Expertise und Professionalität

In meiner Jugend hatte ich einen Mitbewohner in meiner WG, der war ein absoluter und uneingeschränkter Experte im Fussball. Da war eine große Übersicht über die Spieler*innen - ja, auch die Frauen-Bundesliga hatte er im Blick - in seinem Kopf, eine Sammlung an Anekdoten zum Fussball aus aller Welt. Und wenn er mal nicht wusste, welche Serien er schauen sollte, gab es irgendwelche Highlight-Sammlungen auf Youtube, wo die schönsten Tore (oder Blutgrätschen) von diversen Legenden gezeigt wurden und er war seelig. Aufgrund von unnötigen Vorurteilen die ich damals hatte, konnte ich das nicht so ganz ernstnehmen. Obwohl ich selbst Fussball geschaut habe, habe ich ihn in die Klischee-Schublade des komischen Fussballfans gesteckt.

Wenn Leute etwas mit Wrestling sehen, dann schicken sie es mir für gewöhnlich zu. Mein Grad der Expertise ist sicher nicht auf dem Niveau das mein Mitbewohner damals mit Fussball hatte. Aber weil ich sehr laut damit bin, dass ich Wrestling-Fan bin, schicken mir Leute Content der ihnen begegnet, was ich super gut und lieb finde. Hört damit nicht auf, bitte. Ich schaue es gerne, ich feier es gerne und im Vergleich zu denen, die es mir schicken, habe ich sicher viel Expertise, aber wenn ich auf so Leute zum Beispiel schaue wie die Macher vom "Ringfuchs"-Podcast, dann bin ich höchstens im Mittelfeld dessen, was es möglich ist im Blick zu haben und zu wissen. Keine Sorge, damit habe ich meinen Frieden.

Was mein Mitbewohner nie gemacht hat, was ich nie gemacht habe mit dem Wrestling-Kram, ist damit Geld zu verdienen. Denn das, das machen die Profis. Wir sind aber keine Profis, wir sind Experten. Und der kleine feine Unterschied liegt da nicht in der Menge des Wissens, sondern in der Art, wie wir unseren Tag rund um unser Thema gestalten. Denn ein Profi, der hat beschlossen, aus seiner Expertise einen Job zu machen. Oder hat sie sogar nur für den Job erworben. Denn mir fallen Beispiele von Profis ein, die zum Beispiel moderieren und berichten, aber den Themen Schwerpunkt immer wieder wechseln. Viele von uns sind ja auch Profis in einem Bereich und Expert*innen in einem anderen.

Wenn ich es selbst benennen müsste, dann würde ich meine Expertisen beim Wissen übers Kunst(machen) sehen, bei Poetry Slam und Spoken Word und auch bei Themen des Psychologie, da vorallem wenn es mit Logik und Kommunikation zu tun hat. Sehe ich es ganz streng, dann ist meine erlernte Profession ein Erzieher zu sein. Meine andere, selbst gewählte, die ist es ein Künstler zu sein. Ein Feld, für das es nicht mal eine klassische Ausbildung gibt. Kein Amt, dass dich zum Profi erklärt.

Manchmal bin ich Teil von Gesprächen, wo Leute "Professionalität" fordern, obwohl ich in meinem Hobbybereich bin. Inzwischen bin ich da an einem Punkt, wo ich das dann auch anspreche, dass ich nicht wie ein Profi gemessen werden möchte, wenn ich eben gerade keiner bin. Meiner Expertise nimmt das genau gar nichts weg allerdings. Meine Prioritäten sind halt nur anders.

Es lohnt sich, sich mit seinen Expertisen und seiner Professionalität zu beschäftigen. Ihre Verhältnisse zu prüfen. Manchmal finden wir so etwas, was wir vielleicht sogar als Beruf machen könnten, aber vorher nicht in Betracht gezogen haben - Nie vergessen, alle Berufe wurden mal erfunden! - oder wir finden etwas, was uns sehr glücklich macht, weil es nie etwas mit Geld zu tun haben wird. Die Erforschung des Ganzen ist auf jeden Fall die Energie wert. Ein bisschen Expertise über sich selbst erwerben.

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