Skill-Schere

Maximillian Dood ist Streamer für Videospiele, insbesonders die so genannten Fighting Games. Das sind Spiele in den Figuren mit festen Tasteneingaben, bestimmten Combos, unterschiedlichen Stärken und Schwächen, meist Eins gegen Eins antreten. Die ehemalige Community-News-Website Shoryuken.com hat in einem gratis Guide für Anfänger*innen erklärt, dass Fighting Games ein komplexes Update zu Schere-Stein-Papier sind. Denn es gibt eine bestimmte Auswahl an Optionen für die Figuren und eine bestimmte Auswahl an Reaktionen. Entscheidet mensch richtig und sieht die Aktionen des*der Gegner*in korrekt vorraus, ist das der Weg zum Erfolg. Mit jedem neuen Fighting Game das erscheint, beginnt dieser Zyklus des Erlernens der Optionen der Figuren von neuem, es bilden sich kleine Community um die Spiele, die alle Teil einer größeren Community sind, der FGC, der Fighting-Game-Community. Aktuell geht es diesem Spieltypus so gut wie selten zu vor, woran das genau liegt außer der Qualität der Spiele, dass können andere besser bewerten.

Geht es einer Sache, einen Medium, einem Ereignis, einer Kultur gut, dann bekommt sie viel Aufmerksamkeit und eben auch viel Zulauf von neuen Menschen. Fighting Games sind inzwischen auch über 30 Jahre alt, einige potentielle Spieler*innen haben keine Retro-Gefühle zu den Spielen, sondern steigen jetzt gerad neu ein. Fragt mensch Maximillian Dood wann die beste Zeit ist in ein Spiel ein zu steigen, dann wird er immer sagen, wenn das Spiel neu ist. Denn wer wirklich das Spiel meistern will, wird auch online gegen andere Menschen auf der ganzen Welt spielen, denn gegen den Computer zu spielen hat seine Grenzen, da dieser zu Mustern neigt und sich austricksen lässt. Menschliche Spieler*innen sind aber beweglich, anpassungsfähig und treffen ganz anders Entscheidungen. Mensch merkt, ob mensch gegen einen Computer spielt. Ich würde sogar sagen, dass ich merke, wenn jemand schummelt am anderen Ende des Datenstroms. Irgendwas in der Art zu spielen macht, dass Mensch Mensch erkennt. Was im Lebenszyklus eines Spiels aber auch passiert, dass die Spieler*innen die dranbleiben immer besser werden und die Menge an Spieler*innen sich reduziert. Vermutlich tritt auch irgendwann hier eine Art Scalabrine-Effekt ein:
Schlechte sehr erfahrene Spieler*innen werden immer noch besser sein als gutes sehr unerfahrene Spieler*innen. Es ist nach eine paar Monaten in einem neuen Spiel fast unmöglich online zu spielen und ein paar erfolgreiche Runden zu haben, wenn sich die Community-Basis nicht stetig erneuert. Und wenn auch wir nicht spielen sollten um immer zu gewinnen, geben wir dann eben halt doch auf, wenn wir immer nur verlieren.

Das hat vermutlich auch mit Psychologie zu tun, denn Aufgaben die schwer sind, aber schafbar erscheinen, die schütten für uns Dopamin aus und steuern unser Lernzentrum direkt an. Aufgaben die zu leicht sind langweilen uns, Aufgaben die uns zu schwer sind frustrieren uns. Der Sweetspot ist nah an der Grenze davon, dass es klappen könnte, aber eben nicht muss.

Wenn wir auf unsere Kunstformen schauen, sind manche davon wenige Jahrzehnte, andere Jahunderte alt. Wenn wir uns mit anderen messen wollen und wenn es eben nur um die Aufmerksamkeit von einem Publikum ist, dann treten wir wenn wir Pech haben die gesamte Menschheitsgeschichte an oder zumindest gegen einige weltberühmte Legenden. Ja, neben einer Frida Kahlo oder Lavinia Fontana sehen meine Zeichnungen und Bilder vielleicht ganz schön schwach aus. Ich bin froh, dass meine Lyrik nicht an Mascha Kaléko gemessen wird. Wer gerade mit der Guitarre anfängt, hat Jimmy Hendrix lieber als Vorbild anstelle einer Konkurenz. Und auch wenn die Schere zu diesen Leuten vielleicht besonders anfangs sehr groß ist, sollte uns das nicht entmutigen, hohe Ziele zu haben. Ja, wir dürfen davon träumen dass unsere Kunst es mal an die Orte schafft, an denen diese Legenden oder auch Stars der Jetztzeit auch schon waren oder regelmäßig sind.

