Sich aushalten
Ich kann mir kaum mehr Momente und Orte vorstellen, wo ich nicht auf Zeichen von Menschen treffe. Draußen ist die Stadt und egal wie spät es ist, es fährt immer noch mal ein Auto oder ein Bus vorbei, immer mal wieder noch irgendein Transporter oder jemand läuft noch eilig nach hause. Am Tag ist es hier voll und dabei ist wo ich lebe es nicht mal sonderlich voll. Die Straße ist trotzdem so laut. Das Fenster zu, sitze ich in meinem Zimmer in der WG, also schließe ich die Tür manchmal, weiß aber, dass meist jemand da draußen rumwuselt. Was schön ist. Durch mein Handy gibt es immer noch ein Portal in mein Zimmer, auch wenn ich alles andere verschlossen halte. Da sind Dokumente in Form von Fotos, Reels, Tweets, Postings, Emails, Nachrichten in Messengern, ich bin anrufbar. Es ist ein emotinal im Schnitt neutraler Satz: Ich bin niemals alleine.
Ich merke es, wenn ich bei der Therapie bin. Eine Sache, die ich im Kern für mich mache, wenn auch mein Lernen und Heilen sicher auch auf mein Umfeld rückspiegelt. Wenn ich dort bin, schalte ich mein Handy auf Flugmodus. Oft sitze ich alleine im Wartezimmer und wenn doch jemand dort ist, ist hier genau dieser Ort, wo die Menschen meist nicht versuchen miteinander in Verbindung zu treten. Wir wissen, dass wir alle dort sind, weil wir in irgendeiner Form verletzt sind. Wir sind nicht hier für die Verbindungen. Ich schalte immer kurz zuvor mein Handy auf den Flugmodus. Keine Nachrichten, kein Netz, keine Anrufe. Wenn ich Therapie habe, dann möchte ich für mich sein. Wenn die Stunde rum ist, vergesse ich oft einen Moment lang, dass ich den Flugzeugmodus wieder umstellen muss/könnte.
Alleine sein. Aufrichtig alleine, das verbinden wir inzwischen mit Angst und Panik. Nur das eigene Denken, keine Spiegelflächen, keine Feedbackschleifen, bei allem müssen wir selbst entscheiden wie wir es finden. Da ist die Angst, dass eben die Angst die Kontrolle über uns übernehmen kann, wenn wir mit uns alleine sind. Wir sind Menschen, also wissen wir, dass wir Hilfe brauchen, aber wir vertrauen unserem Selbst nicht mehr genug, um mit ihm Zeit zu verbringen.
Als das Selbst beschreiben Forscher*innen, Philosoph*innen und Denker*innen den Teil von uns, der wahrnimmt und im Präsenz lebt. Es ist unsere Hand am Lenkrad. Und es sind unsere Gedanken. Eine Kraft in uns, die einigen Angst macht. Denn sich selbst aushalten, dass ist in einer Welt die einem viele Gründe zum Zweifeln gibt nicht so einfach. Und schaut mensch auf alte Kunst und philosophische Texte, dann war das auch noch nie anders. Vielleicht ist es Natur von uns, dass wir uns herausgefordert fühlen. Auch weil wir in uns den Konflikt tragen, dass es neben dem Selbst auch das Ego gibt. Ein Teil von uns, der uns um jeden Preis am Leben halten will. Und das manchmal auf falschen Annahmen. Und so kommt es, dass Ego und Selbst sich manchmal in die Quere kommen.
Was sie beide brauchen ist Zeit miteinander zu reden. Und das geht nicht gut, wenn andere Egos und andere Selbst auf uns einwirken. Wenn ich in den Spiegel schauen möchte, darin aber jemand anderen sehe, erfahre ich nicht über mich, was ich brauche. Was ich brauche, das habe ich gelernt, ist Zeit mit mir verbringen zu können. Lernen mich auszuhalten, gütig mit mir zu werden und zu erkennen, dass sowohl das Ego, aber auch mein Lenken mit dem Selbst gute Gründe haben, die sich manchmal widersprechen können, aber auch das auflösbar ist.
Die Zeit mit mir selbst kann dabei nicht einfach nur rumhängen sein, oder es muss so sehr rumhängen sein, dass es mich wirklich von vielen Impulsen trennt. So spiele ich in der Zeit keine Videospiele, schaue keine Serien, lenke mich nicht ab. Ich sitze an meinem Papier und schreibe oder ich suche mir einen schönen Platz drinnen oder draußen, wo ich es schaffe meinen Gedanken zu folgen. Vermutlich würden andere es Mediation nennen. Oft nehme ich mir ein Thema mit. Meine Ängste, der Tod, das Leben, die Zukunft, alles was groß ist und Angst macht, das spreche ich mal an mit mir, weil mir lieber ist zu wissen, dass damit gearbeitet wird in mir, als zu befürchten, dass es liegen bleibt.
Ich lerne mich mit mir für Gespräche zu verabreden. Ich überlege mir vorher, was ich mit mir besprechen möchte. Ich überlege was es dafür braucht. Ich denke darüber nach, wie ich Ergebnisse festhalten kann. Ich lerne mit mir zu reden, mir und meinen Anteilen zu zuhören. Denn wenn ich nicht gut mit ihnen rede, dann herrscht in mir zu mir misstrauen und ich werde mir selbst ins Lenkrad greifen, wenn ich es nicht gebrauchen kann, als Entscheidunge basierend auf Informationen, die gar nicht gesichert sind.
Kein Handy, keine Medien, nicht mal ein Buch, keine Ablenkungen, kein Kontakt. Es ist herausfordernd, denn es ist nicht gewohnt, aber wenn es dann gewohnt ist, dann bringt es Frieden. Denn wenn wir schon sicher haben, dass wir gut und gerne sicher mit anderen sein können, dann sollten wir auch lernen gut und gerne und sicher mit uns selbst zu sein. Denn so können wir nachher wirklich in jeder Personenkonstellation bestehen, auch wenn die anwesenden Personen wir alleine sind.
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