Lutz
Und wenn es nur ist, damit das Universum weiß, dass du nicht vergessen bist und sein kannst.
Die Stereoanlage, die war genau auf das Wohnzimmer abgestimmt. Dafür war ein Experte gekommen, hatte alles vermessen und auch gefragt, ob die Bücher da im Schrank stehen müssen. Die Buchrücken würden den Schall schlucken, da wo es besser wäre ihn zu spiegeln. Ich habe das damals für Stolz gehalten, sagt mein Tagebuch von früher. Du hattest Geld (genug) um dir so etwas zu erlauben.
Es ging um Jazz.
Zwölf Minuten haben wir da gesessen. Du hast, glaube ich, erduldet, dass ich Chips esse dabei, wovor dich kein einziger Tonexperte warnen konnte, dass das in einem Wohnzimmer auch passieren könnte. Zwischen präzisen und improvisierten Tönen einer Band, von der ich nicht mehr weiß wer es war, habe ich immer mal wieder dazwischen ge-cronch-t und anstatt streng zu werden, was du durchaus gut konntest, bist du sanft geworden und hast auch ein paar Chips genommen. Vielleicht aber auch, weil ich dir vertraut habe, denn zugehört, das habe ich. Vielleicht nur nicht so sehr dem Jazz, wie dir. Vielleicht habe ich nichts über Jazz gelernt, aber über die Bedeutung von Kunst.
Ich erinnere mich nicht daran, dich in einem anderen Outfit als eine Jackett, Anzughose und Lackschuhen gesehen zu haben. Weder wenn ich mal bei euch zu Besuch war, als du im Jugendhaus warst um dort linken kapitalismuskritischen Jugendlichen die Börse zu erklären und schlussendlich damit auch, dass du Teil des Systems warst, dass sie scheiße fanden. Auch als du mich ins Kino eingeladen hast um Star Wars zu schauen, als es damals zum ersten Mal wieder zurück ins Kino kam. Ein Jugendlicher in Kapuzenpullover mit irgendwelchen Drachen vermutlich darauf und dann du im Anzug und auch andere Freunde von dir, auch im Anzug, oder aber mindestens in teurer Kleidung. Du hast immer Anzug getragen, auch wenn du am Wochenende mit meinen Eltern beim Darten in der Kneipe warst.
Ich weiß, dass du mir damals ein Buch geliehen hast und ich es nie gelesen habe. Ich weiß weder, warum du es mir gegeben hast, noch warum ich es nicht in die Hand genommen habe. Als ich dir Videospiele gezeigt habe, warst du interessiert, wie echt das war, weiß ich nicht sicher, aber ich glaube es war echt.
Was ich von dir lernen durfte, wie mensch Kunst lieben kann. Denn ich erinnere mich nicht daran, dass du jemals etwas als schlecht bezeichnet hast, aber immer "wir gucken uns das mal an" - immer hin wollte nicht ich, sondern du Star Wars im Kino sehen - und danach brauchten wir noch Zeit um darüber zu sprechen. Was hat uns gefallen, was haben wir gemerkt, was haben wir erlebt.
Leider ist mein Gedächtnis nicht so gut, was ich hier schreibe lebt von poetischem Fugenkit. Es ist möglich, dass der Wunsch hier Vater meiner Gedanken ist. Ich weiß, dass du gerne ein Vater gewesen wärst. Ich weiß nicht mehr genau, warum du keiner warst. Vor ein paar Jahren bist du gestorben. Ich habe als Abziehbild eine sicher idealisierte Version in meinem Kopf abgelegt, das Wissen, dass du daran geglaubt hast, dass ich Aufmerksamkeit und zusätzlichen Kontakt zu Kunst bekommen sollte. Vielleicht wusstest du auch, dass ich zu jemandem wie dir auch kaum sonst oder vielleicht auch nie wieder einen Zugang haben werde. Danke für die Gelegenheiten.
Es ging um Jazz. Und wenn auch anders als du, ich höre ihn noch heute.
Schön, dass du die Erinnerung haltbar machst und hier teilst. Gute Mentor:innen sind so wichtig und ich lächle grade bei Gedanken an einige von meinen. Dankbarkeit ist ein schönes Gefühl.
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