Als wir gefragt werden, warum es im Poetry Slam jetzt eine U20-Szene gibt, geben soll und sie eigene Veranstaltungen bekommen, da gibt es viele unterschiedliche starke Gründe. Einer davon ist aber auch, den Anfänger*innen eine Schutzblase zu geben, für ihre Auftritte. Das Argument rührt daher, dass änhlich wie bei den Servern eines Videospiels, beim Poetry Slam Mitspieler*innen verschiedenen Erfahrungsstufen sehr schnell mal in die selbe Veranstaltung geraten - Ein Aspekt, der sich inzwischen ein bisschen aufgelöst und auseinander dividiert hat. Die U20iger*innen hätten aber eben oft keine guten Chancen gehabt, wenn sie immer nur mit Profis in Line-Ups landen. Daher war es ein Weilchen sinnvoll die neuen Stimmen und die Profis vorläufig voneinander zu trennen. Inzwischen verändert sich diese Diskussion, in so fern, dass es zum einen Stimmen gibt, die sagen, dass es auch ältere Anfänger*innen gibt, die diesen Schutz nicht unbedingt erfahren, und dann zum anderen auch einige U20iger*innen die sehr schnell sehr erfolgreich sind, was auch an besseren Förderstrukturen in dieser einen Kunstszene liegt. Aber auch diese Strukturen sind unterschiedlich gut räumlich verteilt.

Maximillian Dood hat nie was zu Kunst gesagt und es ist vielleicht nicht möglich, am Anfang einer Kunstform mit einzusteigen. Aber es ist möglich sich Leute zu suchen und die zu erkennen, die etwa zur selben Zeit anfangen. Sich dort auszutauschen, aneinander zu wachsen, sich Feedback geben, Wissen teilen und vielleicht auch mal zusammen was zu organisieren. Eine Ausstellung, ein Konzert. Denn selbst wenn der Kontakt zu den Profis da ist, kann es ja sogar sein, dass mancher Ratschlag der von dort kommt noch gar nicht verstanden und umgesetzt werden kann, weil die Gelegenheiten oder Erfahrungen fehlen. Eine Band die ein mal im Monat auf der Bühne steht braucht sich zum Beispiel keine Sorgen machen, das Tourmüdigkeit aufkommt. Das ist ein Problem für eine andere Phase der Band. Aber es macht eben Sinn sich mit Leuten auszutauschen, die gerade auf die selben Hindernisse stoßen könnten.

Liebe Menschen, bildet Banden in der Kunst. Baut euch auch Communities. Wachst zusammen, entwickelt euch zusammen. Viele derer die neu in einer Kunstform waren und sich mit anderen neuen zusammen getan haben, haben oft nicht weniger als ganze Kunstformen revolutioniert oder erfunden. Warum solltet ihr das nicht auch können?

Kommentare

  1. Finde ich eine richtig gute Perspektive. Vor allem, als Umgang mit vorhandenen Strukturen, zum strukturen bauen und zum zurechtfinden.

    Ich fand und finde es im Stand Up z.B. seltsam wenn leute sagen im Stand up beginnt man halt mit Anfängerinnen ausstattung mit kämpfen mit dem Endgegner. Was soll das heißen? Wie soll mir diese Info weiter helfen? In der metapher steckt nämlich für mich nur. Jo ist jetzt erstmal lange scheiße. Hoffe du kannst das überbrücken. In deiner metapher steckt viel mehr und ich finde sie trotzdem in allen kunstbereichen anwendbar. Und übetragbar.

    Sehr cool!

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    1. Was ich an dem Bild das du da beschreibst schwierig finde ist die Frage, gegen wen eben auch angetreten wird. Denn ein Publikum ist bei einer guten Einbindung in einen Abend schon in der Lage dann all die Legenden los zu lassen, gegen die Mensch da so antreten könnte. Das hängt dann aber eben davon ab wie gut und plausibel eine Veranstaltung konstuiert ist, denke ich.

      Ich glaube das schwierige an Formaten wo die Auftretenden nicht gegeneinander antreten dann manchmal ist, dass dann trotzdem Wettbewerb gesucht wird und die Leute dann quasi "gegen das Publikum" antreten und das ist ganz sicher eine schwierige Lage.

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