0:50 Uhr

Es ist 0:50 Uhr und ich bin von einem Konzert gerade wieder zur Tür rein. Ich weiß dass ich keinen Blogbeitrag vorbereitet habe, schalte mein Raumschiff - wie ich mein Zimmer manchmal in meinem Inneren nenne - in Nachtflugmodus. Der kleine Projektor in Form eines Astronauten wirft Sterne durch den Raum, an der Decke dreht sich schleichend eine Nebelgalaxie. Auch früher habe ich zu solchen Zeiten geschrieben und noch gearbeitet. Der Künstler-Name "Nightwind" musste ja auch irgendwo herkommen.

Jetzt mache ich es ein bisschen aus Pflichtbewusstsein vor mir selbst, denn mein Deal mit mir ist, dass ich immer einen Beitrag für den nächsten Tag vorbereitet habe. Und dann versuche ich wieder etwas übers Kunstmachen und Kreativsein zu schreiben. "Warum eigentlich", frage ich mich laut, während eine Lo-Fi-Synth-Playlist im Hintergrund rumschmurgelt. Wenn ich die Chance habe und ungestört bin, lese ich mir meine Beiträge laut vor beim Schreiben. Ich habe das Gefühl, dass wann immer ich das tun kann, besser werden. Meine Sätze werden dann nicht viel zu lang, sondern nur etwas. Meine Bilder werden treffsicherer. Das beantwortet die Frage nicht.

Zwei Absätze lösche ich. Irgendwie schaffe ich es nicht die Stelle zu treffen. Weil ich es bei dieser Frage nie so recht kann. Ich habe das Gefühl, dass sie geschrieben nicht die Wirkung entfalten. Aber es lässt sich in einer klaren Essenz zusammenfassen, die ihr dann vielleicht jetzt einmal laut mitsprechen müsst, damit sie ihre volle Wirkung entfalten kann:
Kunst hat das Leben gerettet.

Hmmmm, ist das nicht lecker pathetisch? Aber es ist eben auch wahr. Da draußen ist Kunst, die Türen in mir aufgeschlossen hat und erlaubt hat Gefühle zu fühlen, während Teile der Gesellschaft mir beibringen wollten, dass ich mit fühlen nicht so viel Zeit verbringen sollte. Denn Gefühle bezahlen nicht die Miete. Jo. Aber dazu dass wir gezwungen sind Miete zu zahlen, dazu habe ich auf jeden Fall Gefühle, dass kann ich euch sagen. Aber die Kunst, sie hat mich an viele wichtige Sachen erinnert. Denn die Arbeiter*innen-Lieder die ich gelernt habe im Jugendverband, die haben Menschen geschrieben, als sie in gewaltsamen Konflikten gekämpft haben. Ja, Bella Ciao gab es schon vor "Haus des Geldes". Wieviele Songtexte mich durch meinen Schmerz gebracht haben und mich Hoffnung gelehrt haben. Und diese Hoffnung beinhaltet bei Kunst auch, dass wir immer etwas schaffen können, was größer ist als wir selbst. Weil manchmal erschaffen wir etwas, lassen es los und dann berührt es plötzlich Menschen. Welche, die wir gar nicht kennen. Welche von denen wir nichts wissen. Vielleicht müsst ihr das auch laut mitsprechen: Wie geil ist das denn?

Kunst kann so vieles sein. Der Kampf gegen bestehende Umstände, der Impuls der zum Verstehen gefehlt hat, die gemeinsame Basis einer Gemeinschaft in Form von Kultur, eine Herausforderung an unsere alten bestehenden Schemen. Sie ist die Chance die Welt einen Moment lang mit zu gestalten. Eine Chance, die mir als Arbeiter*innen-Kind nicht unbedingt von Anfang an vermittelt wurde. Da standen Hürden in meiner Biografie, durch die ich nie gedacht hätte, dass ich mal dieses Verständnis der Welt bekommen darf. Kunst erhöht dich. Anarchisch, nicht hierachisch.

Es ist 0:24 Uhr. Ich frage mich, was ich hier sagen will. Sicher nicht meine beste Arbeit, aber frei vom Herzen weg. Und vielleicht ist das was neues. Vielleicht ist das eine Entscheidung, mit einem Fuss außerhalb der Komfortzone zu stehen. Mal nicht immer nur die klugen Zitate anderer Menschen zu verwenden. Vorleben, was mensch selbst auch predigt. Etwas ausprobieren, riskieren, akzeptieren dass es sicher nicht perfekt wird, loslassen und darauf hoffen, dass die Worte irgendwo in einem Herzen oder Hirn da draußen ein Zuhause finden dürfen.

Das Raumschiff knackst mit beweglichen Holzbalken in den Wänden, während ein wenig Unwetter von Außen an die Scheibe klopft. Dieser Beitrag geht online. Keine Korrekturschleife. Loslassen. Der kleine Astronaut wirft die Lichter an die Wand, ich klappe den Laptop zu, Wir sehen uns dann morgen wieder. Ich habe schon eine Idee worüber ich schreiben will, mal sehen ob es klappen wird.

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