Es geht schon vorher los

Wenn ich einen Zeitstrahl von meinem Leben aufzeichne, dann würde ich bei meiner Geburt anfangen und stand jetzt noch nicht enden. Würde ich Ereignisse und Handlungen als Punkte einzeichnen, wäre da wohl eine Menge los. Einige Handlungen und Ereignisse lassen sich aber gar nicht auf einen Punkt reduzieren, weil sie in Kontext mit anderem stehen. Der Zeitstrahl selbst ist ja ein Beweise dafür, weil er geht ja nur weiter, eben weil ich geboren wurde.

Und wenn ich sehr genau werden würde, haben alle Ereignisse in meinem Leben mit meiner Geburt zu tun. Wenn ich also die Ereignisse in ihrer Wirkung eintrage, werde ich wohl jetzt schon Sachen finden, die über mein Leben hinaus wirken werden. Wenn ich Glück habe zum Beispiel dieser Blog. Denn egal wann mein Zeitstrahl endet, die Artikel hier können dann weiterhin gelesen werden. Und ich weiß eben nicht, wer wann in der Zukunft vielleicht hier etwas findet, dem er/sie/they widersprechen möchte oder inspiriert ist.

Ich wirke also weit aus meinem Leben heraus und habe darüber keine größere Kontrolle. Ich weiß auch nicht, wer von meinen Menschen mich vielleicht noch woanders zitiert oder ein Video von mir teilt oder anders einen Inhalt verbreitet und damit meine Zeit auf der Erde in gewisserweise verlängert. Mindestens bin ich für immer Teil der Gesamtheit von allem. Ich habe meine Atome beigetragen zu dem großen Konstrukt der Kunst und Kultur in meiner Region in meiner Lebenszeit. Das wird sich nicht mehr ändern.

Wenn ich das noch genauer machen würde, müsste ich aber auch erkennen, dass Ereignisse vor meinem Leben schon auf mein Leben gewirkt haben. Da sind welche auf persönlicher Ebene, zum Beispiel die Entscheidung meiner Eltern ein Kind zu bekommen, aber da sind auch welche, über weite Generationen. Die Entscheidungen wo wir leben, wie wir leben wollen. Das geht tief in die Geschichte der eigenen Familie, setzt sich bewusst und unterbewusst fort. Da gibt es generationales Trauma zum Beispiel beim Menschen, das eben schon beginnt, bevor wir auf der Welt sind. Da gibt es unseren Wohlstand, Reichtum, Glauben und so vieles mehr. Wir starten nie so wirklich bei Null. Wir starten in einer diffusen unklaren Umgebung aus Einflüssen, die wir nicht alle kontrollieren können. Da wir auch ohne nennenswerte Fertigkeiten auf die Welt kommen, können wir sogar so ziemlich nichts kontrollieren.

Wie immer kommt der Bogen zu unserer Kunst. Denn auch da spielt immer mit ein, was wir davor gemacht haben. Was wir danach damit vor haben. Es wirkt ein, wen wir lesen, wer unsere Vorbilder sind, was wir selbst an Kunst mögen, was uns dazu gebracht hat anzufangen. Allerdings können wir Sachen und deshalb können wir Dinge beeinflussen. Vielleicht konnte meine Familie vor meiner Geburt nicht alles in ihrem Leben aufräumen, aber ich kann bevor ich anfange meinen Schreibtisch so aufräumen, dass ich gut anfangen kann. Und das kann ich auch schon am Abend vorher. Ich kann mir rauslegen, womit oder woran ich arbeiten will. Es ist so als würden sich Menschen eben vornehmen ein Kind zu bekommen. Denn auch das kann dann nicht erzwungen werden, aber die Vorraussetzungen können verbessert werden. Für unsere Kunst kann das aber auch bedeuten uns vor unsere Kunstzeit etwas zu legen, was uns sicher Energie gibt, damit diese dann auch weiter einwirkt wenn wir anfangen. Einen Spaziergang, einen Nap, eine Mahlzeit. Und so wie es sich für uns lohnen kann in unsere Biografie zu schauen um unser Leben manchmal besser zu verstehen oder auch in die Geschichte unserer Familie, kann es sich als Vorbereitung auch lohnen beim Kunstmachen nochmal auf unsere alten Werke zu schauen. Was haben wir gemacht? Was ist die Linie? Wo woll(t)en wir damit hin?

Es geht also schon vorher los, vor uns.

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