Idee - Handlung - Identität

Es ist beim Schreiben, als mir der Gedanke aufkommt. Es ist, als wäre er aus losen Fetzen in mir über das Schreiben in eine feste Form übergegangen. Und das ist auch der Gedanke. Während ich einige meiner Veränderungen der letzten Jahre (durch Therapie, durch Elternschaft, durch einiges anderes) reflektiere, denke ich auch darüber nach, wie sowas überhaupt funktionieren kann. Schnell denke ich an James Clear und seine "atomaren Gewohnheiten", aber eben auch seine deutliche Werbung dafür, mit kleinstmöglichen Handlungen anzufangen und sich von dort aus an einen Punkt zu arbeiten, dass wir verändern wer wir sind. Rick Rubin, Beth Pickens, Austin Kleon, Lynda Barry, Julia Cameron und viele weitere Menschen die sich mit dem Kunstmachen beschäftigen sagen, dass wir in uns schon die Antworten finden können, was wir machen wollen, wenn wir uns trauen uns in Unbekannte und Ungenaue fallen zu lassen. Wenn wir uns trauen aus "The Source", wie es Rubin und Pressfield sagen uns die Impulse zu werfen zu lassen und ihnen zu folgen. 

Mir scheint dann nach und nach, dass es drei Aspekte gibt, die sich zueinander verhalten wie die Aggregatzustände. Gasförmig, flüssig und fest. Keiner von ihnen ist unveränderbar, sie alle können in einander übergehen. Und so scheint es mir in der Kunst und mit uns auch eben in den drei Aspekten von Idee - Handlung und Identität zu sein. Besonders bei letzterem fällt es mir auf, weil ich mit mir und auch von Außen in den letzten Jahren viel auf den Prüfstand und in Frage gestellt habe, was meine Identität ist. Und spannenderweise hat ein Artikel in der Psychologie Heute nämlich auch mal eine Methode vorgestellt, wo wir unser Handeln beobachten sollen um damit Selbstwert und eben auch Identität zu erkennen. Ich habe es hier mal vorgestellt gehabt

Ideen, egal ob für die Kunst oder sonst in unserem Leben sind flüchtig. Wie oft ist uns ein genialer Einfall verloren gegangen, weil wir ihn nicht notiert oder gespeichert haben? Wir konnten ihn nicht festhalten, genau so wie wir mit unseren Händen kaum Gas einfangen und festhalten können. Während in Gas die Atome wenig miteinander verbunden sind und sich sehr frei bewegen, sind auch unsere Ideen und Impulse wild und frei, bewegen sich schnell und stoßen manchmal auf Arten ineinander, die für uns erstmal keinen Sinn ergeben und wenn wir damit nichts machen, sind sie sofort auch wieder auseinander und weg. Wenn wir unsere Ideen verfestigen wollen in einer andere Form bringen, dann müssen wir etwas tun. 

Bei Gasen gibt es Schwellenpunkte ab denen sie sich verflüssigen. Dazu braucht es bestimmte Temperaturwechsel oder das zuführen von anderen Stoffen. Und es braucht oft auch eine Art von Zeit. Wenn wir Ideen in Handlungen umwandeln, dann braucht es auch Energie, Zeit und Material. Egal ob es die Notizenapp am Handy ist, ein Notizbuch, ein Skizzenblock, ein Diktiergerät, das Gespräch mit Kolleg*innen oder Freund*innen oder dem Team, ein Video, der direkt Start unserer Arbeit. Sobald wir anfangen zu handeln, sobald wir die Ideen versuchen festzuhalten, müssen wir ihre Form verändern. Aus unserem abstrakten spirituellen unklaren beweglichen Geist in irgendeine konkrete Form. Passenderweise zu diesem Bild, sind es die Handlungen in den wir einen Flow-Zustand erreichen können. Eine Phase des Arbeitens, wo wir nicht mehr merken, dass wir gerade uns anstrengen, etwas lernen, aktiv sind und etwas erschaffen. Die Phase wo dauerhaft am Rand des Glases die Tropfen hinab laufen, bis wir eine Menge haben, die dichter ist als ein Gas. Die Atome sind näher, weniger beweglich als im abstrakten, aber sie können eben auch schneller wieder zurück geführt werden zu Ideen. Je nachdem welche Handlungen wir machen, schaffen wir auch die Grundlage für neue Ideen. Manchmal auch, wenn wir miteinander Handlungen machen und zusammen uns austauschen. Vielleicht sagen Leute deshalb: "Let them cook!" Weil beim Kochen verdunstet bekannterweise Flüssigkeit zu Gas. Und wenn wir eine Fläche schaffen die dafür passt, wird dieses Gas wieder gefangen und wird wieder flüssig. 

