Jeden Tag schreiben hat mich verändert

Es sind die drei Seiten jeden Morgen bei den Morning Pages. Dann noch meist ein oder mehrere Blogartikel an einem Tag. Und dann noch weitere Notizen, zu Podcasts, zu Büchern, zu Gesprächen, zu meiner Arbeit die ich mache. Dazu dann auch noch manche Übungen und Tools die ich anwende und wiederhole, damit ich mich irgendwie im Blick habe. Darüber hinaus auch fast jeden Tag nochmal kurze Gedichte und wenn auch ich da im Moment etwas blockiert bin, versuche ich auch immer mal wieder noch ein Stück Spoken Word zu schreiben.

Es gibt viele Gründe zu schreiben, viele mögliche Ergebnisse und Wirkungen auf uns und unsere Seele und unser Gehirn. Deshalb sind nicht all die Sachen die ich da beschreibe auch in den selben Kontexten zu sehen. Denn meine Morning Pages sind nicht Kunst, meine Gedichte sind schon irgendwie auch Denken auf dem Papier und Reflexion, oft aber auch nicht. Meine Blogartikel sind eher meine Arbeit oder wie Arbeit für mich, weil ich sie in verschiedenen wichtigen Projekten weiterverwenden kann und möchte. Trotzdem kann auch ein Blogartikel gut für meine Seele sein, in den Morning Pages eine Idee auftauchen, aus der ein Gedicht wird. Da muss nicht sauber getrennt werden, weil das alles lebendige Prozesse sind. Und es ist Kommunikation mit dem Selbst, und in Kommunikation gibt es halt auch verschiedene Ebenen, die immer mal wieder sich ineinander verschieben und verwandeln. So kann ich auf emotionaler oder sachlicher, aber auch auf identitätstiftender Ebene kommunizieren. Schreiben kann das natürlich alles.

Während ich den ersten Absatz schreibe, frage ich mich, wo ich die ganze Zeit dafür her habe. Ich habe ein Kind, arbeite freiberuflich, habe Termine, davon manche mit Vor- und Nachbereitung, lebe in einem Haushalt an dem ich versuche teilzunehmen. Aber da liegt der Trick: Sich die Zeit nehmen schafft plötzlich Zeit wo wir glauben keine zu haben, weil ja schon so viel anliegt. Was wie unfassbar viel Zeit am Schreiben klingt, sind einzeln ganz kleine Segmente. Durch die tägliche Übung und dadurch eine geringe Hemmschwelle anzufangen, kann ich manches davon auch spontan verschieben und im Tag bewegen. Denn ich weiß: Wenn ich will, kann ich jederzeit Schreiben.

Ich wollte immer Schreiben in meinem Leben, ich suche nicht genauer nach Gründen in mir dafür, ich akzeptiere es und ich sehe, dass es mir schlecht geht, wenn ich es nicht tue. Es also so zu pflegen und einzuüben, dass es immer geht, das ist auch Selfcare und ein ernstnehmen meiner Selbst. Dadurch das ich mir erlaube viel zu schreiben, erlaube ich mir selbst mir Wert zu geben. Das war früher anders. Da hätte mein Schreiben Erfolg und Aufmerksamkeit haben müssen. Jetzt ist mein Erfolg, wenn ich schreibe. Die Notizbücher reihen sich im Regal auf, immer mehr volle kommen dazu, der Blog ist ein riesiges Archiv an Wissen und Erfahrungen die ich geteilt habe, egal wieviele sie dann sofort sehen. Ich falle auf die Hektik und den Verfall den moderne Medien vortäuschen und produzieren nicht mehr rein. Ich mache vieles haltbar. Was ich denke hat die Chance einer unsichtbaren weil digitalen Gemeinschaft zu dienen.

