Breite und Tiefe - und vielleicht Höhe
Seit über Zehn Jahren veranstalte ich Poetry Slam in Essen, gemeinschaftlich mit einem sich immer wieder verändernden Team. Bei unserem Poetry Slam höre ich an einem üblichen Abend auch als Veranstalter vor Ort auf jeden Fall so Zwölf Texte pro Abend von meist Acht Teilnehmenden. Irgendwann haben wir eine zweite Veranstaltung in jedem Monat dazu genommen, also sind es mindestens 24 Texte pro Monat von etwas Sechszehn Künstler*innen. Als ich noch selbst auf Slams gefahren bin als Teilnehmer, sind diese Abende auch noch oben drauf gekommen. Dann haben sich manche Texte für einen selbst zwar auch wiederholt, aber eigentlich hat Mensch immer noch neue Leute und neue Texte gehört.
Durch die Menge der Texte und da ich mir auch immer irgendwie Notizen mache, entsteht irgendwann so etwas wie ein Gefühl für allgemeine Trends, aber auch ein Bild davon, was einzelne Poet*innen so textlich anbieten auf der Bühne. Es entsteht eine Idee vom aktuellen Gesamtwerk der Person.
Nach Poetry Slam Abenden reden ich eigentlich immer mit Menschen darüber wie es war. In meinem Umfeld sind Leute, die sich auch für diese Trends interessieren, aber auch wissen wollen wie so ein Abend so war. Wir reden über die Tendenzen und Trends, aber auch über Innovationen die passiert sind, gerne auch über Poet*innen die etwas gemacht haben, was wir spannend fanden, uns berührt und bewegt hat. Wir reden aber auch über die Dramaturgie des Abends.
Denn neben dem Gesamtwerk der Künstler*innen entsteht auch jeden Abend eine Sammlung. Wenn mensch so will ist ein Poetry Slam ja eine gemischte Ausstehlung für Spoken Word Stücke. Und in dieser lassen sich auch die Texte und Abende vergleichen. Die "Dramaturgie des Abends" ist dabei für mich immer auch die Beobachtung, wie die Texte im Verhältnis zueinander wirken. Manchmal bietet ein Abend Konflikte in Inhalten an, manchmal Konflikte fürs abstimmende Publikum, weil die Texte so schwer fair zu vergleichen sind. Manchmal sind die Spannungen im Abend die unterschiedlichen Gefühle die stark angesprochen werden. Es entsteht über den Abend ein Narrativ, es entstehen mehrere Akte wenn mensch so will und manches löst sich auch wieder auf.
Wenn ich zur Zeit auf unsere Veranstaltungen gucke und ich diese Sachen analysiere, dann würde ich mit manchmal wünschen, das die Künstler*innen breiter aufgestellt wären. Aber als ich das in einem Gespräch mit einer befreundeten Person formuliere, merke ich, dass dir niemand erklärt was das bedeutet wenn du anfängst Kunst zu machen oder auf Bühnen zu performen. Diese Breite oder auch im Englischen gerne mal "Range" genannt, was ist das überhaupt und wie bekomme ich die? Versuchen wir es mit einem Tool, das auch für andere kreative funktionieren kann.
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Du brauchst Stift und Papier und einen groben Überblick über deine bisherigen Werke. Dann noch ein wenig Zeit, wobei du dieses Tool auch immer mal wieder verwenden kannst.
Schreib in die Mitte deines Papiers bitte das Thema deines letzen Werkes. Rund herum wirst du Platz brauchen. Stell dir von deinem Wort ausgehend eine Achse in die Breite vor. Wenn du jetzt an deine anderen Werke denkst, dann schreibe das erste, dass ein ganz anderes Thema hat daneben. Sollte dir aber eines einfallen, dass das gleiche Thema oder das gleiche Oberthema hat, dann schreib es darunter. Alle verschiedenen Themen die wir bearbeiten, sind also unsere Breite. Alles was wir zur selben Sache gemacht haben, ist unsere Tiefe.
Nehmen wir als Beispiel mal an, dass mein letztes Werk Bananen als Thema hatte. Jetzt würde ich meinen Text über Äpfel darunter schreiben, denn es ist auch Obst. Und auch den über Melonen. Vielleicht habe ich auch einen Text über Gurken und einen über Tomaten, dann würde ich merken, dass das Oberthema vielleicht Lebensmittel sind, und ich darin aber Unterthemen habe.
