ein ja zu etwas anderem
Ich lese Betty Martins Buch "The Art of receiving and giving". Ein Aussage darin die mich sehr ins Denken gebracht hat ist "a no is a yes to something else". Das klingt im ersten Moment sehr schwer, weil wir in einer Welt leben, wo viele Menschen ein "nein" gar nicht akzeptieren und wir deshalb "nein heißt nein" als Aussage immer wieder unterstreichen müssen. Betty Martin will diesen Satz auch gar mich aufweichen. Auch sie erklärt und betont, dass ein nein als solches und in seinem Moment unumstößlich sein muss.
Ihr Satz hat aber eine andere Richtung in seiner Tiefe. Denn was sie sagen möchte, dass ein "Nein" eben nicht nur Ablehnung bedeutet. Im Zweifel, wenn wir nein zu etwas sagen, was jemand vorschlägt, dann lohnt es sich zu sehen, dass wir dabei zu uns selbst ja sagen. Der Auftritt den wir ablehnen, das tun wir auch, weil wir die Zeit lieber in Ruhe verbringen und etwas lesen wollen. Die Nähe die wir ablehnen, erlaubt uns unseren Körper wie er jetzt gerade ist für sich gut zu fühlen. Die Aktivität zu der wir nein sagen, kann ein ja dazu sein noch weiter zu besprechen was wir machen wollen.
Wichtig ist eben, dass das Nein respektiert ist und auch deutlich erkennbar ist. Wichtig ist Betty Martin aber auch, dass wenn es kein "Hell yeah!" in uns ist, wir es vielleicht auch nicht machen sollten. Natürlich können wir auch, wenn wir gefragt werden etwas geben, dass uns nicht viel bedeutet, aber dann sollte das "Hell yeah!" für die Frage sein, ob wir damit okay sind es zu geben und das akzeptieren können. Zum Beispiel wenn uns jemand seinen Frust ablassen will. Hätten wir uns nicht gewünscht, können wir aber akzeptieren.
Wir müssen halt suchen, wozu wir Ja sagen wollen würden, wenn wir nein sagen. Und wir müssen das Gespräch mit der Geduld führen, auf das "Hell yeah" zu warten.
Afaik kann aber Ja sagen, ohne abzusprechen, dass es kein HELL Yeah, sondern eher ein "Joa, brauche ich für mich nicht. Kannst du aber trotzdem bekommen." ist, dann auch Probleme machen, weil keine klare Grenze da ist, oder? Kenne nur das Modell und das Buch nicht. Aber da klopft für mich eine Reihe möglicher Probleme an, die in den Schattenseiten liegen. Wenn es eben nur einer Beteiligten Partei klar ist und es nicht deutlich besprochen wird. Dann ist der Konsens-Rahmen unklar, oder? Spannend, auf jeden Fall, da genauer noch mal hinzugucken.
AntwortenLöschenWas ist "afaik"?
LöschenNaja, wenn wir nach einem "Hell yeah" suchen, dann müssen wir natürlich mit uns selbst und anderen dann auch aufrichtig sein. Oder wir müssen aufrichtig sein, wenn es etwas ist, was wir geben können, uns selbst aber gerade nichts gibt. Es gibt ja den Bereich des "Wheels of Consent" in dem wir nichts bekommen, aber bereit sind etwas zu tun. Aber auch da braucht es Übung das klar zu haben und zu benennen.
Was sind die Schattenseiten?
Afaik = As far as I know
LöschenSo wie ich das Modell kenne, gibt es eben nicht nur diese 4 Felder innerhalb des Wheel of Consent, sondern auch jeweils noch eines, das dahinter "im Schatten" liegt. Das beschreibt dann die Probleme, die auftreten, wenn wir uns an diesen vier Felder zwar orientieren, was geben und nehmen betrifft... Aber wenn wir dazu keine klaren Vereinbarungen zwischen den Beteiligten treffen. Dieser Kreis ist dann überhaupt erst der Konsens und ohne diesen Austausch, ist es problematisch. Weil die Grenzen dann eben nicht klar sind. Ich hab mal auf die Schnelle nach einer passenden Abbildung geschaut.
Löschenhttps://lebendigkeit.at/wp-content/uploads/2021/02/wheel-of-consent-deutsch.jpg
Ist das nicht inhaltlich auch Teil des Buches, welches du hier erwähnt hast? Möglicherweise ist es eine Weiterentwicklung? Das ist, wie ich es kenne und ich finde es hilfreich und augenöffnend im Selbstreflektionsprozess.
Ich habe halt gefragt, weil Schattenseiten neben einem Fachbegriff auch ein alltagssprachlicher Begriff ist. Es ist wichtig was damit gemeint ist.