Jeden Tag zu schreiben hat den Frieden mit mir in mir erhöht. Etwas, was ich dringend brauchte. Denn bevor ich angefangen habe mich durchs Schreiben regelmäßig selbst zu aktualisieren, war ich eine Person, an die ich mich jetzt nicht mal mehr gerne erinnere. Leider schwappen alte Angewohnheiten manchmal zurück, aber dann lese ich meine Notizen, komme ins Gespräch mit mir selbst und schaue, was damals meine Ideen waren um dem Verhalten zu entkommen, dass ich selbst nicht akzeptabel oder - schlimmer noch - nur schwer verzeihbar finde. Aber weil ich mich nachlesen kann, kann ich mit mir selbst besser arbeiten. Die Patchnotes sind da, für jedes Update gibt es eine Form von Marker.

Die Routine erlaubt es mir, andere Routinen anzuheften. Rund um die Morning Pages sind andere Angewohnheiten und Routinen entstanden, wie ein sich ausbreitenden blühender Garten. Um meine Tage noch besser zu strukturieren, überlege ich andere Schreibroutinen in den Tag zu verteilen. In der Hoffnung, dass sie dort auch blühen. Oder sogar andere Routinen, die nicht Schreiben sind, weil ich aber durch das Schreiben gemerkt habe, was für ein Anstieg der Lebensqualität entstehen kann, wenn wir jeden Tag ein Handwerk betreiben. Denn aus den Routinen, mit guter Aufmerksamkeit, kann auch Meisterschaft erwachsen. Der Eindruck, in einer Sache so fähig zu werden, dass wir ein tieferes Verständnis dafür haben. Der religiöse und spirituelle Mensch würde diesen Zustand vielleicht als eine "Erleuchtung" bezeichnen, ich empfinde einen vergleichbaren Zustand im Schreiben. Da ist keine Unsicherheit mehr und wenn doch eine auftaucht, dann freue ich mich über sie, weil ich die Chance bekomme neue Fragen zu stelle und mich zu entwickeln.

Was wir tun und wer wir sein wollen, das ist meines Denkens nach kein Zustand. Unsere Identität kann nicht in Merkwörtern festgemacht werden. Denn wer wir sind, dass sehen wir selbst und andere daran, wie wir handeln. Und so beweise ich mir durchs schreiben nicht jeden Tag "wer" ich bin, sondern vorallem dass ich bin. Weil ich dabei bin, es spüre, weil andere es sehen, weil es echt ist, weil es Wirkung haben kann. Ich schaffe dadurch Realität.

Ich kann dem Schreiben Sinn geben. Und damit mir selbst. Jeden Tag.

Kommentare

  1. Ohne diese Routine, könnte ich mich selbst vermutlich nicht mehr überleben. Das Bild mit den Updates und Patch-Notes holt mich total ab und da hab ich so noch nicht drüber nachgedacht. Aber es stimmt natürlich, und auch ich befrage immer mal wieder vergangene Versionen von mir und schaue, was ich von ihnen lernen kann. Und das ist so eine wichtige Ressource, um Fortschritte und Prozesse zu sehen, Lernerfolge haltbar zu machen und eben auch dauerhaft mit mir selbst im Austausch zu sein, was ich in dieser Form und Intensität noch nie gemacht habe. Und das erklärt auch, warum ich mich immer besser kennenlerne. Weil ich mir zum ersten Mal selbst auch die Aufmerksamkeit widme, die sonst anderen vorbehalten war und mir selbst zuhöre. :) Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass das Schreiben (der Morning Pages) die wichtigste Veränderung in meinem Leben war, bisher.

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    1. Dadurch das mensch eben mehr Einblick - wenn wir in dem Bild bleiben - in den Quellcode nimmt, können auch Verhaltensweisen besser verändert werden. Und mir erlaubt es zum Beispiel auch Sachen weg zu schneiden. Denn Wachstum ist nicht immer nur, dass alles mehr wird und größer. Manchmal ist es eben gut, etwas weg zu nehmen.

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