Keine Zitate mehr

Ob er mich verarschen will, frage ich mich ein Blitzlicht lang. Da schreibt also Ryan Holiday in seinem Buch - dass komplett auf Zitaten von Philosoph*innen des Stoizismus basiert - ein Zitat von Marc Aurel, dass wir uns dringend auch trauen sollten unsere eigenen Gedanken und unser Wissen zu teilen, dass wir uns nicht auf große und wichtige Zitate von großen wichtigen Leuten berufen sollen. Verfass was eigenes! Sag was eigenes! Ja, Meister, was hast du denn hier gerade gemacht?

Marc Aurel, soll den Überlieferungen nach diese Worte an sich selbst geschrieben haben. Seine "Meditationen" waren seine Notizen, die er jeden Abend gemacht hat. Als Philosoph der unfreiwillig auch römischer Kaiser geworden ist, gab es da sicher eben einige intensive Gedanken. Aber sie waren eben ursprünglich nie dafür vorgesehen, dass andere sie lesen. Ryan Holiday hingegen hat beschlossen, dass er die Schriften und Aussagen der Philosophen einordnen mag, in eine moderne Welt übersetzen. Und wenn auch er es nicht selbst aufmacht, vielleicht hat er sich auch ertappt gefühlt beim Recherchieren für sein Buch.

Denn das ist der eigentlich Grund, warum ich mich kurz aufrege. Meine Artikel im Blog, aber auch mein Reden mit Freund*innen beinhalten viele kluge Impulse, die ich von anderen Leuten habe. Ich zitiere gerne Gedanken, Ideen und Themen von Menschen, deren Inhalte mich berührt und in Bewegung gebracht haben. Und wenn mensch erstmal so darauf schaut, ist daran auch nichts falsch. Aber warum habe ich diese Zitate verwendet?

Meine Biografie und ich haben mich inzwischen an ein ganz gutes Bildungsniveau geführt. Ich für meinen Teil bin auf jeden fall sehr zufrieden damit, was und wieviel ich so in meinem Leben lernen darf. Aber ich habe in meinem Leben, eben weil ich meine akadamische Bildungskarriere irgendwann abgebrochen habe, eine Verletzung in der Biografie, die macht, dass ich mich darum bemühe, belesen und intelligent aus zu sehen. Denn ich war und wollte in Umfeldern sein, in denen ich diese Werte als wichtig angesehen habe. Ich habe dabei gar nicht verstanden, dass diese Menschen ihre Bildung gar nicht als hohen Wert angesehen haben, sondern teilweise es einfach das Privileg ihrer sozialen Herkunft war. Der Nachteil daran war aber, dass in Gesprächen manchmal gar nicht Raum dafür war, dass jemand selbst eine Idee hatte für die Welt. Da haben Akademiker*innen-Kids dann eben gefragt: "Ja, aber kannst du das belegen?" Und das konnte ich dann oft nicht. Denn die Quelle war ja ich und nicht belastbare Forschung. In meinen schlechteren Zeiten habe ich dann behauptet, dass ich es irgendwo gelesen hätte, gar nicht mehr wüsste wo ich es her hätte und habe so eine virtuelle Quelle geschaffen. Das bereue ich heute jedes Mal, wenn ich mich wirklich auf etwas beziehe, dessen Quelle ich nicht mehr weiß.

Die Verliebheit der Akademiker*innen in Quellen ist dessen geschuldet, dass eben im Umfeld der Bildung und Forschung der Universitäten und Institute zwar eine gute These wichtig sein kann, sie sich dann aber eben immer wieder im Kontext anderer Forschung und Quellen bewegen muss.

Als Künstler bin ich auch ein Forscher, allerdings sind meine Belege die Erlebnisse mit und von Menschen, die auf meine Kunst treffen. Die Dokumentation ist eine gemeinsame Erinnerung, vielleicht sogar eine Veränderung des Verhaltens.

"We all walk on shoulders of giants", sagt Nico von der Corridor Crew - einem Videokunstkollektiv, um damit auch deutlich zu machen, dass was wir machen und machen können natürlich immer auf den Vorarbeiten und Ergebnissen von anderen basiert. Die Tools die wir verwenden, die Technologie, in gewisserweise sind diese Dinge auch Zitate, weil sie die Idee einer anderen Person multiplizieren. Es wird eben dann zu meinem, wenn ich entscheide, was ich damit mache.

Die Frage bleibt allerdings, wie und warum beziehe ich mich auf die "Giants"? Mache ich das aus Respekt davor, dass eine Idee die mich bewegt hat eben eine*n andere*n Urheber*in hat? Oder mache ich das um mich auch vor der Kritik schützen zu können? Denn wenn mein Gegenüber dann die Idee oder das Zitat ablehnt, dann kann ich mich teilweise von der Verantwortung für den Inhalt frei machen. Ja, ich habe es mitgebracht ins Gespräch, das ist meine Verantwortung, aber das ist ja gar nicht mein Denken. Wenn wir an diesem Punkt auskommen, steht da groß die Frage, ob wir unsere Ideen minderwertig finden. Ob wir da vielleicht eine Lücke in uns selbst haben, die uns Angst macht unsere Ideen frei mitzuteilen?

Ohne Zitate und Bezug wird es nicht gehen für mich, denke ich. Darüber nachdenken werde ich jetzt aber häufiger. Weshalb verwende ich hier ein Zitat? Was ist der Grund für diese Entscheidung?

Ryan Holiday musste die Zitate verwenden, weil seine Arbeit aber die Übersetzung ist. Und damit sagt er auch immer selbst etwas, denn die antiken Philosoph*innen können sich nicht mehr selbst äußern. Auch Ryan Holidays Worte sind damit Interpretationen. Es sind seine Idee, die auf die Ideen einer anderen Person treffen und versuchen diese zu verstärken.

Was ist eurer liebstes Zitat? Weshalb verwendet ihr es so gerne?

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