Ich habe aber auch ein Werk geschaffen, wo es um das Weltall geht. Das Weltall bekomme ich weder in die Kategorie Obst oder Lebensmittel. Also muss es ein eigener Bereich sein und kommt daneben. Ich habe nur genau ein Werk das Weltall als Thema hat, also bleibt es erstmal alleine stehen.
Wenn mich aktuell nicht Themen sondern Techniken bewegen oder Ziele, dann kann ich auch diese als Basis nehmen. Eine meiner Techniken ist Lyrik. Alle Werke die diese Technik nutzen schreibe ich darunter. Aber ich habe auch Essays geschrieben. Die bekommen daneben eine eigene Kategorie. Aber ich zeichne auch Bilder, das kommt dann auch daneben.
Bei meinen Zielen geht es mir darum auf den Umweltschutz aufmerksam zu machen. Wieviele Werke habe ich dazu? Ich schreibe sie alle untereinander. Ich möchte aber auch, dass die Menschen sich in ihrer Gemeinschaft beteiligen. Ein anderes Ziel, nicht zwingend getrennt für mich vom Klimawandel, aber ich kann Leute für Gemeinschaft aktivieren auch ohne über Umweltschutz zu sprechen. Also ist es ein eigener Bereich.
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In meiner Übersetzung ist Breite die Diversität die wir in unseren Werken mitbringen. Ich finde das Bild der Breite da gut, weil wir auf einer Breiten Achse eine gute Beweglichkeit darstellen können. Ich gehe zur Seite wenn mir etwas im Weg ist. Wenn ich breitaufgestellt bin, dann kann ich auf viele verschiedene Dinge reagieren.
Tiefe hingegen verankert uns zwar an einem Punkt, aber gibt uns dort einen festen Stand. Wir wissen zu einem Thema sehr viele Details und können viel und lang dazu uns ausdrücken und austauschen. Das können auch unsere eigenen Erfahrungen mit uns oder einem Erlebnis sein, aber eben auch Fachthemen. Wir können uns lang darin aufhalten und stehen sicher an unserem Punkt.
In alltäglichem Sprachgebrauch sehen wir diese Übersetzungen der Begriffe auch ähnlich. Jemand der "breit aufgestellt ist", hat viele Optionen. Jemand der in die Tiefe geht, sieht und kennt viele Aspekte und Details zur selben Sache.
Kehre ich zurück zu meinem Wunsch und Beobachtung zur Zeit für Spoken Word in Essen, dann würde ich mir wünschen, dass die einzelnen Poet*innen breiter aufgestellt wären. Viele haben eine beeindruckende Tiefe, aber wenn ein Thema in der Dramaturgie des Abends schon ausgereizt ist, dann haben sie keine Optionen auf ein anderes Thema zu wechseln oder einen so diversen Aspekt anzubieten, eine ganz andere Technik oder Herangehensweise zum Beispiel, dass es sich dann trotz neuem Text manchmal nicht frisch anfühlt. Und Newcomer*innen müssen das auch nicht haben und nicht können erstmal. Aber wer sich entwickeln mag, kann eben mit so einem Tool schauen, wo vielleicht Raum für neues ist. Mag ich eine Technik mit einem weiteren Werk vertiefen? Mag ich mehr Themen abdecken? Kann ich auch andere Ziele meines Aktivismus mit meiner Kunst umsetzen?
Beim Erdenken des Tools habe ich mich, weil Höhe-Breite-Tiefe auch feste Werte im Handwerk sind, zum Beispiel für Möbel, gefragt was in diesem Tool auch noch die Höhe sein könnte. Und ich habe für mich selbst keine eindeutige Anwort gefunden. Vielleicht ist es eben, wenn wir Thema, Technik und Diversität gleichzeitig betrachten. Wenn unsere Beobachtung und Analyse noch mehr Dimensionen bekommt. Vielleicht ist es aber auch, wo wir unsere Kunst schon veröffentlicht haben. Ich habe ein Werk über Bananen, aber es war bisher nur auf der Bühne, kann ich es noch sichtbarer machen, wofür Höhe ja ein guter Wert ist, in dem ich es auch in Social Media teile? In einem Magazin abdrucken lasse? Einen Sticker daraus mache? Was die Höhe ist, darüber werde ich noch nachdenken, gerne mit euch zusammen.
Das gute an so einem Tool ist aber, dass es anpassbar ist. Quasi wie ein Zollstock. Wir können damit sehr vieles Messen, je nachdem, wie wir es ansetzen.
Was denkt ihr? Was könnte die Höhe sein?
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