Die Überraschung über die Überraschung

Mich überrascht es. Mich überrascht es, dass Menschen überrascht sind. Die sind dann offen im Internet überrascht, dass ein*e Künstler*in in der Kritik steht, weil vielleicht etwas problematisches gesagt wurde. Oder etwas problematisches getan wurde. Oder noch gar nicht verstanden wurde, was denn jetzt eigentlich passiert ist, aber dann sind da die Gerüchte im Raum. Wie zum Beispiel gerade bei Emily Armstrong von der neusten Version von Linkin Park. Da gibt es verschiedene Diskussionen gleichzeitig, in die ich inhaltlich nicht rein gehen mag hier, auch wenn ich sie alle relevant finde. Es gibt aber noch viele andere Stars. Und dann gibt es aber auch diese Stars, denen nachgesagt wird, dass sie ein "National Treasure" sind und sich nie etwas zu schulden kommen lassen würden. Und wenn es dann doch passiert, dann sind die Leute überrascht.

Ich versuche in mir den Glauben immer wieder aktiv zu halten, dass der Mensch, jeder Mensch, in sich "gut" ist. Ich möchte daran glauben, dass niemand von sich oder aus sich heraus etwas tun möchte, was anderen schadet. Darauf gibt es sehr viele Hinweise in der Psychologie, in der Untersuchung vom Verhalten von Kindern, in der Tierwelt sogar auch, in der Soziologie und ehrlich gesagt halt auch einfach in (m)einer Seele, wenn ich sie mir anschaue. Aus dem Wrestling habe ich mal den Satz aufgeschnappt: "Das Böse hält sich in seiner Version der Geschichte für das Gute." und auch das finde ich einen Gedanken der darauf hinweist. Da möchte jemand etwas Gutes tun, ist aber falsch über die Welt und sich informiert.

Wenn wir uns die Vorurteile über Künstler*innen anschauen, dann gibt es besonders prominent das Bild, das tolle Kunst oft aus einem Leiden heraus entsteht. Sich quälende Dichter*innen, die psychischkranken Maler*innen, die Süchtigen in der Kunst. Vielleicht sind euch beim Lesen sogar Namen von berühmten Personen eingefallen, auf die das zutrifft. So ein Klischee kommt natürlich oft auch wo her und selten ist das Klischee ganz falsch, häufig aber die Herleitung wie es entstanden ist. Denn auch wenn Künstler*innen immer mal wieder Menschen mit herausfordernden Biografien sind - wenn ich alleine schon auf mein Umfeld schaue, meine Güte - machen sie ihre Kunst doch meist dann, wenn sie nicht in ihrem Schmerz und Leid sind, sondern wenn sie versuchen ihren Schmerz, ihr Trauma, ihr Leiden zu bearbeiten und zu verändern. Weil im Leid und Schmerz ist es schwer etwas schönes zu tun.

Nehmen wir dieses Bild mal als wahr mit: Künstler*innen sind verletzte Seelen, haben schwierige Biografien, herausfordernde Herkünfte, sind gesellschaftlich aufgrund ihrer Merkmale benachteiligt. Und dann gibt es eben welche, die sehr berühmt und - durch ihre Kunst - sehr beliebt werden. Fans kennen nie die echte vollständige private Person, sonst wären sie auch nicht Fans sondern Freund*innen und Familie. Und selbst die wissen ehrlichgesagt auch nicht immer alles. Aber Fans als solche sehen einen Teilausschnitt den sie als Grundlage nehmen auf den restlichen Menschen zu schließen. Und dann sind sie überrascht, wenn eine*r ihrer Held*innen "Scheiße baut" und nicht den absoluten moralischen Höchstmaßstäben entspricht. Und da gibt es natürlich Abstufungen. Als zum Beispiel mal in der Zeitung ein Blitzerfoto von Mark Foster war - keiner meiner Helden - da war mir das recht egal, weil erstmal überhaupt niemand zu Schaden gekommen war. Und wenn auch das Potential dafür da war, dass jemand zu schaden kommt, ist es eben nicht passiert. Kein Grund ihn nicht mehr als einen der "Guten" zu sehen. Keine Sorge, ich weiß nichts über Mark Foster, er ist nur ein Beispiel.

Wer in einer schmerzhaften Biografie steckt, kommt häufig auch zu falschen Schlüssen für sich. Das ist die Stelle wo für viele Menschen Therapie ins Spiel kommt. Wer Trauma in seiner Biografie hat, egal ob berühmt oder nicht, wird für und gegen sich und andere vermutlich Dinge tun, die schädlich sind in irgendeiner Form. Wenn das alles unbehandelt und unbearbeitet ist, ist dieses Risiko besonders hoch. Wenn du weiter in einem Umfeld deiner Biografie bleiben musst, dass dir vielleicht schadet, dann wird es noch schwerer die Schemata abzulegen. Der Rapper Logic sagt in einem Interview, dass er froh war, dass er seine Familie irgendwann verlassen konnte, weil er sicher ist, dass es sein Leben geschützt hat und er dann erst anfangen konnte zu heilen. Wer anfängt über Suchterkrankungen nachzulesen, wird herausfinden dass oft empfohlen wird das aktuelle Umfeld erstmal zu verlassen. Deshalb die Rehaklinik woanders. Deshalb manchmal erstmal umziehen. Denn im selben Umfeld mit den selben Leuten die vielleicht Teil der Probleme ist etwas neues machen ist schwer. Als jemand der Selbst erst einige für mich schädlich Verbindungen los werden musste und leider auch aus meiner geliebten Heimatstadt wegziehen musste, kann ich das verstehen. Ich bin froh, dass ich meinen Standort gewechselt und damit Bedingungen und Begegnungen verändern und verringern konnte.

Dass Künstler*innen, die möglicherweise ein schwieriges Leben haben und/oder hatten, auch wenn sie berühmt sind, sich möglicherweise schwierig verhalten, dass finde ich nicht überraschend. Für mich ergibt es Sinn. Was ich verstehe, dass wir durch die Gesellschaftsform in der wir leben den Wunsch haben, dass Ruhm und Erfolg die Probleme löst und uns zu den Guten macht. Weil das bestätigt uns ja darin nach Ruhm und Erfolg zu streben. Aber egal in welchem Job, wenn wir uns nicht mit unserer Biografie auseinander setzen und herausfinden wie verletzt wir vielleicht sind, welchen Fehlglauben wir anfällig sind, welche Mangel in uns und unserer Biografie uns antreibt, werden wir sehr sicher immer mal wieder Spuren von Verhalten zeigen, das problematisch ist und das auch über uns hinaus Menschen schadet. Anstatt in der Überraschung wenn wir es merken zu verharren oder schlimmer noch es dann zu verdrängen, müssen wir damit, mit uns und dem Umfeld dann Arbeit machen. Egal wie berühmt und erfolgreich wir sind. Und das würde ich dann gerne mehr in den Medien lesen und die freudige Überraschung darüber mitnehmen.

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