du weißt nicht was das Spiel ist

Während ich meine Morning Pages schreibe, sitzt neben mir auf dem Boden das Kind. Das Kind hat eine Packung Buntstifte und Papier, mit einer Zeitung als Unterlage. Ich nehme war, das der kleine Mensch nicht malt, sondern gerade immer wieder die Stifte aus der Packung fallen lässt, um sie dann wieder einzuräumen. Als ich fertig mit meinem Schreiben bin, werde ich in das Spiel meines Kindes eingebunden. Ich bekomme die Stifteschachtel in die Hand gedrückt, dann ein paar Stifte. Der pädagogische Anteil in mir wir gerade eingreifen und mir sagen, dass ich das Kind motivieren das selbst zu tun, weil ich ja weiß, dass es das kann. Doch der Anteil in mir stoppt sich selbst. Denn vielleicht geht es gerade gar nicht darum, dass die Stifte in die Box kommen, sondern, dass ich involviert bin und das Kind übt mich um Hilfe zu bitten, auch wenn die Worte dafür noch nicht da sind.

Fast alles was Kinder tun ist spielen. Weil Spielen der erste Zugang zum Lernen ist, den wir haben. Ausprobieren, begreifen, imaginieren, all das gehört zum Spielen und führt zu Erkenntnis. Und das gilt in jedem Spiel, egal ob es ein Sport mit sehr fein ausgearbeiteten Regeln ist oder ein spontan ausgedachtes Rollenspiel. Irgendwas lernen oder erkennen wir immer. Über unsere Rollen zueinander, über Charaktereigenschaften. Es kommt immer was durch. Oder auch eine neue Technik, die wir im Spiel anwenden können. Aber das Ding ist: Wir wissen gar nicht was das eigentliche Spiel ist, bis wir spielen.

In den Regeln von Pokern steht bluffen nicht drin. Da stehen Kartenwerte und Reihenfolgen in denen Spielzüge gemacht werden, aber bluffen und die Psychologie hinter dem Spiel, die stehen nicht in den Regeln. Aber wer nur einen Moment an einem Pokertisch sitzt, bekommt mit, dass es eben nicht im Kern um das zufällige Glück geht, das eigentliche Spiel ist eines der Charaktere, der Glaubwürdigkeit und ja, auch ein bisschen Zahlen und Wahrscheinlichkeiten, aber am Ende ist der größte Reiz das Theater des Spiels.

Wir wissen nicht was das Spiel ist, bis wir es spielen.

Kunst ist in vielen Formen auch ein Spiel. Nicht um sonst heißt es Schauspieler*in. Denn auch da ist jedes Auftreten, jeder Take ein anderer und einige treffen den Kern der Rolle besser als andere. Und an manchen Abenden greifen die Spielweisen der Beteiligten besser ineinander als an anderen. Aber nicht nur die performartiven Künste beinhalten das Spiel. Auch die Schreibenden Menschen spielen, nicht um sonst ist die Rede von einem Wortspiel, in gewisserweise machen wir das immer. Denn wir testen immer mal wieder, welche Worte, welche Formulierung an welchen Stellen bessere Wirkung zeigen.

Als Reaktion auf eine Zusammenfassung eines Poetry Slam Abends bei uns in Essen bei der Weststadtstory hat neulich jemand sich auf einen Regelverstoß bezogen, aber die Person die es kommentiert hat, war selbst an dem Abend gar nicht da. Vor Ort hatte jemand mit allen Anwesenden abgesprochen, dass eine Regel des Poetry Slams gebrochen wird. Wenn es nach meiner Denkweise und dem Vergleich mit dem typischen Spieleabend gehen würde, dann würde ich sagen, dass an dem Abend Hausregeln gegelten haben. Und ich würde sagen, dass mensch keine Beschwerden gehabt hätte, wäre mensch da gewesen.

Es lohnt sich zu spielen. Wenn wir selbst etwas entwerfen wohl auch schon früher als wir glauben. Wenn wir noch gestalten. Damit wir schon früh wissen, ob die einzelnen Feature funktionieren und nicht das ganze Spiel nachher gefährdet ist, wenn eine Sache nicht klappt. Denn wir wissen ja gar nicht was das Spiel ist, wenn wir es nicht spielen.

Kommentare

  1. Industrieromantik2.8.24

    Ein Gedanke
    In der Erzieher*innen-Ausbildung gab es den Impuls das Spielen der Kinder als Arbeit einzustufen. Im Sinne von Wertigkeit und Gleichberechtigung zu Erwachsenen. Kann man natürlich entsprechend diskutieren, wie man da zu Arbeit /dem Begriff Arbeit steht. Schien aber ein hilfreicher Impuls in der Betrachtung des Erlebens und Tuns von Kindern zu sein.

    Zweiter Gedanke
    Auf Instagram ist mir der Satz "play is the opposite of survival" begegnet.
    Aus einer Perspektive heraus in der man lang mit überleben zu tun hatte, war das sehr treffend. Heute kommt immer öfter der Gedanke zurück, wie wichtig Spielen für das (Über-)Leben ist.

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    1. Hallo Industrieromantik,
      in meiner Erzieher*innen-Ausbildung kam der Impuls in einer leicht anderen Formulierung auf, die für mich auch aus dem Blickwinkel der Kunst sehr sehr passend ist: Spielen ist das Werk der Kinder. Ich sehe, warum Menschen Werk und Arbeit als Begriffe synonym verwenden könnten, aber Werk trennt es nochmal von all den Aufladungen die Berufe als Arbeit haben für mich. Den Impuls dem Spiel von Kindern einen gleichen Wert wie dem Arbeiten von Erwachsenen zu geben befürworte ich aber sehr. So sehr, dass ich auch denke, Erwachsene sollten auch die Chance bekommen ihr Arbeiten auch wieder spielerisch ausfüllen zu können. Denn oft liegt in so einem Spiel dann auch die Erfindung und aus vielen Erfindungen wiederum ist die Welt einen Hauch besser geworden.

      Das Zitat im zweiten Gedanken finde ich auch sehr spannend und werde ich noch ein bisschen zum Denken mitnehmen. Impulsiv möchte ich dem eigentlich zu stimmen, weil es ja auch viele Quellen gibt (Lernzonenmodell z.B.), die sagen, dass wir unter Angst und Bedrohung nicht gut lernen und verstehen können.

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