Kommentar: Jugend forscht
Wenn ich ehrlich bin, haben wir es ein Weilchen auch belächelt, mit der Arroganz der Älteren im Unterbewusstsein. Wir, dass waren die älteren, die beim Poetry Slam vor einigen Jahren den U20 Bereich betreut haben. Da waren immer wieder diese Texte in denen es um Masken ging. Zig Jugendliche, in zig Städten, die sich nicht kannten. Immer wieder schrieben sie darüber, dass sie nicht ihr wahres Ich mehr zeigen könnten oder es von anderen sehen würden. Ich habe das auf die Lebensphase und pädagogische Fachbücher geschoben, denn die sagen, dass von 18 bis sogar zum Teil 30 die Phase der Identitätsfindung ansteht in der psychologischen Entwicklung von jungen Menschen. Heute glaube ich, dass es andere Gründe hat.
Ein ganz berühmtes Gespenst ist der Zeitgeist. Es ist eine Art sprituelles Wesen, weil ganz viele Menschen an ganz verschiedenen Orten zu ähnlichen Zeiten, ohne Kontakt zu einander oder zur gemeinsamen Kultur gehabt zu haben, zu den selben oder sehr vergleichbaren Schlüssen und Kunstformen kommen. Dieses Phänomem ist so real, dass es wissenschaftliche bewiesen ist. Denn auch in der Wissenschaft ist es oft so, dass unabhängig voneinander verschiedene Menschen auf eine ähnliche Erfindung hinarbeiten und das über verschiedene Ansätze tun. Teilweise entsteht dann manchmal Austausch, oft aber eben auch nicht und trotzdem kommen alle vorwärts. Wer in den letzten Jahren den Film "Oppenheimer" gesehen hat, wird die Geschichte hinter diesem Wettrennen kennen, aber auch zum Beispiel die Erfindung des Motors für Personenkraftwagen war ein sehr knappes Wettrennen zwischen getrennten Forscher*innen.
Die Zeit musste sich nicht viel weiter bewegen seit den Texten der U20iger*innen im Poetry Slam, da wurde "Masking" als Fachbegriff im Themenbereich der mentalen Gesundheit und Neurodivergenz immer prominenter. Es beschreibt den Vorgang, wenn Menschen, um sich und ihre Energie zu schützen, eine gesellschaftstaugliche Oberfläche erschaffen, teilweise unterbewusst, die eine Performance ist. Das bedeutet, dass sie immer Energie kostet und eben auch die Entfaltung der vollen eigenen Identität verhindert, aber eben auch schützt, weil unsere Gesellschaft (noch) nicht so angepasst ist, dass neurodivergente Menschen überall unbeschwert und ungehindert entspannt leben können. Masking ist Fachbegriff, eine Maske tragen eine Normalität für viele betroffene Menschen, davon sehr viele junge Menschen.
Die Zahl der Texte die Masken als Bild bemühen hat rapide abgenommen in meiner Wahrnehmung. Die Menschen die es jetzt als Motiv wählen, stellen sich manchmal als neurodivergent heraus oder haben neurodivergente Menschen im Umfeld oder sind sich für sich selbst in diesem Aspekt noch unklar. Mir selbst steht aber die Frage im Kopf, da wo früher die Arroganz war, ob die Themen und Bilder des Zeitgeistes nicht eben auch Forschung sein könnten. Denn ganz sicher könnte Forschung, hätten sie den Zugang, die Menge an O-Tönen in Texten als verwertbare Quelle nutzen. So wie es ja in Sprachforschung schon passiert, da wird das Internet auf Begriffe und Gruppen untersucht, damit zum Beispiel belegt, dass Facebook und Twitter Leute fürs posten von Hass belohnen.
Wären wir nicht selbst Künstler*innen gewesen, mit unseren eigenen Themen, dann hätten wir vielleicht diesen roten Faden früher als ein gemeinsames Erforschen eines Aspektes des modernen Menschen erkannt. Wir hätten gesehen, dass Jugendliche eben als Gruppe oft schon Dinge und Sachen erkennen und sehen, die für uns älteren verborgen liegen, weil wir aus anderen Erfahrungen und Wissen darauf schauen. Wir haben übersehen, dass jede Gruppe die sich inhaltlich bearbeitet, eben auf Expedition und Suche ist. Wenn ich in Zukunft Muster in Texten erkenne, werde ich sensibeler dafür sein worum es geht. Denn vielleicht bin ich gerade dabei, wie Jugend forscht.
PS: Es gibt noch weitere Themen, die ich als Beispiel hätte wählen können, die vergleichbare Eigenschaften aufgewiesen haben. Für die Übersichtlichkeit des Artikels habe ich es bei dem Beispiel der Masken belassen.
Zufall? https://jaynightwind.blogspot.com/2024/08/gedicht-maske.html
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