gesprochen, dass es darum geht Charaktere zu erschaffen, die "größer als das Leben" sind. Das bedeutet eben, dass diese Figuren mehr können, als ein normaler Mensch könnte. Während sie aber von einem normalen Menschen gespielt werden. Viele dieser Figuren würden auch an normalen Aufgaben im Alltag scheitern. Manchmal ist das sogar Thema von witzigen Geschichten und Momenten in Shows. Eine Figur wie der Undertaker zeigt das besonders: Ein Untoter Totengräber der obwohl er fast besiegt ist wie Frankensteins Monster vom Blitz belebt plötzlich wieder aufstehen kann. Auch PCO, ein Wrestler der einen Cyborg spielt und deshalb als unzerstörbar gilt nutzt so ein Gimmick. Dass der Performer hinter dem Gimmick trotzdem auch schon Verletzungen hatte und Urlaub brauchte ist klar. Aber in dem Moment wo er sich "maskiert" ist das egal. Er kann größer werden, als er selbst gerade ist. Denn gleich ist er nicht er selbst, sondern eben das mystische Wesen.
Egal ob laut oder leise, egal ob sichtbar oder unsichtbar: Es braucht ein Bewusstsein und eine Akzeptanz dafür, wenn Menschen eine soziale oder Rollen-Maske aufsetzen wollen oder müssen, um sich wohl fühlen zu können. Es braucht eine Klarheit, dass ich nicht bin wer ich auf der Bühne bin, aber Teile von mir das auf der Bühne sind. Es ist mein Alter Ego, aber du kennst mich nicht, wenn du mich dort gesehen hast. Du weißt nichts über mich. Du weißt nicht wie gerne ich eigentlich schweige und alleine bin, wenn du gesehen hast wie ich mich mit Freude für mehrere Hundert Menschen zum Zeremonienkasper gemacht habe. Denn das war nicht ich. Das war Jay Nightwind.
Übrigens: Auch ein Bandname, der Name eines Kollektives, einer Firma, einer Gruppe, eines Teams, kann eine Maske sein. Denn es verwäscht die Identitäten der einzelnen Beteiligten.
🎭 Legitim. Finde aber gut, wenn es so deutlich auch kommuniziert wird. Das hilft, klare Grenzen zu vereinbaren und zu sehen, wo sie verlaufen.
AntwortenLöschenEs deutlich kommunizieren dass es eine Maske ist verändert und nimmt oft leider auch die Wirkung der Maske. Um klare Grenzen zu vereinbaren muss mensch über die aktuellen Grenzen reden, nicht über die Maske oder schützende Rolle.
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