Ein kleiner Teil des Traums

Oder: Warum ich mir die Oscars live anschaue


Es gab eine Zeit, in der ich mich sehr intensiv mit dem Filmemachen beschäftigt habe. Insbesondere dem Handwerk der Regie. Ich las unzählige Bücher über Kameraführung, Produktionsdesign, Spezial Effekte und das Drehbuchschreiben – durfte Praktika beim Fernsehen, Theater und letztlich dann auch beim Film in diversen Funktionen absolvieren. Und mit all diesem Wissen versuchte ich mich auch selbst an einigen Filmwerken. Es war eine Zeit, in der ich träumte – und mein Umfeld gleich mit. 

Einige Menschen glaubten tatsächlich daran, ich könnte (Film)Regisseur werden – zumeist direkte Verwandte oder die besten Freunde, eine, zugegeben, nicht sehr repräsentative oder auch glaubhafte Schar an Menschen, die mir Mut zusprachen, mein Ziel zu verfolgen. Ein Blick in meine Abizeitung, in der jeder meines Jahrgangs unseres Gymnasiums eine von Freunden und Mitschülern verfasste Beschreibung erhielt, erinnert mich stets daran, wenn darin eine Zukunft beschrieben wird, in der ich zum erfolgreichen Regisseur aufgestiegen bin. 

Auch meine Mutter ließ sich aus eigenem Antrieb heraus von der Materie Film begeistern und konfrontierte mich eines abends sogar mit der Aussage: „Der Clint Eastwood nimmt seine über achtzigjährige Mutter mit zur Verleihung. Nimmst du mich dann später auch mit?“ Es war in diesem einen Moment weniger eine Frage als vielmehr eine Feststellung. 

Überhaupt der Oscar: Natürlich begann auch ich in all der Überschwänglichkeit ob der ersten, rückblickend jedoch sehr hervorsehbaren, Erfolge meiner Filmwerke darüber zu sinnieren, wie es wäre, dort auf der Bühne zu stehen und einen Filmpreis zu erhalten. 

Von all dieser Zeit geblieben ist die Freude darüber, wie in diesem Jahr endlich mal wieder live eine Oscarverleihung verfolgen zu können. Eigentlich ist es vollkommen unnötig, sich die Nacht um die Ohren zu hauen, um einer von unzähligen Werbepausen unterbrochenen Preisverleihung zu folgen, die selten weder wirklich witzig noch berührend ist. Und dennoch: Durch die Partizipation der Übertragung am Fernseher rutsche ich wieder in diese damalige Begeisterung für das Medium Film, fühle mich so, als wäre ich mit den Stars per Du, als ob die Möglichkeit bestünde, mit ihnen einen eigenen Film zu drehen. Ich philosophiere seltener darüber, wer möglicherweise gewinnt, auch wenn meine Mutter mich bis heute regelmäßig zu Rate zieht: „Du weißt doch so viel darüber.“ Theoretisch, ja.

Für mich sind aber nicht die populärsten Preise für den besten Film oder die Schauspieler die interessantesten. Der Regiepreis hat für mich eine viel höhere Bedeutung. Hier gewinnen die Menschen, denen ich einst nachstrebte, deren Arbeit ich am ehesten nachvollziehen kann – an deren Stelle ich mich selbst gerne hinträume. 

Dann sitze ich mitten in der Nacht dort traditionell mit meiner Tasse Milch und Nutellaschnitten und warte auf die großen Momente – die dann doch nie kommen. Freue mich trotzdem über dieses Familientreffen der Filmschaffenden, bin zuweilen empört oder hocherfreut über die Verteilung der Preise. Ich missbrauche gar den Nachtwind-Twitterkanal dazu, einen bei der Verleihung geschossenen Selfie zu teilen, der wie ein Familienportrait wirkt und dafür sorgt, Twitter in die Knie zu zwingen, und mich kurzzeitig so zu fühlen, als könnte auch ich Anteil am Glamour und der Strahlkraft haben, die die Filmbranche trotz aller Kritik immer noch hat und mit Sicherheit stets haben wird.

Mich fasziniert diese Branche – ich liebe sie sogar. Und wenn ich sehe, dass ich doch immer noch winzige Filmchen mache, es mir erstaunlich viel Freude bereitet, und sie ihren „Zweck“ der Unterhaltung des Publikums erfüllen, dann, ja dann glaube ich sogar ernsthaft wieder, ich sei ein kleiner Teil dieses Traums.

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