Handeln wir oft und lang genug, genau so, wie wenn wir etwas immer weiter abkühlen oder die passenden Stoffe hinzuführen, reagieren wir in uns drin weiter und es verfestigt sich. Etwas wird unsere Identität. Das kann als Künstler*in bedeuten, dass wir einen Stil definieren. Unsere Art zu schreiben beeinflusst durch das, was wir jeden Tag so schreiben, unsere Art zu performen wird dadurch bestimmt, was wir üben. Wenn wir eben immer eine bestimmte Handlung machen, ist es schwer zu sagen, dass wir nicht diese als Teil unserer Identität tragen. Ich blogge jeden Tag, also bin ich auch ein Schreiber, ein Autor, ein Blogger. So sehr, dass ich es in meine Profile schreiben kann und mir dessen sicher bin. Auch bei anderen Handlungen ist es so. Geh jeden Tag ins Gym und du bist irgendwann Sportler*in oder ein athletischer Typ. Du wirst als solcher Erkannt, deine Ideen, deine Handlungen und deine Identität tragen erkennbar die gleichen Atome. Und das eben in allen Formen. Du denkst an deine Sache, du handelst in deiner Sache, du bist deine Sache. Identität ist natürlich nicht unbeweglich. Denn auch wenn der Aggregatzustand "Fest" das vielleicht andeuten mag, können wir auch feste Stoffe schneiden und Sortieren und einräumen und lagern. Wir können sie aber auch an den Seiten wieder ein wenig schmelzen und dann in eine neue Form bringen. Und das gilt auch für unseren Stil. 

Natürlich ist das nur ein Bild, mir helfen solche Bilder aber sehr. Denn auch wenn ich darauf schaue, dass es zum Beispiel eigentlich noch einen vierten Zustand gibt in der Natur, nämlich das Plasma, aber der nur mit sehr hohen Energien zu erreichen ist, dann kann ich da zum Beispiel sowas wie Transzendenz oder Göttlichkeit sehen, die wir in unserem Leben auch nur sehr selten und unter hohem Aufwand aus unseren Ideen erreichen können. Aber da bin ich mir nicht sicher. Wie auch, so einen Zustand konnte ich bisher nur erahnen, weil es schwer zu erreichen ist. Ähnlich wie aus Stoffen Plasma zu machen. Solche Bilder helfen mir aber auch als Tools wenn ich mit mir selbst unzufrieden bin oder in mir Fragen aufkommen. Bin ich mit meiner Identität unzufrieden, kann ich mich zum Beispiel fragen ob ich bestimmte Handlungen erstmal einstellen sollte. Dann gegen neue ersetzen. Wenn ich nicht weiß was ich tun soll, muss ich mich fragen was für Ideen ich brauche. Damit ich diese Ideen haben kann, muss ich mich die richtigen Stoffe als Grundlage anlegen. Wenn ich gerne als Teil meiner Identität hätte, das ich Maler bin, dann kann ich mich übers Malen informieren und mir Materialien dafür besorgen, damit die Chance steigt dass ich "reagiere" und die passenden Handlungen mache. Und wenn ich sie eben oft genug wiederhole, dann kann es Teil meiner Identität werden. 

In den letzten Zwei Jahren besonders habe ich diese Prozesse so bewusst wie selten zuvor gestaltet. Ich leite das Experiment meines Lebens inzwischen die meiste Zeit. Ich statte das Labor aus. Und ich bin sehr froh darum. Ich habe das nicht alleine geschafft zu erst, aber auch in der Physik und Chemie gibt es ja Reaktionen die Energie brauchen und Reaktionen die Energie frei setzen. So ist es auch mit einem Selbst. Es lohnt sich da zu erforschen, was was ist. Was gibt mir Energie? Was nimmt mir Energie? Was davon bringt mich in die Zustände in die ich kommen möchte mit mir? 

Ich könnte noch ewig an diesem Gedanken weiter schreiben, vielleicht weil ich inzwischen täglich an solchen Themen und Gedanken arbeite. Vermutlich bin ich inzwischen sowas wie ein Philosoph oder sowas. Die Ideen und Handlungen sind da. 

Kommentare

  1. Anonym11.12.24

    Glaubst du, dass es auch ein Problem sein kann, wenn Ideen über Handlungen zu Teilen unserer Identität werden? Das Bild finde ich ansprechend und plausibel. Allerdings denke ich auch daran, dass es zu Konflikten kommen kann, wenn etwsd kritisiert oder hinterfragt wird, was von außen nur eine Idee ist, für uns aber längst ein Teil unserer Identität geworden ist. Da stelle ich es mir gerade schwer vor, den Aggregatzuständen wieder zurück zu wechseln, um wieder "fluide" bzw. flexibler zu werden als es in der festen Form der Identität möglich wäre. Das Bild finde ich dabei hilfreich, um es mir so vorzustellen.

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    1. Es ist immer ein Problem wenn wir unsere Handlungen nicht mit einem gewissen Bewusstsein auffüllen können. Bewusstsein kann dabei viele Formen haben. Haben wir Kontakt zu unseren Bedürfnissen, Gefühlen, Wünschen, Zielen, Rollen, Verantwortungen?

      Das mit der Idee von Außen verstehe ich. Wenn jemand auf mich schaut und dann eine Idee hat, ist die in der Domäne der anderen Person und nicht in meiner. Wenn sie mit mitgeteilt wird kann ich schauen was die Idee macht mit mir.

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