LöschenJa, es gibt die Schattenseiten. Das schließe ich in dem Artikel ja auch nicht aus.
Allright. Nach meinem Dafür halten kam das nicht deutlich raus und ich halte es für den noch größeren Knackpunkt des Modells. Eben nicht nur die 4 Seiten zu verstehen, zu verinnerlichen und anzuwenden. Sondern zu wissen, dass so etwas nicht im Alleingang umgesetzt werden kann und Absprachen benötigt. Ansonsten kann es missbräuchlich genutzt werden, wie auch viele andere gute Modelle und Denkschulen. Deine Formulierung "aufrichtig sein" finde ich da diesbezüglich passend und wertvoll. Da dieser Teil aber über kognitive Leistungen und Lernen hinausgeht und Interaktion benötigt, halte ich ihn für den wichtigeren und auch schwereren Teil. Mit sich selbst aufrichtig zu sein, muss gelernt werden und mit anderen braucht es noch mehr Mut und Übung.
LöschenNaja, das Modell ist ja eine Sichtweise und kein Handlungstool. Alles was an Handlungen darin vorkommt wurde nicht von dem Modell erfunden. Und dadurch ist eben nicht das Modell missbräuchlich nutzbar. Und die Schattenseiten wie sie im Buch beschrieben sind sind halt alles Beschreibungen von Unklarheiten oder Herausforderungen die Auftreten können, wenn Absprachen und Bedürfnisse nicht klar sind. Und das ist ja in sich dann ein Problem, auch unabhängig von der Betrachtungsweise.
LöschenMissbräuchlich genutzt werden kann es meiner Meinung nach aber dennoch. Wenn zB jemand sich auf das Modell beruft, um jemand anderem sein Handeln gegenüber zu rechtfertigen und wichtige Teile dabei wegzulassen und sich in den Schatten zu bewegen. Wenn eine Person dann ein Modell herausholt und es dann nutzt, um der andern Person zu erklären, warum alles prima sei und Konflikte durch Unklarheiten seien Einbildung oder lägen ausschließlich im Feld der anderen Person dann ist das psychisch-emotionaler Missbrauch, in meinen Augen. Und gerade kommunikativ starke Persönlichkeiten können sehr gute Modelle und Kommunikationsschulen eben dazu nutzen, um andere zu verletzen und/oder sich der Verantwortung für ihr eigenes Handeln zu entziehen. GfK ist ja auch so ein Paradebeispiel von Tools und Denkweisen die sehr viel Gutes bewirken können, aber eben auch Missbrauch, wenn es in den falschen Händen landet. Oder eben bei jemandem, der zwar Rechtfertigungen sucht, aber keine Absprachen treffen möchte um die Kontrolle nicht aus der Hand zu geben. So entsteht aber weder Konsens noch Gewaltfreihheit. Da muss dann genauer aufgepasst werden, zu welchen Zwecken jemand solches Wissen einsetzt und ob es zur Ablenkung/Abgrenzung genutzt wird, oder um wirklich in Beziehungen alle Beteiligten mit einzubeziehen und Lösungen zu finden.
LöschenEs sind dann nicht die Denkschulen die so genutzt werden. Es sind problematische Handlungen, aber die Denkschulen bringen schon die Haltung mit, sie ist in ihnen verankert und wer Bausteine daraus anders verwendet, nutzt eben nicht die Denkschule. Denn die Haltung ist Teil der Schule.
LöschenUnd ich glaube dass das eine Frage des Menschenbildes ist. Wenn mensch immer davon ausgeht dass alle alles immer missbräuchlich nutzen können und wollen, dann findet mensch auch diese Probleme in allem, vermute ich.
Möglich, ja. Ist allerdings nicht mein Menschenbild, daher kann ich dazu nicht aus Erfahrung sprechen. Hast du da mehr Einblicke, in diese Denkweise?
AntwortenLöschenIch erlebe eher das Gegenteil dessen, was du da beschreibst. Was aber eben dann das Risiko mit sich bringt, zu lange davon auszugehen, dass die Methoden automatisch auch zur Haltung passen. Positive Vorurteile können eben auch gefährlich sein. Und wenn sich dann über lange Zeiträume immer wieder zeigt, dass es nicht so ist, kommt irgendwann der Punkt, an dem es nicht mehr anders erklärbar ist als mit problematischem Verhalten.
Ausgeprägtes Vertrauen und ein positives Menschenbild sind eben auch Risiken, Missbrauch nicht oder zu spät zu bemerken. Aber ich entscheide mich dennoch dazu, mir diese Eigenschaften nicht nehmen zu lassen. Trotzdem denke ich, diese Tiefe an Zusatzinfos kann deinen Beitrag etwas ergänzen.